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Wintermarchen in den Alpen— Feuer im Wald

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Kleine Alpengeisterl und grofje Alpengeister, alle in watte-wei-chen weiBen Kostiimen, sie purzeln lustig durcheinander und lo-sen ein Schneetreiben aus. Da entsteht eine wahre Winterpracht (Biihnen-bild Ferdinand Wogerbauer), da liegt das Reich des Alpenkonigs und dort-hin entfuhrt Peter Stein sein Publi-kum, wo auch schon die Liebenden, Malchen (eine reizende Dorothee Hartinger) und ihr Maler August Dorn (Fritz Hammel) einander in die Arme gleiten.

Steins marchenhafte Inszenierung halt, was sie zu Beginn verspricht und ubertrifft sich zuweilen sogar selbst. Besonders dann, wenn Otto Schenk als Rappelkopf, ein echter osterreichi-scher Grantscherm sich von seinem MenschenhaB geplagt in die Tiefen des Kohlenkellers zuriickzieht. Eine treffende Metapher fiir die Tiefen der Seele. Und dort rappelt es sich gleich noch einmal so gut, wenn sich der Die-ner I labakuk (bestens besetzt mit Walter Schmidinger) zum Holzhacken in den Keller mit einer 1 Iacke wagt. Will er ihn ermorden? Rappelkopf glaubt's, und was liegt da naher, als vom Koh-lenkeller gleich zum Entstehungsort der Kohlen, in die Kohlerhiitte in wilder Natur zu fliehen.

Und da wartet Stein mit gleich noch einem I lohepunkt auf. Die Kohlersze-ne: Sah man sich schon im Hause Rappelkopfs ins Biedermeier versetzt, wird die Kohlerhiitte zum lebendig gewordenen Bilderbuch: dort wird gestritten, gegrolt, gejammert und gebellt, ja das auch, denn Hund und Katz diirfen da nicht fehlen, beide tra-gen ihre Rollen sichtlich gelassen.

Was Otto Schenk als Rappelkopf leistet, sei es in der Spiegelszene oder im Gesprach mit sich selbst, konnte besser nicht sein. Zwischen abgriindi-ger Melancholie und herrischer Selbstsucht schwankend vergiBt er nie, daB er eigentlicheinen Menschen darstellt, verletzlich und selbstsiich-tig, einen Menschen mit Schwachen, der sich gem vom Lohnerschen Astra -lagus in dessen Reich entfiihren laBt.

Kann es da noch Seinesgleichen ge-ben? In der Tat, der zweite Teil ubertrifft sogar die kiihnsten Erwartungen, wenn Helmut Lohner, der nun Schenk zum Verwechseln ahnlich sieht, als Rappelkopf explodiert, randaliert, seine Umgebung in Angst und Schrecken versetzt. Das ist hochste Schauspiel-kunst und die Pointe des Abends. Denn nun gibt es zwei Rappelkopfe, die kaum mehr zu unterscheiden sind. Ein SpaB, der jedoch nicht den Ernst des Stiicks vergiBt, denn Raimunds Melancholie darf nicht einfach wegpar-odiert werden. Aber das macht Stein dann auch nicht. Denn gerade weil eben alles so marchenhaft ist, kann es auch nur Marchen sein,

DaB der zweite Teil so fulminant gelingt, ist vor allem drei Darstellern zu verdanken, dem Lohner-Schenk-Team und dem dritten im Bunde,

Walter Schmidinger, wenn er im Duo mit Schenk am Haberkukschen Para-desatz „ich war zwei Jahre in Paris" fast zu ersticken drcht. Weiblichen Charme verspriiht die Stimmkiinstle-rin Tania Golden als Lischen, die mit jugendlichem Temperament der Stu-benmadlerei alle Ehre macht. Ger-traud Jesserer wirkt souveran als Rap-pelkopfs Frau.

Wenn am Ende die menschen-feindlichen Winterstiirme dem Stein-schen Friihlingszauber weichen, wird man gewahr, dafi derlei vielleicht ehest im Marchen moglich ist, aber das ist eben Raimunds Stuck und genau das und nichts anderes hat Peter Stein erzahlt und das auf hochstem Niveau. Mit seiner winterlichen Inszenierung hat er gezeigt, dafi Raimund keiner Zusatzinterpretation bedarf, sondern feinfiihliger Nuancierungen zwischen Melancholie und Euphorie, die den Text fur sich sprechen lassen. Eine stimmige Inszenierung und eine Hommage an den osterreichischen Zaubermarchenerzahler.

Als Felsenreitschiiler hat sich der lungstar der Theaterszene und Bo-chumer Intendant ein sehr gutes Zeugnis verdient. Als Shakespeare-Inszenierer gebiihrt ihm indes nur ein

Gut fiir seinen „Sommernachts-traum". Denn im sommernachtli-chen Wald, markiert von griinen Leucht-Lettern „The Wood", eine Anspielung auf Hollywood, turnen die vier Protagonisten der Liebe iiber Bert Neumanns Holzbretter und Geriiste im Soldatenoutfit, schreien und stbhnen, doch nur eben so, wie man annehmen konnte, sie sollten es in einem ihrer ersten Schauspielse-minare iiben. Oliver Stokowski (Ly-sander), Jan-Gregor Kemp (Demetrius), Steffi Kiihnert (Hermia) und Sabine Orleans (Helena) sind keine Liebenden, sondern nachtliche Ausfliig-ler, die sich scheinbar zufallig zum Mi-

xed-Double zusammenfinden. Verzau-bert sie Oberon (Christof Grashof), sprechen sie wie auf Knopfdruck „Hel-lo, I love you", und dabei bleibt es auch. Wo es tatsachlich funkt - und das nicht nur durch die ausgezeichnete Pyro-technik Christmanns, der zur Blustra-tion des Liebesakts von Titania und Langohr Zettel gewaltige Feuerfonta-nen aufsteigen laBt - ist das Elfenreich. Almut Zilcher, eine liebestolle Titania und Otto Sander, der in einen feel ver-zauberte Zettel, der weiblichen Wahn-sinn zu seiner vollsten Befriedigung auszuniitzen versteht, geben ein Liebespaar ab, dem man seine Augen-blicksleidenschaft sofort glaubt.

In Andre Eisermann hat HauB-mann einen listigen, frbhlichen Puck gefunden, der ihn die Felsenreitschu-le zur Ganze ausniitzen laBt. Bald laBt er sich von schwindelerregender Hohe auf einer Strickleiter aus einer Kiste herab, bald taucht er aus dem zum Teil offenen Biihnenboden auf, bald saust er durch die Gange, turnt wie ein ge-lernter Akrobat, doch nichts geht auf Kosten seiner Mimenkunst.

Gabe es im Theater so etwas wie einen Lottosechser, hatte ihn HauB-mann mit seiner Besetzung der Hand-werker gemacht: Michael Maertens, Peter Fitz, Otto Sander, Ignaz Kirchner, Hans Michael Behberg und Ulrich Wildgraber. Als selbstbewuBte Hand-werker in Anzug und mit Hut, die das Theater fiir sich entdeckt haben, de-klamieren sie als ginge es lims Ganze fiir jeden einzelnen. Und Zettels Traum? Sander traumte, er hatte, er ware ... vielleicht wirklich ein Langohr gewesen.

Man 'kommt erfrischt aus dieser Auffiihrung heraus. Allein das Ver-dienst von Sander und Co. oder war es nicht doch HauBmanns respektloser Umgang mit dem groBen Englander? Beides ist richtig, denn Leander HauB-mann spart nicht mit seinen Einfallen, denen er ruhig vertrauen kann.

Koniglicher Triumph

Er ist nervos, jugendlich, wild aber zu schwach fiir einen Konig. Fiona Shaw brilliert beim Gastspiel des Boyal National Theatre auf der Perner Insel als Bichard II. Deborah Warner (Begie) und Shaw sind ein eingespieltes Team. Sie machen aus mehr als drei-einhalb Stunden reinem Sprechthea-ter im besten Wortsinne - das Biih-nenbild beschrankt sich auf wenige Bequisiten - ein spannendes Konigs-drama.

Shaw ist keine Frau, die einen Mann spielt, sondern die Darstellerin eines Konigs, eines Verlierers. Lassig laBt sie sich auf den Thron fallen, spricht Ur-teile oder zieht furios in die Schlacht. Weise dankt sie ab und iiberbringt Bo-lingbroke (Bichard Brammer) die Krone in einem Korb. Mit Effekten wird nicht gespart, doch diese werden eben nur mit Shakespeares Text (in engli-scher Originalfassung), und hoch-karatigem Schauspiel erzeugt.

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