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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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NUR EIN ABENDESSEN und trotzdem zin Akt von großer staatspolitischer Bedeutung fand in der vergangenen Woche in der Wiener Hofburg statt. Die Kristall- luster im Salon Maria Theresias flammten luf — der Bundespräsident empfängt. Seine Einladung war an die Mitglieder der Bundesregierung sowie an die Landeshauptleute und deren Stellvertreter ergangen. Bauern und Bürger, Akademiker und Arbeiter, Männer des einen und des anderen großen politischen Lagers, alle fanden sich an einer Tafel. War schon allein dieses seltene Ereignis ein Symbol der Einheit unseres Landes und der gemeinsamen Arbeit seiner Bewohner, die Worte, die man zu hören bekam, klangen deutlich, über ihre Adresse herrscht keine Unklarheit. Nicht von ungefähr beschwor der Bundespräsident in seiner Rede Erinnerungen an die historische Länderkonferenz des Jahres 1945, auf der der unbedingte Wille zur Einheit unseres Staatswesens zum Ausdruck kam. Was damals gelobt wurde, gelte heute mehr denn je. „Wir vertragen uns, weil wir uns vertrauen. Die Länder haben sich davon überzeugen können, daß ihnen niemand ihre Eigenart streitig machen, niemand in die Ordnung ihrer eigenen Angelegenheiten dreinreden will... Durch den dauernden Druck äußerer Gewalten sind wir erst recht innerlich zu einer festen Einheit geworden ... Was organisch zusammengewachsen ist, läßt sich nicht so leicht gegen seinen Willen nach fremdem Belieben zerreißen. Haben wir es vermocht, unsere Republik durch gemeinsamen Entschluß aus dem Chaos des Krieges neu erstehen zu lassen, dann wird es uns auch gelingen, sie durch gemeinsame Arbeit allen Schwierigkeiten zum Trotz in die Zeit der wirklichen Freiheit hinüberzuretten.“ So sprach der Bundespräsident. Und er ergänzte seine Rede noch durch ebenso schlichte wie überzeugende Mahnungen an die tägliche Politik. Aus dem Kreis der Gäste aber kam vom Landeshauptmann von Oberösterre.ch die überzeugende Antwort: „Es gibt keine Teilung Österreichs, weil die Demarkationslinien wohl durch unsere Landschaft, aber nie durch unsere Herzen gehen.“ — Schon lange haben sich alle, die es ehrlich mit diesem Staate meinen, nicht so gefreut wie an dem Morgen, an dem sie von jenem „föderativen Abendessen“, von. jener unaufdringlichen, aber deswegen nicht wertiger entschlossenen Demonstration österreichischer Einheit und Einmütigkeit vernahmen-.

AUF DEN GLÜHENDEN ROSTEN SCHWERER HEIMSUCHUNG hat das Wiener Judentum, soweit dies aus der Beteiligung an den jüngsten Wahlen in seine Kultusleitung ersichtlich wird, eine zahlenmäßig starke Einbuße erlitten. Zur Wahl gingen nur, wie die Monatsschrift „Neue Welt — Judenstaat“ ausweist, 5628 Wähler. Auffallend ist die politische Strukturveränderung in diesem Bevölkerungspartikel: obwohl für die zionistische Liste drei Gesinnüngsfraktionen zusammengingen, erreichte sie nur 1578 Stimmen, weit überholt durch die sozialistische, auf die sich 2501 Stimmen sammelten. Die Sozialisten, die damit die Hälfte der 24 Mandate erhielten, standen schon bisher an erster Stelle. Neben ihnen erscheinen diesmal 1243 kommunistische Wähler, also mehr als ein Fünftel aller zur Wahl erschienenen Wähler.

DIE WELT SCHÜTTELT DEN KOPF über die innenpolitischen Vorgänge in Frankreich. Das Land steht Vor einem Staatsbankerott, schwache Regierungen werden durch schwächere abgelöst, in einer Krisensituation, die manche an 1938 gemahnt, scheint Frankreich ohne jene Führung zu sein, die ein bedeutendes Gewicht in die Waagschale der Entscheidungen zu legen vermag. Wo wurzelt nun diese nationale Misere Frankreichs? Einzig und allein in der Selbstsucht der Parteien oder gewisser Führungscliquen? — Es liegt hier mehr zugrunde: die beiden Frankreich rüsten sich zu einem neuen inneren Waffengange, und ihre Ängste bestimmen das denkwürdige Schaukelspiel der französischen Innenpolitik. Das republikanische Frankreich, das Frankreich als Erbträger der Französischen Revolution, der Erklärung der Menschenrechte, der Ersten, Zweiten, Dritten Republik fühlt sich an Leib und Leben bedroht: durch den Vormarsch der europäischen „Rechten“, wie es ihn sieht, im Spanien Francos', im Deutschland Adenauers, in jenem Italien, in dem, wie französische Abgeordnete hinweisen, die Opera omnia Mussolinis in Luxusausgaben erscheinen, sein Bild jede Wo-hennummer gewisser Illustrierter ziert und jederzeit auf die „dekadente lateinische Schwester", eben Frankreich und seine republikanischen Ideale, mit Spott und Verachtung herabgesehen wird. Mehr als das alles aber fühlt sich dieses „linke“, das heißt laikale Frankreich durch seine Unsicherheit dem neukonservativen, England und jenem Amerika gegenüber irritiert, das der Geldgeber des „rechten“ Deutschland und Spanien ist. Dahinter steht die große Sorge, daß die strahlenden Ideale der Grande Revolution ihre Kraft verloren haben, daß Frankreich in hoher Eile eine neue eigene „rechte“ Ideologie zu entwickeln habe, wenn es nicht ganz ausscheiden soll aus dem Konzert der Nationen, das es jahrhundertelang so meisterhaft präludiert hat. Wer dies in Betracht zieht, erkennt: Frankreich lebt die permanente Krise des Abendlandes am deutlichsten sichtbar im politischen Raume. Jene K?ise, die anderenorts oft nur durch kleine, kaum sichtbare Beben in anderen Bereichen, etwa der Kunst und Kultur, sichtbar geworden ist...

„WIR EINSTIGEN KOMMUNISTEN sind die einzigen Leute auf eurer Seite (der Antikommunisten), die wissen, um was es wirklich geht“: Arthur K ö s tl e r in einem Gespräch mit einem englischen Politiker. Keinem Kampftrupp kann es verargt werden, wenn er, in höchste Lebensgefahr eingeschlossen, so auch keine Zeit mehr ist, nach rechts und links auszuschauen, Hilfe und Hilfsgenossen annimmt, die sich ihm plötzlich zur Seite stellen. Das ist Spähtrupp-, Landsknecht- und Kriegerschicksal. Der triefäugige Thersites, der die Griechen nach Troja begleitet, ist Gleichnis für viele, die sich im Reigen der Jahrtausende nach ihm drängen; vazierendes Volk. Reisläufer zwischen Tag und Nacht. Ein anderes Ge sicht erhalten diese Erscheinungen, die alle sieben-, dreißig- und hundertjährigen Kriege begleiten, mögen sie nun von Mars kalt oder heiß vorgespielt werden, wenn wir uns heute in täglich dringlicherer Tonart von einer westeuropäischen konservativen, bürgerlichen und christlichen Presse als einzige Vorbilder, Kampfgenossen, Freunde und Helfer im „Weltkampf gegen den Kommunismus“ jene kleine, aber agile intellektuelle atheistische Clique abgesprungener Exkommunisten vorstellen lassen müssen, die es selbst prächtig versteht, ihre Führerbegabung in diesem Ringen anzupreisen und hochzurühmen. Die Verwirrung eines gewissen Westeuropa kann keinen höheren Grad erreichen als eben diesen: Sinn, Ziel und Führung in einer Auseinandersetzung, die weit über technische Methoden, militärische Potentiale, politische Tricks und Propagandaaktionen hinausreicht, will man sich also von Männern aufzeigen lassen, von denen nur ganz selten einer bisher bewiesen hat, daß er die alten Werte des Abendlandes zu erneuern oder echte neue Werte, Wirklichkeiten, Horizonte zu präsentieren vermag. Das gilt für jenes glänzende Team begabter und raffinierter Literaten von Arthur Köstler bis zu Stephan Spender... Nihilismus, ästhetisch, existentialistisch oder psychologisch verkleidet, blickt aus ihren Werken, die Aktionen aber, die sie Vorschlägen, übertragen das alte Kampfschema mit allen seinen Schlagworten, die auf braunen und roten Schulungsburgen gelehrt wurden, eilfertig in den Dienst ihrer neuen Brotgeber. Keiner von diesen neuen Rattenfängern hat aus eigener bitterer Erfahrung das Wissen um echte Überwindung, Lösung, Heilung mitgebracht — wie selten sind Bekehrungen, echte Bekehrungen in diesem Raume —, alle aber sind sie voll von Ressentiments, Haß — und was für uns das Wichtigste scheint: von Angst. Da aber auch noch keinem dieser unseligen Wanderer zwischen zwei Welten es gelungen ist, echte Kraft, Ruhe, Zuversicht, schöpferische Hoffnung der Westwelt zu vermitteln, richten sie, und das muß ganz deutlich ausgesprochen werden, oft unendlich viel Schaden an: sie verängstigen, verwirren, stören jeden Aufbau durch ihr hysterisches Drängen („noch sind fünf Minuten Zeit, zu rüsten, zu Gegenaktionen'“ usw.). Wenn es diesen Kräften gelingen sollte, das Gesetz des Handelns an sich zu reißen, dann bestünde allerdings große Gefahr für Europa und die freie Welt.

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