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Ein Buhnenwerk kann durchfaUen und wird doch vielfach nachgespielt. Das Stuck „Davor" von Giinter Grass wurde vor einem Jahr nach der Uraufiiihrung in Berlin als Versager beurteilt. Aber seither haben es siebzehn deutschsprachige Biihnen aufgefuhrt oder angenommen. So stark wirkt der Name Grass. Diese Dreizehn-Szenen-Dramatisierung des mittleren der drei Kapitel aus des Autors Roman ..Ortlich betaubt" — besitzen einen Absprung von packender Aktualitat. Der Schiiler Fhilipp Scherbaum, genannt Flip, ist cntsetzt iiber den Napalmkrieg der Amerikaner in Vietnam und will das Gewissen seiner Mitmenschen zu einem vveltweiten Protest aufriitteln, indem er seinen Dackel Max am Berliner Ku-Damm vor den torten-essenden Damen der Kempinski-Terrasse mit Benzin iiberschuttet und verbrennt. Nur dann wird man seiner Meinung nach kapieren, daB die ..Amis unten Menschen verbrennen".

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Ein Buhnenwerk kann durchfaUen und wird doch vielfach nachgespielt. Das Stuck „Davor" von Giinter Grass wurde vor einem Jahr nach der Uraufiiihrung in Berlin als Versager beurteilt. Aber seither haben es siebzehn deutschsprachige Biihnen aufgefuhrt oder angenommen. So stark wirkt der Name Grass. Diese Dreizehn-Szenen-Dramatisierung des mittleren der drei Kapitel aus des Autors Roman ..Ortlich betaubt" — besitzen einen Absprung von packender Aktualitat. Der Schiiler Fhilipp Scherbaum, genannt Flip, ist cntsetzt iiber den Napalmkrieg der Amerikaner in Vietnam und will das Gewissen seiner Mitmenschen zu einem vveltweiten Protest aufriitteln, indem er seinen Dackel Max am Berliner Ku-Damm vor den torten-essenden Damen der Kempinski-Terrasse mit Benzin iiberschuttet und verbrennt. Nur dann wird man seiner Meinung nach kapieren, daB die ..Amis unten Menschen verbrennen".

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Es geht hier somit, wie bei Protest-aktionen, die sich tatsachlich ereig-neten, ausschlieBlich gegen die Kriegsverbrechen der Amerikaner, Flip nimmt, dies zeigt sich, still-• schweigend an, daB es derlei bei den via?ruppen der kommuntetischen Dik-taturen nicht gibt. Zweifellos ware das Verbrennen des Hundes eine abscheuliche, aber doch etwas kin-dische und kaum sehr wirkungsvolle Tat. Giinter Grass will eben damit merkbar das Pubertare bei den Pro-testaktionen der Jungen bloBstellen. Er, der politisch Tatige, setzt sich mit seinem Stuck von diesen Rebellio-nen ab.

Verbrennt Flip den Hund? Nein, er diskutiert dariiber mit seinem Leh-rer, dem Studienrat Starusch, mit der chinesenhorigen, Mao verehren-den Schulerin Vero, Starusch diskutiert iiber Flips Absicht weiters mit seiner Kollegin Seifert und mit einem Zahnarzt, bei dem er in Behandlung steht. Alles Fur und Wider wird erwogen, verworfen, neuerlich in Betracht gezogen, Vero hetzt, Starusch bremst, und ihm folgt er schlieBlich. Das Davor ist kein Davor. Im klassischen Drama entsteht der EntschluB zur Tat meist In einem einzigen Monolog, hier benotigt die Entscheidung, die Tat nicht zu tun, ein ganzes Stuck. Das wirkt ermiidend, es fallt Grass zuwenig ein.

Die Studienratin Seifert klagt sich an, in der Nazizeit einen Bauern denunziert zu haben, was nur durch das Kommen der Amerikaner keine Folgen hatte. Sie will dies vor ihrer Klasse bekennen, tut es aber dann doch nicht. Flip sagt von seinem Plan: „Ich krieg' es nicht hin." Dem-entsprechend heiBt es einmal, wir seien keiner spontanen Handlung mehr fahig. Nebenbei: Das gab es bereits bei Grillparzer. Ist es Kritik? Will Grass nun doch zu politischer Aggression anspornen? Keineswegs. Der Zahnarzt, Bekampfer der Karies, spricht die Quintessenz aus:Vorbeu-gen sei besser als bohren.

*

Da es in diesem Stuck ausschliefilich um Diskussionen geht, ist die Biihne selbst der Schauplatz, der — simul-tan — flktive Orte der Gesprache vereint, so daB die Figuren lediglich nach den Erfordernissen des jeweils Disputierten auf- und abtreten und iiber den Schauplatz hinwegspre-chen. DaB dieses Stimmengeflecht, dieses Ineinander verschiedener Argumente, bei der Auffuhrung nicht vollig absinkt, ist ein Verdienst

des Regisseurs Erich. Margo, der fiir Frische, Intensitat, Tempo sorgt und die Figuren durch die Schauspieler seelisch Profll gewinnen laBt. Joseph Hendricks ist ein gelassen mensch-liener, giitig ;milder Studienrat, Trqute Wassler gibt der Studienratin die Verhartung durch die Selbstvor-wiirfe, Ernst Meister argumentiert als Zahnarzt doktrinar iiberlegen. Jungenhaft unreife Engagiertheit glaubt man Wolfgang Quetes, dage-gen iiberzeugt die fast atherische Erika Mottl als Vero, in der die zukunftige politische Megare steckt, nicht restlos. Fiir das andeutende Buhnenbild zeichnet Wolfgang Voll-

hard, fiir die Kostiime Mario Peyerl. *

Es gibt Stucke, die unsere Wunsch-vorstellungen hinsichtlich des Laufs der Dinge als erfullbar darstellen. Zu diesen Vorstellungen gehort es, daB das Vertrauen. auf das Gute im Menschen immer siegen moge. Das zeigt der Amerikaner John Patrik in der Komodie „Lumpen", die der-zeit in der Tribune zu sehen ist. Eine gutherzige, alte Frau halt drei Verbrecher, die sich bei ihr einquar-tieren, fiir ebenso arglos wie sie selbst es ist. Die Ganoven schlieBen fiir die liebenswerte Ahnungslose eine hohe Lebensversicherung ab und wollen sie dann umlegen, um das Geld einzukassieren, aber jeder dieser Anschlage geht fehl. Letztlich wirkt ihre Gute sogar auf Verbrecher ansteckend, sie geben den Plan auf. John Patrik, der wirkungsvolle Stucke geschrieben hat, die berech-tigt Welterfolge wurden, verbindet in diesem Schwank — die Bezeich-nung Komodie stimmt nicht — Schnulzenhaftes mit unzumutbarem Verbiegen des noch Moglichen. Ein erheblicher Abstieg. Gisa Wurzel gibt der Vertrauensseligen unter der Regie von Peter M. Birkhofer Warmherzigkeit und Alterscharme.

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