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Brief an einen österreichischen Politiker

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Sehr geehrter Herr! Fünf Jahre souveräner österreichischer Innenpolitik diktierten diesen Brief, fünf Jahre jüngster Vergangenheit, von 1955, dem Staatsvertragsjahr, bis Ende 1960, von einem Anfang, der verheißungsvoll begann, bis fünf Minuten vor zwölf. Fünf Jahre österreichischer Beschönigung und des behördlich gelenkten Optimismus liegen hinter uns. Fünf Jahre Scheuklappen, Kulturgeschrei und NS-An-fäUi eit_Jmößentlis tenDienst und im Tioch-shufwesenTfünf Jahrerckitätüfige Mietskasernen und Amtspaläste; und Festspielhäuser statt wissenschaftlicher Labors, und Dienstautos zu Tausenden, mit Gemahlin und Chauffeur zur Jagd am Sonntag an Stelle ausgeglichener Bilanzen bei' den Verkihnbetriebmi Föwf Mtre Fort- f wursteln und Repräsentationsspesen, „Dienstreisen“ in alle Welt statt haraktetf'tmdjjpeli-I tische Backhendlgespräche anstatt ideologischer Konzepte: Jeder einzelne österreichische Staatsbürger könnte dies Register aus der erdrückenden Fülle persönlicher Erfahrungen beliebig fortsetzen, ins Uferlose, ins Unendliche, denn uferlos ist der Vertrauensbruch, unendlich das Versagen.

Nun geben die Enttäuschung, die Bitternis die Antwort. Eine neue österreichische Generation antwortet. Eine nüchterne und kritische Generation, die man in den Millionenauflagen gewinnbringender Publizistik pathetisch die Generation der „zornigen jungen Männer“ nennen mag, deren „Zorn“ aber nicht der Negation entspringt, sondern dem Glauben. Dem Glauben an jenes Österreich, das 1945 neu erstanden war: an die Heimat der Freiheit und Gesinnung, für die stets nur eine kleine Zahl von Männern eintrat — 1938 vergeblich, 1945 mit den Waffen, 1960 mit schonungsloser Offenheit gegen jene, denen Österreich bloß ein Tummelplatz privater und halbprivater Interessen ist, und eine Idee, nur am parteipolitischen Papier und in der Schlußbilanz des Jahres. Ein zum Ausverkauf ausgeschriebener Warenschuppen, in dem die

Tradition gehandelt wird, die Falschmünzen der Ideale und die politische Karriere.

An den Zweckpolitiker, an den Politiker von Beruf, nicht von Berufung, an den Politiker der ausgehandelten Portefeuilles, nicht der Handlungsvollmacht der Polis, ist dieses Schreiben gerichtet. An den Manager, nicht an den Mann des Volkes. Und so wird es denn zwangsläufig kein freundschaftlicher Brief sein können, denn der Manager hat keine Freunde. Parteifreunde wohl und eine Klientel, aber kein befreundetes Volk. Er kommt zwar aus dem Volk, der Karrierepolitiker der Zweiten Republik, aber er kommt ohne dieses Volk aus. Er ist zwar Republikaner, wenn's wahr ist, aber die res publica ist nur in zweiter Linie für ihn bindend. Und er ist Demokrat, und sei es auch nur deshalb, weil er ohne sein Lippenbekenntnis zur Demokratie in unseren Tagen nicht an die Macht gelangen könnte, und er gibt sich demokratisch-volkstümlich, was ihm verhältnismäßig leicht fällt, denn nur selten vermag er nach der Schrift zu reden, am d e m o s — an der Volksgemeinde aber hat er keinen Anteil. Alle vier Jahre einmal betreibt er mit Hilfe der Wahl-arithmetiker die längst fällige Demoskopie und gibt, um das im Volke latente Mißtrauen einigermaßen zu beschwichtigen, die entsprechenden Versprechen ab. Darüber hinaus aber gilt sein Amt seiner Karriere, seinem Einfluß, seinem Berufseros im besten Fall, sonst aber keinem Ding auf dieser Welt.

Es sei denn seiner Empörung, wenn Stimmen von Nichtpolitikern, also von Berufsfremden und daher Unberufenen in seinen Augen, sich wider ihn erheben. Dann konsultiert er seinen Parteianwalt, um zu erforschen, wie weit seine Macht der gesetzlichen Mitte! reicht, um die Kritik zum Schweigen zu bringen. Und meint, nur weil er in solchen Fällen bloß zum Anwalt geht, anstatt gleich zur Polizei, seine demokratische Gesinnung hinreichend bewiesen und alle wider ihn erhobenen Argumente widerlegt zu haben.

Denn zweierlei Dinge sind (besonders unseren bürgerlichen) Politikern nicht abzusprechen: sie halten sich mit ziemlicher Genauigkeit an die Spielregeln der Demokratie und — sie halten dies für ein nicht zu überbietbares Verdienst. Für einen sichtbaren Akt äußerster Selbstüberwindung und vorbildlicher Freiheitsgewährung, denn der Traum des Politikers dieser Gattung ist ja doch ein autoritäres Beamtenregime, wie es der Vormärz hervorgebracht hat: ein Vorbild eminent österreichischer Regierungsform, der nachzutrauern als eine mehr oder minder sichtbare Pflichtäußerung aller konstruktiven Kräfte des bürgerlich-österreichischen Patriotismus gewertet wird.

„Konstruktiv“ und „positiv“, das sind die Kampfparolen wider jene andere „destruktive“, wenn nicht gar „nihilistische“ Gesinnung, der es beispielsweise nicht einleuchten mag, daß der überlieferte Typ des Karrierepolitikers, ohne daß ihn Skrupel überkämen und mit der Rechtschaffenheit des aus Gewöhnung Ahnungslosen, allen seinen Einfluß aufzubieten jederzeit bereit ist, um den familiennahen Neffen, Schwägern, Schwiegersöhnen und deren Bekannten Posten zuzuschanzen — und sei es auch nur in der instinktiven Einsicht, daß nur hier Fleisch vom eigenen Fleische, nämlich antimarxistische Gesinnung von antimarxistischer Gesinnungstradition, zu finden ist: Eine Kampfgemeinschaft für die gute bürgerliche Sicherheit, die damit erkauft, abgesichert und fortgepflanzt wird, indem er, der aufrechte Verteidiger seines „Abendlandes“, allen seinen Einfluß aufzubieten bereit ist, um den familiennahen Neffen, Schwägern, Schwiegersöhnen und deren Bekannten Aufträge und Lizenzen zuzuschanzen. Von der Korruption, dem harten Wort, darf in solchem Zusammenhang nicht gesprochen werden, denn erstens muß es dem derzeit noch gültigen Be-richtigungsgesetz zufolge sofort und unter Arrestandrohung zurückgenommen werden, und zweitens schädigt solch frevelhaftes Wort die Abwehrkraft wider die drohende Verstaatlichung.

Was wiederum den Funktionär-Politiker der roteni Reichshälfte, in konsequenter Abneigung, gegen das individuelle Protektionsjpirtschafts-wunder und das Protektorat der vermeintlich wundertätigen Staatsprotektionswirtschaft vor Augen, nicht ruhen läßt: er tut dasselbe seinerseits und ohne Rücksicht auf Verluste im Staatsbudget für die Partei. Worunter freilich keinesfalls an einen aus der Summe aller Parteigänger zusammengesetzten Volkskörper gedacht werden darf, sondern vielmehr an „die Partei“, an den Apparat, an die bürokratische Klientel der Organisation. 'Denn die Organisation ist alles, der Wähler bloß Objekt der Wahlwerbung und Mandatserrechnung. Um ihn zu gewinnen, macht man ihm Zugeständnisse, und zwar keineswegs auf ideellem Gebiet, denn da hat man nichts zu bieten, sondern auf wirtschaftlichem: auf dem Lohnsektor, auf dem Arbeitsunlustsektor, auf dem Neidsektor. Und wenn es nicht anders geht, dann auch auf dem Raubbausektor.

Und das Parlament? Ein Schlagwort der Verfassung, ein Gebäude. Nicht mehr. Und die Abgeordneten darin: Souveränitätsträger des Volkes, tragfähige Pfeiler der Demokratie? Der eine und der andere mag es sein, auf eigene Gefahr, nach eigenem Gewissen. Alles in allem aber sind die Mandatare in Österreich, sofern sie nicht in einem Karriereausschuß sitzen, Listenträger, Lastenausgleichsträger des Ministerrates, Stimmenzuträger für die Parteihierarchie. Solange der österreichische Mandatar über sein Mandat, das ihm der Wähler überantwortet hat, nicht selbständig, sondern nur im Einvernehmen mit den Wünschen der Fraktion entscheiden kann, solange ist die Volksvertretung in Österreich, bei aller Wertschätzung des einzelnen, weder Gesprächspartner noch Instanz. Woran auch das unlängst lautgewordene koalitionsmüde Bürgerblockgemurmel nichts ändern kann, noch will, denn der Fraktionszwang, das „einigende Band“, erfreut sich in diesem Lager bester Gesundheit.

Vom Konjunkturfieber und dem Flitterwochenoptimismus seit dem Abzug der Besatzung abgelenkt und eingeschlummert, nahm die Bevölkerung das alles hin, ließ sich gefallen den Schein des scheinbar unversiegbaren neuen Reichtums und den (mittlerweile unlängst vor der UNO arg gedämpften) Glauben, daß die Augen aller Welt, verzückt und hingerissen von soviel Anmut und Kultur in den Alpen, auf uns ruhen; er lebte dahin im Glauben, ein bißchen

Schlamperei sei wohl dabei, dieser aber, fesch und unserem Volkscharakter durchaus angemessen, hindere den Aufstieg nicht, und sonst sei eh alles in Ordnung.

Um so herber war dann das Erwachen, als sich heuer die Budgetlücken eines im Wohlstand verschuldeten Staates nicht mehr vertuschen ließen. Als es offensichtlich wurde, daß die Verpflichtungen, die dem Staatshaushalt bedenkenlos und meistenteils um propagandistischer Effekte und parteipolitischen Kuhhandels willen aufgelastet worden waren, zu groß und die Großmannssucht der Prunkbauherren der neureichen Republik daran schuld war. Als es plötzlich dem Bürger mit erschreckender Deutlichkeit ins Bewußtsein kam, daß Österreich, wiewohl reich an Tradition, ein nicht sehr reiches Land ist, das, um den Bau einer einzigen

Autobahn zu finanzieren, alle Kraft aufbieten muß. Und als es der Republik passieren mußte, daß ehemalige Nationalsozialisten im Parlament (bedenklich und bezeichnend genug, daß sie mitsamt ihrer ungeleugneten antiösterreichischen und antidemokratischen Vergangenheit da sitzen) die Abgeordneten zur demokratischen Ordnung rufen durften. Von da ab weiß es jeder: die Zweite Republik ist, fünf Jahre, nachdem sie souverän geworden war, an einem Tiefpunkt angelangt.

Der Bürger hat bisher die Zeche bezahlt — und noch, solange der Wohlstand blüht, geht es um materiellen Ärger, um den unleidigen Hader mit dem Fiskus. Aber Gott möge es verhüten, daß er eines Tages die ganze Rechnung wird begleichen müssen. Die Kauflust feiert Triumphe, die Weihnacht ist nur noch ein Kauffest, die

Wirtschaft tauscht höhere Löhne gegen höheren Konsum, das Abendland ist ein Warenhaus geworden, es lebt bloß noch vom Umsatz. Aber die Wirtschaftskrise, die jeden Tag ausbrechen kann in irgendeinem Goldhort dieser freien Wirtschaftswelt — und wo wird es entschieden werden, das Weiterleben? Beim parteipolitischen Plausch in Grinzing? Oder im stummen Parlament? Wir werden keine Reserven haben: weder an Gold noch in der besseren Währung geistiger Werte.

Der Karrierepolitiker unserer Tage hat die Souveränität des Volkes, das Vertrauen und den Tag der Fahne abgeschafft. Er hat die Fahne nach dem Wind seines Klubs gehängt. Gott schütze uns vor dem Sturm.

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