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Mit dem Jubel warten

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Nach siebenjahrigen Verhandlun-gen steht die Unterzeichnung des zweiten Abkommens zwischen den USA und der UdSSR zur Begrenzung der strategischen Riistungen unmit-telbar bevor. Die inhaltlichen Um-risse dieser dreigeteilten Absprache -der bis 1985 giiltige Vertrag, das bis 1982 laufende Protokoll und eine Ab-sichtserklarung betreffend SALT III - sind der Offentlichkeit bekannt, wenn auch die auBerst komplexen strategisch-technologischen Zu-sammenhange selbst fur Fachleute kaum zu durchschauen sind.

Eines laBt sich jedenfalls feststel-len: SALT II kann kaum als Abrii-stungsmaBnahme, sondern besten-falls als Versuch einer Einbremsung beim Bau der Nuklearpotentiale der beiden Supermachte gesehen werden. Dabei wird der technologischen Verbesserung und der Entwicklung neuer Waffensysteme durchaus auch in der Zukunft freier Raum gelassen. Wie bescheiden der Riistungswett-lauf durch SALT II beriihrt wird, er-gibt sich u. a. aus einem Blick auf die Verteidigungsbudgets der Supermachte, die schon fur die nachsten Jahre - SALT hin, SALT her - weit-gehend feststehen.

Aus auBenpolitischer Sicht stellt das Abkommen zweifellos einen sehr bedeutsamen Schritt im Entspan-nungsprozeB dar, der diesen lang er-warteten Impuls dringend notig hat. Wenn auch die Ratifikation von SALT II in den USA noch nicht gesi-chert erscheint, so konnen doch als Folge dieses Abkommens erhohte Chancen fur die Wiener Truppenab-baugesprache fur eine Reihe von seit Jahren bei der Genfer Abriistungs-kommission in Verhandlung stehen-den Vereinbarungen und nicht zu-letzt fiir das Madrider Folgetreffen der Konferenz fiir Sicherheit und Zu-sammenarbeit in Europa (KSZE) er-wartet werden.

Fiir einen Staat im Zentrum Euro-pas ist jede Schwalbe am Entspan-nungshimmel zu begriiBen. Wir miis-sen uns aber bewuBt sein, daB SALT II einen Schritt in den hochsten Re-gionen der kompliziertesten Massenvernichtungswaffen-Syste-me zwischen den beiden GroBmach-ten darstellt. Bei den neutralen und paktgebundenen europaischen Staa-ten herrschen in bezug auf ihre Sicherheit aber auch noch andere Angste als diejenigen vor den Nuklear-waffen: Ein Dutzend Panzerdivisio-nen in unseren Nachbarstaaten in Bewegung gesetzt, kann fiir uns eine ebenso todliche Bedrohung darstel-len.

Daher sollte man neben dem Olymp der Superwaffen auch die niedrigeren Regionen der Angste vor Uberraschungsangriffen, des MiB-trauens vor Truppenbewegungen, der Gefahr falscher Einschatzungen der Absichten anderer und letztlich der Gefahr eines ungewollten milita-rischen Konfliktes nicht aus den Au-gen verlieren.

Dem durch neue sogenannte ver-trauensbildende MaBnahmen vorzu-beugen, ist zu Recht zum ureigensten Anliegen neutraler und blockfreier Staaten in Europa und ein aufierst lohnendes Betatigungsfeld fiir diese Lander geworden, die hier echte Ideen und Initiativen setzen konnen. Fiir kleinere Staaten wie Osterreich ist das Verhalten der Paktstaaten im Bereiche der vertrauensbildenden MaBnahmen ein Test fiir die Ehrlichkeit ihrer Absichten im Abrustungs-bereich iiberhaupt.

SALT II wirft eine Reihe von Fra-gen auf, deren Beantwortung sehr folgenschwer fiir die weitere Entwicklung des Ost-West-Verhaltnisses sein kann.

So steht die Frage im Raum, wie diese weitreichende waffentechno-logische Vereinbarung zwischen den USA und der UdSSR die Sicherheit, aber auch das subjektive Sicher-heitsempfinden ihrer europaischen Verbiindeten beeinfluBt. Wie wirkt sich SALT iiber den europaischen Rahmen hinaus weltpolitisch aus? Ist eine neue GroBallianz, eine Neudefi-nition von EinfluBspharen im Ent-stehen?,

Konnen die am 15. Juni in Wien zu unterzeichnenden Abmachungen an sich schon als erste Abriistungs-schritte betrachtet werden oder stel-len sie nur die Grundlage fiir den Be-ginn eines Weges dar, der eines Tages zu echter Abriistung fiihren kann?

Die ohne Zweifel sehr positive poli-tische Optik dieser Vereinbarung birgt potentiell die Gefahr in sich, ei-nerseits Illusionen, anderseits aber bei den jeweiligen Verbiindeten neue Angste zu wecken. Dies aber konnte auf langere Sicht die Chancen der Entspannung wieder belasten. Daher erscheint es besonders wichtig, daB im Sinne der Absichtserklarung der beiden Supermachte ohne Zeitver-lust das Verhandeln iiber SALT III aufgenommen und hiebei auf die spezifischen Anliegen und Bedro-hungsvorstellungen Europas einge-gangen wird.

Jede MaBnahme zur Eindammung des Wettrustens birgt als ein Schritt in Neuland ein Risiko in sich. Aber es ist uns inzwischen alien klargewor-den, daB das ungeziigelte Weiterrii-sten noch viel riskanter fiir unsere Existenz ist. So soil das durchaus be-rechtigte BewuBtsein des jedem Ab-riistungsschritt anhaftenden Risikos nicht zu Angst vor solchen Schritten werden, weil wir dann nie imstande waren, das viel konkretere Risiko, uns gegenseitig totzuriisten, zu ver-ringern.

Das Risiko gering zu halten und die notige Vertrauensbasis zu bewahren, ist die Aufgabe einer wirksamen Uberwachung, eines der Hauptro-bleme bei den Verhandlungen. Man kann davon ausgehen, daB das zen-trale Problem der Kontrolltechnolo-gie einigermaBen befriedigend zu Id-sen ist. Hundertprozentig perfekt kann ein Uberwachungssystem in diesem Bereich nie sein. Dies ist auch gar nicht notig: Es geniigt, wenn eventuelle Vertragsverletzungen mit sehr groBer Wahrscheinlichkeit ent-deckt wiirden.

Das Hauptproblem bei SALT II ist daher nicht so sehr darin zu sehen, wie perfekt die gegenseitige techni-sche Uberwachung funktioniert, sondern welche Auswirkungen auf das derzeit bestehende Kraftever-haltnis dieses Abkommen haben wird. Es muB sich zeigen, ob tatsach-lich das Krafteverhaltnis, das bisher einen Konflikt ausschloB, in Zukunft auf einen niedrigen Riistungsstand gebracht und trotzdem bewahrt blei-ben kann. Oder schaffen die verbes-serten Waffenqualitaten, die Fort-schritte der Riistungstechnologie und die groBer werdende Zielgenau-igkeit der kiinftigen Generationen von Nuklearsprengkorpern ganz andere, neue Bedingungen, die Erst-bzw. Zweitschlagkapazitaten von heute auf morgen in Frage stellen konnten?

Freude iiber den AbschluB von SALT II ist angebracht, aber auch Realismus in der Einschatzung der Auswirkungen. Mit Jubel darf ruhig noch etwas zugewartet werden.

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