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Wie der Adel des französischen achtzehnten Jährhunderts reif war für den Untergang, so auch das Wiener Großbürgertum der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Arthur Schnitzler hat diese damals führende Gesellschaftsschicht demaskiert, zugleich aber auch ihren Charme gezeigt. In der Tragikomödie „Das weite Land“, die derzeit im Theater in der Josefstadt gespielt wird, ersteht vollendet das Wien der Jahrhundertwende.

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Wie der Adel des französischen achtzehnten Jährhunderts reif war für den Untergang, so auch das Wiener Großbürgertum der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Arthur Schnitzler hat diese damals führende Gesellschaftsschicht demaskiert, zugleich aber auch ihren Charme gezeigt. In der Tragikomödie „Das weite Land“, die derzeit im Theater in der Josefstadt gespielt wird, ersteht vollendet das Wien der Jahrhundertwende.

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Die Uraufführung fand am selben Abend in neun Theatern statt. Einige Tage danach bezeichnete Hofmannsthal das Stück in einem Brief an Schnitzler als „allerbeste Arbeit“ aus dessen zweiter Arbeitsperiode, es sei „weltlich und tief, theatermäßig und philosophisch, amüsant und bedeutend“. Uns, Heutigen bietet es die meisterliche seelische Topographie einer Gesellschaft, die, einzig dem Erotischen verhaftet, hieraus ihre Emotionen bezieht. Der Fabrikant Hofreiter erschießt aus verletztem Geltungsgefühl im Duell den jungen Liebhaber seiner feinsinnigen Frau Genia, die er selbst dauernd betrügt. Was ist der Reiz dieser Szenen, dieses „weiten Landes“ der Seele? Das Schwebende, das Diffundieren seelischer Schichten und Zwischenschichten, das Schuldigwerden durch Gewähren, Unheilbringen durch Versagen, der Tod, der hinter Liebe und Lust lauert, das Spielerische, das der Abgründe nicht entbehrt.

Regisseur Ernst Haeusserman wollte nicht, daß „zu sehr Schnitzler“ gespielt werde, er wollte das Stück — ein Versuch — unserer Zeit nähern. Das ist aber, hält man sich an den Text, in einem naturalistischen, ganz zeitgebundenen Stück schwer möglich, bei Schnitzler geht, wie es sich zeigt, der Charme, das Wienerische, verloren. So hat die Aufführung Sachlichkeit, Härte. Zwei Gäste vom Burgtheater ergeben leider keine voll deckende Besetzung. Walther Reyer legt die Rolle des

Hofreiter zu ernst, zu einschichtig an, dadurch kommt der Schluß als Kontrast nicht zur Wirkung, Aglaja Schmid bietet eine verinnerlichte, verbitterte Genia, das weiblich Reizvolle geht aber verloren. Eva Vogel als die für Hofreiter schwärmende Erna ist eine Fehlbesetzung, Christian Ghera bleibt als junger Liebhaber farblos. Den Dr. Mauer rückt Harald Harth leicht ins Skurrile. Weitere Rollen sind mit Vilma Deutscher, Guido Wieland, Erik Frey, Kurt Sowinetz deckend besetzt. Die Bühnenbildlösung von Lois Egg wirkt reizlos, unelegant.

Im Kleinen Theater im Konzerthaus wird eine Einmannproduktion vorgeführt: „Josef Lang, k. u. k. Scharfrichter“, ein Bericht über das Leb'en dieses im Jahr 1925 durch Selbstmord geendeten Henkers, den uns die Autoren Gerhard Dorfer und Anton Zettel durch ihn selbst als Bühnenfigur erstatten lassen. Der gemütliche Biedermann Lang, das „echte Wienerkind“, der ehemalige Kaffeehausbesitzer und Feuerwehrhauptmann, ist da ein zum staatlich legalisierten Mörder gewordener Herr Karl.

Aus Berufung, aus innerer Beziehung zur Sache, erfahren wir, er hält sich stolz für einen Meister, der saubere Arbeit liefert, sich „humaner“ Methoden bedient. Der Kontrast zwischen der so selbstverständlich harmlos wirkenden Metiereitelkeit Längs und dem schaurigen Zweck seiner Tätigkeit könnte den Bericht dem schwarzen Humor zuordnen, das Dokumentarische, der faktische Tod, der dahintersteht, verhindert dies.

Wegen Abschaffung der Todesstrafe pensioniert, hofft Lang auf ihre Wiedereinführung, bringt primitiv alle Argumente dafür vor. Zwischengeschaltete Lichtbilder zielen gegenwirkend auf das Grauen dieser Justiflzierungen. Das ist kein Thriller, es geht darum, zu zeigen, was in biederen Menschen stecken kann. Doch müßte man über die „innere Beziehung zur Sache“ mehr erfahren, sie wird nur erwähnt. Das entscheidende Motiv seines Selbstmordes müßte voll erkennbar sein. So bleibt das erzählte, lehrhafte Reportage. Unter der Regie von Peter Lo~ dynski stellt Felix Dworak vortrefflich die Gestalt des Scharfrichters dar.

Durch etwa 70 Stücke wurde Alexander N. Ostrowski zum eigentlichen Begründer der russischen Dramatik. Das Schauspiel „Gewitter“, das derzeit im Volkstheater gegeben wird, erweist sich aber als reichlich ungefüg. Anklagen gegen die Ausbeutung des Volkes durch die Reichen bleiben bloßes Gerede, ein betrunkener „angesehener“ Kaufmann randaliert ständig, er und eine Pilgerin sind ohne Funktion, eine vornehme Dame schreitet gespenstigfeierlich mit zwei Dienern durch das Stück. Schließlich, spät, wird erkennbar, worum es geht: Katerina lebt unter der Knute ihrer giftig bösen Schwiegermutter, kann ihren ebenfalls geknechteten, willensschwachen Gatten nicht lieben, ergibt sich in den letzten Szenen unter Gewissensbissen einem Jungen und geht ins Wasser, als er sie verlassen muß. Ein zusammengestückeltes Stück.

Statt nun das Ungefüge zusammenzuschließen, das Übersteigerte zu dämpfen, theatralisiert der Regisseur Vaclav Hudecek, was sich thea-tralisieren läßt. Der Kaufmann kann nicht genug randalieren, zwei vermeintliche Nebenbuhler müssen sich möglichst lange raufend auf dem Boden wälzen, die Gespenstige wird zur Grottenbahnfigur, die Wolga gluckst, die Vöglein zwitschern, und kommt Liebe auf, ertönt sanfte Musik. Das heißt, das Schnulzenhafte, das zweifellos als Gefahr besteht, wird hochgetrieben. Uwe Falkenbach beeindruckt, entgegen seinen sonstigen Gestalten, als willensschwacher Sohn, Kitty Speiser gibt der Katerina verhalten echtes Gefühl. Ansonsten heben sich Brigitte Swoboda und Elisabeth Epp, Herbert Propst, Hermann Schmid und Joseph Hen-drichs unter den Mitwirkenden heraus. Franz Tüchler bietet Bühnenbilder mit verstellbaren, allzu bilderbogenartigen Teilen hellgrau in Hellgrau.

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