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Traum des Adels, Traum des Bürgers

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Pausenlos rollt auf der Bühne der Ronacher-Burg Shakespeares „Som-mernachtstrau m“ ab. — Das englische, höfisch-mittelalterliche Athen des Herzog Theseus, der danteske Wald der Irrungen ijnd Wirrungen, das keltische Zauberreidi Oberons und Titanias, die Backstubenwelt der kleinen Handwerker. Wand hebt sich, Wand senkt sich. Kluge Worte, angstverwirrte, liebesbefangene Herzen, bescheidene Narrheit. Und Elfen tanzen überall.

Es ist nicht ganz eine Revue in der Art Reinhardts geworden: ein rein filmischer Schmaus der Sinne, der vergessen macht, daß die Augen nidit nur zum Gaffen und die Ohren nidit nur zum rasdien Aufschnappen von romantischen Geräuschkulissen geschaffen sind. Es ist aber manchmal nahe daran: Das große Aufgebot des schauspielerischen Ensembles, der Wiener Sängerknaben, der Musik Mendelssohns und der Tanzregie Rosalie Chladeks wirkt in^ dieser Hinsicht zusammen, spinnt einen nicht ungefährlidien Faden, der vom höfischen Hochzeitsspiel der englischen Adelsgesellschaft wegführt zu Film und Funk, ja zum Sketch des Kitsches. Daß es dennoch . nicht ganz so weit kommt, darf als die große Leistung dieser bedeutenden Neuinszenierung angesehen werden — ein Verdienst der Regie. Noch ist da echtes Schau-Spiel, nicht bloße Sdiau-Stellerei der Masken, der „Komödianten“, noch steht über den Blendungen des thematischen Kunterbunts einsam und groß das echte Wort, die szenarisdie Ausfaltung menschlicher Tragik und Komik. Diese Rettung des Ur-Elements des wahren Schauspiels gelingt, obwohl die Schere des Regisseurs das Werk Shakespeares zu kleinen Farb-sdinitzeln und Flimmerstückchen zusammengeschnitten hat und obwohl die neue Übersetzung Flatters von der Poesie der Schlegel-Tiecksdicn Übertragung weiten (Höflichkeits?-)Abstand nimmt. Rechtsanwalt Dr. Flatter, früher Wien, jetzt London, seit vielen Jahren um Shakespeare bemüht, hat hier einen rechtlichen Ausgleich zwischen den Forderungen der deutschen Romantik und den Wünschen der Gegenwart, die eine zügig-rationale Ein-bahn-Sprache anstrebt, versucht. Nun, Shakespeare ist diesem Prozeß nicht ganz zum Opfer gefallen — gerade für dieses Stück hätte aber an der Fassung der deutschen Romantik festgehalten werden sollen: gebt der Romantik, was der Romantik ist!...

Noch ein Wort zum Inhalt und Wesen dieses Traumspiels: die Zärtlichkeit, die süße, leise Melodie edler Herzen, der Zauber der Anmut, die Lieblichkeit sdiöner Menschenkinder — all diese unberührbare Duftsphäre Shakespearescher „Komödien“ erhebt sich über dem Abgrund eines harten, grausamen, an Menschsein und Menschlichkeit tausendmal verzweifelten Herzens. W,js für ein Nihilismus wittert doch um diesen magischen Weltherrscher und Welttyrann Oberon, wie unbarmherzig-„scharmant“ wird das niedere Gesinde (es ist doch Gesindel!) der Handwerker vor den hodimütigen Augen des elisabethanlschen Hofes in der Treuherzigkeit seiner närrischen Armut entblößt.... — Das Herz Shakespeares?

Die neue „N o r a“ des Akademietheaters muß als eine der größ-' ten Leistungen des Wiener Theaters der Nachkriegszeit bezeichnet werden. Eine Aufführung, rjie jeder kunstbeflissene Wiener sehe» sollte. Als solche steht sie über jeder Diskussion. Fragt sich nur: Ist dies bloß ein Verdienst der Darsteller, zumal der großen Schauspielerin Käthe Gold — gehört, wie es viele meinen, Ibsen doch in die Mottenkiste des 19. Jahrhunderts oder darf der Dichter selbst hier eine echte Renaissance erleben, ein Wiedererstehen seiner Gestalten in der Lebenskraft der Gegenwart?

Frau Nora: eine Kleinbürgerin mit den Allüren einer von ihrem Mann zum Kind verzärtelten, zum Spielzeug erniedrigten Frau, mit einem Dutzendschicksal: drei kleine Kinder, ein sehr selbstherrlicher Gatte, eine Jugendgespielin, ein todkranker Freund. Und eine tiefe Wunde im Herzen — die zugleich Quell ihres tiefsten Stolzes und ihrer geheimsten Freude ist. Von dieser Wunde her reißt Käthe Gold die Rolle, die Wirklichkeit an sich — und überspielt die ihr feindlichen Männer und Mächte ihrer kleinen großen Welt, tanzt in ihrer Tarantella die Stufenleiter des mensdilidien Lebens hinauf in den jähen, einmaligen Schmerz hödister Seligkeit, hinab in die Tiefen besinnungsloser Verzweiflung. Frau Nora wartet auf das Wunder: daß ihr Mann ihren Fehltritt von einst, die Fälschung einer Unterschrift, um sein Leben zu retten, begreifen, verstehen möge. Dies Wunder tritt nicht ein — ein anderes aber wird siditbar, wird Fleisch und Blut: die Lebens-, Liebes- und Leidenskraft der Frau schlechthin, welche dem Mann alles — Gattin und Geliebte, Mutter und Kind, Freundin und Gespielin sein möchte: die Nora der Frau Käthe Gold.

Man wird also in das Akademietheater pilgern, um die „Gold“ zu sehen; als Nora natürlich. Dies ist alte Tradition der Wiener: So ging man einst, um den Sonnenthal und den Mitterwurzer, den Kainz, d i e Wolter und d i e Wohlgemut zu sehen, zu hören. Eine Tradtion, die, wie die Tradition neu bedacht, überdacht werden sollte — keine Tradition ist „unbedenklich“.,

Hinter dem kleinen, zierlichen Persönchen der Käthe-Nora taucht aber ein Riese auf: Ibsen, Jawohl, ein Riese, obwohl neidische Zwerge ihn verlachen. Ein Riese des Theaters. Seine Nora ist die bürgerliche Tragödie des neunzehnten Jahrhunderts, neben ihr blaßt -selbst Hebbels „Maria Magdalena“ ins Farblose ab. Es geht nicht nur um das „Puppenheim“ der bourgeoisen Wohnstube, um die Borniertheit eines philiströsen Spießers, um Suffragettenlaunen eines die Emanzipation anstrebenden Frauchens. Es ist jene geschlossene Welt eines Standes, ei n e s Denk-und Lebensstils, jene „Monde clos“ (die mit Recht seit Jahren die Aufmerksamkeit der Soziologen in immer stärkerem Maße fesselt), welche hier in der Grausamkeit, in der Unerbittlichkeit ihrer Forderungen, als eine „Ghettokirche in sich“, eine Sekte entlarvt wird: außerhalb ihrer ist kein Heil. Wer sich gegen ihre Gesetze, gegen ihren Komment vergeht, wird * unbarmherzig ausgestoßen. Barmherzig die Spartaner, welche ihre mißratenen Säuglinge verhungern ließen. Hier zwingt 'man* zu einem Leben im Tode, in der Ehr- und Rechtlosigkeit (welche durch „Gesetze“ gesichert wird). Frau Nora wartet auf das Wunderbare: daß ihr Mann die Fesseln seiner Gesellschaft, seiner Welt, seines Standes abwerfe. Sie wartet vergebens. Dieser Rechtsanwalt und Bankdirektor wird nie anders sehen, denken, fühlen als dia Hunderttausend, die Millionen Augen, Ohren, Sinne seiner Welt es ihm vorschreiben.

Ein durchaus beachtenswerter Vorwurf für ein Drama, nicht nur des neunzehnten Jahrhunderts. Wie viele Menschen warten heute darauf, daß andere aus ihren nationalen, konfessionellen, weltanschaulidien und pi&rteigebun denen Schranken heraustreten — ausser Sphäre ihres Rechts, um das „Wunderbare“ zu wagen: um in der ersten Begegnung mit dem anderen diesen zu einem Nächsten, sich selbst zu einem ,neuen Menschen zu wandeln!

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