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Keine Insel der Seligen mehr

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In den letzten Jahren zeichneten sich jedoch Anderungen ab, die mit den neuen Forderungen zu einem deflnitiven Hineinmanovrieren un-serer Wirtschaft in das Fahrwasser einer inflationistischen Lohnpolitik wurden. Den Auftakt bildeten be­reits die Abschliisse in der Leljens-mittelindustrie: Zum Beispiel wurde den Brauereiarbeitern eine 13,2pro-zentige Lohnerhohung ab 1. Janner 1972 gewahrt; das aber wurde von diesen noch als ungeniigend erachtet, und mit Hilfe wilder Streiks wurde eine weitere Steigerung des Stun-denlohnes um 95 g ab 1. Juli dieses Jahres erzwungen. Wenn wir beden-ken, daB in der Bundesrepublik Deutschland derzeit schon Ab­schliisse unter 10 Prozent als sehr hoch betrachtet werden, und daB in dem von der Teuerung noch viel starker als Osterreich geplagten Grofibritannien die Regierung eine Erhohung der Bergarbeiterlohne um mehr als 12 Prozent als untragbar ansieht, und das, obwohl die kriti-schen Kumpel, sehr im Gegensatz zu den osterreichischen Brauereiarbei­tern, in der nationalen Lohnskala der letzten Dekade weit nach unten gerutscht sind (von der Spitzen-region an den 16. Platz), so zeigt sich, wie sehr sich — auch im internatio-nalen Vergleich — das osterreichische Lohnklima verschlechtert hat.

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In den letzten Jahren zeichneten sich jedoch Anderungen ab, die mit den neuen Forderungen zu einem deflnitiven Hineinmanovrieren un-serer Wirtschaft in das Fahrwasser einer inflationistischen Lohnpolitik wurden. Den Auftakt bildeten be­reits die Abschliisse in der Leljens-mittelindustrie: Zum Beispiel wurde den Brauereiarbeitern eine 13,2pro-zentige Lohnerhohung ab 1. Janner 1972 gewahrt; das aber wurde von diesen noch als ungeniigend erachtet, und mit Hilfe wilder Streiks wurde eine weitere Steigerung des Stun-denlohnes um 95 g ab 1. Juli dieses Jahres erzwungen. Wenn wir beden-ken, daB in der Bundesrepublik Deutschland derzeit schon Ab­schliisse unter 10 Prozent als sehr hoch betrachtet werden, und daB in dem von der Teuerung noch viel starker als Osterreich geplagten Grofibritannien die Regierung eine Erhohung der Bergarbeiterlohne um mehr als 12 Prozent als untragbar ansieht, und das, obwohl die kriti-schen Kumpel, sehr im Gegensatz zu den osterreichischen Brauereiarbei­tern, in der nationalen Lohnskala der letzten Dekade weit nach unten gerutscht sind (von der Spitzen-region an den 16. Platz), so zeigt sich, wie sehr sich — auch im internatio-nalen Vergleich — das osterreichische Lohnklima verschlechtert hat.

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Das gilt zum Beispiel fiir die For­derungen der Bau- und Holzarbeiter — beileibe keine Stiefkinder —, deren hohe Lohne sogar schon man-chen qualifizierten Facharbeiter in den letzten Jahren aus den Fabriken auf den Bau lockten: sie machen 20 Prozent vom Kollektivlohn aus, wozu fiir die Bauarbeiter noch eine zehnprozentige „Bauzulage“ kom-men soli, plus Indexbindung der Lohne, plus andere rahmenrecht-liche Besserstellungen, per saldo mindestens 45 Prozent Lohnkosten-erhohung. Was das fiir das Wohn-bauvolumen und die Preise der Wohnungen bedeuten muB, kann sich jeder auf Grund der Tatsache ausrechnen, daB der Anteil der Lohne an den Gesamtkosten im Hochbau etwa 60 Prozent betragt.

DaB das Beispiel der Bauarbeiter auch in den iibrigen Branchen Schule macht, ist eine Erfahrungs-tatsache. Selbst eine 50prozentige Kurzung der Bauarbeiterforderun-gen muBte daher — zusammen mit den daran ausgerichteten Forderun­gen anderer Gewerkschaften — einige kraftige Drehungen der Inflationsspirale mit sich bringen. Dagegen wiirde auch ein rigoroses Preisregelungsgesetz, das die Regie-rung als Allheilmittel hinstellt, nichts helfen. Die Opfer einer solchen Lohnpolitik sind letzten Endes alle Lohn- und Gehaltsempfanger, noch mehr die Sparer und Pensionisten. Setzt sich bei den Arbeitnehmern und vor allem ihren Vertretern noch immer nicht die Erkenntnis durch, daB dieser Rausch der Prozente sinnlos ist, und daB eine Stabilisie-rung der Wahrung die Voraussetzung fiir eine sinnvolle Lohnpolitik ist? Sollten jene Krafte, die auf Grund der knappen sozialistischen Parla-mentsmehrheit Sozialpartnerschaft und Arbeitsfrieden bereits fiir obso-let halten — in den als Vorbereitung fiir den SPO-Parteitag erschienenen „Roten Markierungen“ werden sie off en in Frage gestellt — bereits die Oberhand erhalten?

Jene ganz schFauen Unternehmer, die von einer sozialisti-schen Regierung eitel Frieden an der Lohnfrunl erwartet hatten, da doch die sozialistisch domirtierten Geweikschaften „ihrer“ Regierung keine SchWierigkeiten machen wiirden, rieben sich erstaunt die Augen, als in den letzten Wochen die neuen Lohn-forderungen von den Geweikschaften auf den Tisch geknallt wurden. GewiB steckt in diesen noch ein bereits vorkalkulierter Verhandlungsspielraum drinnen, der es den Unterhandlern ge-stattet, den Unternehmein Kozessionen zu machen und doch das zu erhalten, was die Gewerkschaften eigentlich wollen; aber auch unter diesen Voraussetzungen ergibt sich noch eine kraf-tige Eskalation der Lohnpolitik.

Fiir unsere derzeit vom Inflations-fleber geschiittelte Wirtschaft ist das freilich keine spnderlich gesunde Diat. Zwar gehort es zu den Stereo-typen der Gewerkschaftspublizistik, die Preiswirksamkeit von Lohnerho-hungen kurzerhand zu leugnen, zwar werden in den demonstrativen Kal-kulationen der Unternehmerschaft die Lohnerhohungen allzu mecha-nisch auf die Preise iibertragen und dadurch die Argumentation der Ge­werkschaften eher unterstiitzt als widerlegt, aber eine nuchterne Be-trachtungsweise kann die Zusam-menhange zwischen Lohnen und Preisen nicht leugnen, wenn sie diese auch differenzierter sieht als die beiden Koritrahenten.

Nun ist die Lohnpolitik gewiB nicht die einzige Ursache der inter-nationalen Inflation, aber sie leistet einen gewichtigen Beitrag dazu. Ihr muB daher auch ein Beitrag zur Sta-bilisierung abyerlangt werden. Die heute iibliche Methode der Gewerk­schaften, alle Verantwortung fiir die Inflation von sich zu weisen und da­her mit der bebenden Stimme der gekrankten Unschuld deren „Abgel-tung“ — natiirlich zusatzlich zur „normalen“ Lbhnerhohung — zu fordern, muB — und das sei hier im vollen Ernst und ohne jede theatra-lische Panikmache gesagt — zu einer wirtschaftlichen Katastrophe fiih-ren, deren Opfer nicht zuletzt auch die Arbeitnehmer sind. Was sich zur Zeit in England abspielt, ist erst ein Vorgeschmack.

Bisher waren wir Osterreicher ge-wohnt, unser Land als eine Insel der Seligen anzusehen, von der aus wir mit amiisiert-unglaubigem Staunen die wilden, selbstzerfleischenden Arbeitskampfe in anderen Staaten betrachteten — im vollen BewuBt-sein des Umstandes, daB uns die Vernunft und die Kompromifibereit-schaft der Wirtschaftspartner nicht nur Streikaktionen in grofieren Dimensionen, sondern auch tiber-maBige, stabilitatsgefahrdende For-derungen erspare. Diese MaBigung der Gewerkschaften hat sich in den letzten Dezennien sehr bewahrt, denn trotz relativ bescheidenen Stei-gerungssatzen holte der osterreichi-sche Massenwohlstand gegeniiber einst reicheren Landern deutlich auf. Als spate, gleichsam iiberstandige Frucht dieser MaBigung konnten wir im Vorjahr auch noch die Schilling-aufwertung kassieren.

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