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Komödie des Lebens

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Eine Überraschung bringt allen Theaterfreunden die „Insel” mit einer sorgfältig herausgebrachten Aufführung der mit Recht hochgerühmten Diebskomödie Gerhard Hauptmanns „D er Biberpel z”. Dieses Stück will heute neu gesehen werden. Nicht einfach als eine Drollerie, eine Burleske um das Schel- menstück einer guten Sünderin — dieser Waschfrau Wolff. Einst lachte die vornehme Welt am Kurfürsten- wie am Alsterdamm, im kultivierten Berlin und Hamburg, in Düsseldorf und München über das große Glück, das kleinen, vom Schicksal scheel angesehenen Leutchen so seltsam krumm ins Haus läuft: in der Gestalt eines Biberpelzes, den der gute Rentier Krüger unfreiwilligfreiwillig seiner braven Putzfrau zur weiteren Verwendung überläßt… Heute haben sich die Aspekte gewandelt. Wir vermögen nun, in dieser Komödie, in der die Waschfrau Wolff mit wenigen entschlossenen Zügen das Spiel um und gegen den Amtsvorsteher von Wehrhahn, diese Verkörperung des wilhelminischen Beamtenstaates in seiner dünkelhaftesten Form, gewinnt, vielleicht die feinste und treffsicherste Satire zu erkennen, die ein Dichter des Wilhelminums über diese seine Epoche gezeichnet hat.

Hauptmann hat in seinen sozialistischen Anfängen bekanntlich in den „Webern” hart auf hart, grau in grau die große Anklage gegen die Unmenschlichkeit gewisser deutscher gesellschaftlicher Verhältnisse vorgefragen. Mit dem Erfolg, daß dieses starke und echte Stück nur selten gespielt wird, weil es als „Tendenzdrama” gilt. y. Hier, im „Biberpelz”, wiederholt Hauptmann seine Anklage, nimmt sein altes Anliegen wieder auf, wie anders abei\ nunmehr die Form! Diskret verhalten, rot in rosenrot, weich auf hart, schelmisch auf tölpisch, humorvoll auf bitteren Ernst erwidernd, umschifft hier Hauptmann die gefährlichen Klippen. Augenzwinkernd ruft er seinen Leutchen, seinem bürgerlichen Publikum zu: aber bitte, es ist doch alles nur Komödie, sehen Sie sich diese tapfere, von Leben und gesundem Wirklichkeitssinn sprühende Frau Wolff doch nur an, wie sie mit Mann, Kindsvolk, Dorf und Amt, Gebildeten und Ungebildeten, Hoch und Niedrig fertig wird. Bitte, nur nicht ernstnehmen … Und in dieser verdemütig- ten, ganz ins Anspruchslose, Thesen- und Sentenzenfreie eingewandeten Form gelingt nun dem Dichter — in indirekter Aussage — das Große, Gekonnte: die künstlerische Bewältigung eines sehr wenig nach Kunst, Schönheit, Anmut und Beschwingtheit aussehenden not- und bresthaften Stoffes. Das Keuschenmilieu und die Diebstahlsgeschichte einer proletarisierten Familie wandeln sich zur Bühne eines menschlich tiefen Innenraums, in dem nun, mit einer rasanten, überblendenden Leichtigkeit die Omnipotenz des verhimmelten Kaisers und seiner Staatsschranzen aufgelöst wird ln leises Lachen, zerspielt in köstliche Scherze! — Man überlege doch nur einmal, was das zu bedeuten vermag: im Lachen kleiner, einfachster Menschen des Volkes löst sich ein Staatsapparat, vor dem einst die Völker der Erde zitterten, in blauen Dunst auf — in jenen Dunst, der soeben aus der Pfeife des Julius Wolff, des biederdummen Mannes der Heldin, aufsteigt…

Erich Ziegel hat es als Regisseur und Hauptdarsteller verstanden, diese Doppelpoligkeit des Stückes stark aus-zuzeichnen. Als Amtsvorsteher von Wehrhahn läßt er sich und den preußischen Staat nach heldischkomischer Widerwehr von Frau Wollf (Mirjam Horwitz-Ziegel) überwinden — ein Flaggschiff eitler Überheblichkeit, dummdreist-stolzer Anmaßung und falscher Selbsteinschätzung —, geht er in den Wassern der Pfiffigkeit dieser Frau des niederen Volkes unter. Die sorgfältige Besetzung aller, auch der kleinsten Rollen läßt die Aufführung zu jener innerlich dichten Atmosphäre ausreifen, die das Stüde zu einem echten Erfolg trägt.

Ein Stüde, das nur aus Atmosphäre besteht, ist John van Drutens „So war Mama” (I remember Mama — nach einer Erzählung von Kathryn Forbes, deutsche Bearbeitung von Karl Zuckmayr), das nun im Akademietheater seine österreichische Uraufführung erlebt. Ein ganz großer Erfolg auf den Bühnen der angelsächsischen Welt, von Hollywood verfilmt, von den besten Schauspielerinnen kreiert — in Berlin und nunmehr auch in Wien führt es Käthe Dorsch zu einem Triumph ihrer persönlichen Kunst. — Das ist eigentlich alles, fast alles. Nicht, daß wir ganz unempfindlich sind für diese Gartenlaubenwelt; wieviel innere Sidierheit und Gelassenheit, wieviel Optimismus, wieviel Glaube an den guten Sinn einer kleinen Welt, an die Heiligkeit unscheinbarster Erfüllungen des täglichen Dienstes gehört doch zu dem Wagnis, zweieinhalb Stunden lang ein Publikum mit diesem Niditgeschehen zu unterhalten. Denn: es „geschieht” hier wirklidi nichts. Daß die kleine Katze eines achtjährigen Mädchens fast, daß ein schrulliger Onkel schließlich doch stirbt, das sind, wie die Kinderkrankheit des kleinen Mädchens im Hauptteil des Stückes, atmosphärische Erscheinungen, die das Nichtgeschehen des Ganzen nicht beeinträchtigen. — Das ist nämlich nur Wesen, stilles innerstes Sein: Mutter, Mama — diese Frau einer aus Norwegen in die Staaten eingewanderten Kleinbürgerfamilie, die mit jedem Cent dreimal rechnen muß, wenn sie alle Kinder versorgen will. Sie ist die Sonne, ist Herd, Heimat, Glück ihrer Kinder, deren größtes ihr eigener Mann ist. Es braucht nichts zu geschehen, es kann nichts geschehen, nichts „passieren”, wie der Wiener sagt — eben weil sie da ist.

Glückliche Welt, in der solche Stücke geschrieben werden können! Offenkundig: solches ist nur in einer Hemisphäre von Völkern möglich, die, so oder so, alle Kriege ihrer Geschichte gewonnen, die niemals jene Brüche erlebt haben, welche die Völker unseres Erdteils zutiefst Versehrten. Hier spricht die Sicherheit einer runden, in sich geschlossenen Welt, die an Stifter gemahnen könnte, wenn sie tiefer wäre. So erinnert sie uns, die von den Wirrnissen des eigenen Wandels ergriffenen Erben großer Verhängnisse, im guten Sinn an die Beschaulichkeiten der Spätromantik zwischen 1830 und 1870, im schlechten Sinn an die Gartenlaubenwelt von 1900. Daß allzu starke Anklänge an die letztere abgebogen werden, ist das Verdienst des glänzenden Ensembles unserer Burgschauspieler mit Käthe Dorsch £ an der Spitze.

Amerikanisches Biedermeier also: Seine starke Wirkung auch auf ein europäisches Publikum unserer Gegenwart erklärt sich aus dem weitverbreiteten Wunsch nach Entspannung, nach „Ruhe”, „Frieden”, „Harmonie”.

Hier aber erhebt sich nun doch die Frage: Kann sie Mama mit ihrer guten Kinderstube von 1910 sichern? Auf unser Burgtheater angewendet heißt dies: wir hoffen, daß die Serie „Angelsächsisches Biedermeier” („Die Henne und die Küchlein” — „Claudia” — „So war Mama”) auch noch Platz läßt für anderes, worauf wir lange genug warten.

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