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Experiment an der Peripherie

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Das Europa-Studio quittierte die-Nachricht von seiner geplanten Eingliederung in das Salzburger Festspielprogramm mit einer Produktion, an der die Fragwürdigkeit dieser Maßnahme offenbar wird. Der ständige Seitenblick auf die Fernsehaufzeichnung als den eigentlichen Zweck der Unternehmung scheint, zumindest diesmal, die Veranstalter sowohl bei der Stückwah] wie auch teilweise bei der Inszenierung irritiert zu haben, und das Theater ist zu kurz gekommen. Als Experimentierfeld ist das Europa-Studio durchaus gerechtfertigt und gutzuheißen; man wird auch hinnehmen, daß Experimente das eine oder andere Mal mißglücken. Abel muß dies gerade Im Festspielmonal und vor der Weltöffentlichkeit geschehen? Wie das Festspielpublikum darüber denkt, zeigt der Besuch dei Aufführungen. Die halbleeren Häuser sagen genug. Wenn man schon an der musikalischen Festspielperipherie keine reine Freude haben kann, so geht ihre Entstehung doch auf das Bedürfnis einer breiteren Publikumsschichte zurück. Für das Theater läßt sich ein gleiches nicht geltend machen. Vielleicht sollte man erwägen, die Studioaufführungen im Anschluß an die Saison des Landestheaters und vor den Festspielen abzuwickeln; bei erschwinglichen Preisen wird das Stammpublikum allein das Haus füllen.

Mit Eugene O'Neills Drama „Alle Reichtümer der Welt“ (Übersetzung Ursula Schuh) wurde zwar das bedeutendste Stück der heurigen Produktion an den Anfang gestellt, doch gleichzeitig auch eine Atmosphäre des Unbehagens im Landestheater geschaffen, die sich bis heute nicht mehr aufhellte. Das Werk eines Dichters, zweifellos, aber ein Stück, in dem keine der handelnden Personen auch nur auf einen Funken menschlicher Teilnahme rechnen darf und dessen Aufführung mit dem Odium eines Verstoßes gegen den letzten Willen seines Autors belastet ist. „Unflnished work“ hat O'Neill mit Blaustift auf das Manuskript geschrieben und weiter „This script to be destroyed in case of my death“. Wenn der Dichter sein Werk als „unflnished“ bezeichnete, obwohl er es doch zu Ende geführt hatte, kann sich die Anmerkung nur auf die Gestalt des Dramas beziehen. Es wirkt denn auch trotz aller Bearbeitung durch die Übersetzerin wie eine erste Niederschrift, eine ausgedehnte Skizze, die noch der Formung, der Verdichtung bedarf. Diese Fassung enthält noch alles, was dem Dichter mit dem Strom der Gedanken durch die Seele floß. Alles ist Symbol in dem „Fragment“, das ein Ganzes erst auf dem Wege der Reduktion werden könnte. Die Personen sind als Typen einer verzweifelten Welt erkennbar, in der alle Sehnsucht nach dem Höheren, nach Liebe und Reinheit, nach Ent-rückung und Poesie in Gemeinheit umschlägt. Ein Inferno der menschlichen Beziehungen, in dem keine Größe gedeihen kann, weil die Katharsis fehlt. Die Regie Oscar Fritz Schuhs ist auf tiefenpsychologische Auslegung der Charaktere und, des Geschehens gerichtet. Jede Geste, jede Bewegung steht in Beziehung zum seelischen Untergrund, ist Ausdruck archetypischer Kräfte. Die Personen handeln unter einem inneren Zwang, aber alles, was sie tun, ist gegen ihre Sehnsucht getan, und ihr Schicksal ist, jeden Anspruch auf Glück zu verwirken. Marianne Hoppe, als Mutter Debo-rah Harford in allen Nuancen zwischen Wahn und Vernunft irisierend, gibt ein Beispiel durchgeistigter Schauspielkunst. Der Sohn Simon hat in Helmut Griem einen überzeugenden Interpreten seiner Getriebenheit, der Maßlosigkeit seiner Natur. Martha Wallner steigert sich nach farblosem Beginn zu tragischem Ausdruck, und Gerhard Friedrich gewinnt der Rolle des substanzlosen Joel ein hintergründiges Charakterbild ab. Prägnante Typen gestalten Josef Dahmen als Anwalt und Eduard Marks als ruinierter Bankier. Das Bühnenbild von Fritz Butz verrät etwas vom Geheimnis jener Scheinwelt, in dei sich die Schicksale der Harfords erfüllen.

Als zweite deutsche Uraufführung bot das Europa-Studio „Monde und Sonnen“ des Engländers Robir Hawdon, eines sechsundzwanzigjäh-rigen Schauspielers, der sich bemüht, mit den Möglichkeiten dei absurden Theaters ein Gleichnii vom menschlichen Leben zu formulieren. Nach einem ersten Akt vor geradezu mystischer Leere, in den sich drei junge Menschen vergeblicl bemühen, mit ihrer Langeweile di<

des Publikums zu vertreiben, ist man schon entschlossen, das Theater zu verlassen. Da entdeckt man, daß der im Programmheft verheißene Auftritt Leonard Steckeis noch aussteht. Also bleibt man und wird dafür mit einem zweiten Akt belohnt, den fast ein Poet geschrieben haben könnte. Im Anfang war das Schweigen. Zwei junge Burschen,' der Schwärmer Fuchsel und der aktivere Boller, starren schweigend vor sich hin; das Mädchen schläft. Alle drei noch im Zustand kreatürlicher Unschuld. Die Freunde suchen sich zur Ahnung eines Lebensinhalts durch-zustottern, und da sie mit der Sprache nicht weiterkommen, müssen sie etwas tun, muß etwas geschehen. So balgen sie sich zuerst ein wenig herum, dann beginnen sie, ein Haus zu bauen, eine Art Laubhütte aus aufgelesenen Ästen. Da tritt unversehens in ihre Kinderwelt ein geheimnisvoller Vagabund (Leonard Steckel), im Personenverzeichnis kurz „Mann“ genannt. Aus seinem Weinschlauch quillt ihnen die Süße des Rausches, in dem Mädchen weckt der Landstreicher das Bewußtsein von der Macht Evas, seine Panflöte ruft zum Tanz, und sein Wort entflammt Begierde, stiftet Zwietracht. Die Mächte des Lebens haben von der Jugend Besitz ergriffen und deren Träume zerstört. Da verschwindet der alte Pan wie er gekommen. Das Spiel ist aus, die Freunde sind in ihr Schweigen zurückgefallen und schauen fragend wieder in das Nichts. Eine schöne Parabel, im Schatten Ionescos und Becketts aufgegangen. Man könnte sich daran freuen, vor allem an ihrem 2. Akt, wenn der alte Vagabund mit dem verdächtig soignier-ten weißen Bart seine philosophischen Bonmots unterdrückte. „Nichts ist so einschränkend wie die Identität“, ist eine gute Antwort auf die Frage nach Nam' und Art; aber sie stammt aus dem Literatencafe. Und der brillante Vagabund Steckel scheint direkt von dorther zu kommen. Bruno Dallansky ist ein erfrischend tolpatschiger Boller, Gerd Baltus ein verträumter Fuchsel, und Brigitte Grothum spielt ihren mädchenhaften Reiz mit natürlichster Anmut aus. Harry Meyens Regieführung findet erst nach der Pause den angemessenen Rhythmus, das Bühnenbild Toni Busingers ist von kindlicher Guckkastenromantik, doch nicht ohne Geheimnis.

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Der Vorschußlorbeer, mit dem „Die Ballade von Peckham Rye“ freigebig geschmückt wurde, wai nach der ersten Aufführung bereits verwelkt. Diese „Ballade“ von Muriel Spark und Christopher Holme mit der Musik von Tristram Cary ist aus einem Roman der Erstgenannten abgezogen und in die Musical-Flasche gefüllt. Sehr zu Unrecht, denn die Abfüllung schmeckt schon nach dem ersten Schluck so schal, daß sie in Kürze ungenießbar sein wird. Diese Moritat über die krummen Wege des Herrn Dougal Douglas, eines körperlich und seelisch verwachsenen, hinterhältigen, zynisch-brutalen Individuums, kann nicht einmal mit den Maßstäben eines Fünfkreuzerromans gemessen werden; man vergleiche sie nicht mit der Drei-groschenoper, die Mrs. Spark und Mr. Cary offenbar im Auge und im Ohr hatten. Übrigens ist die Musik entschieden besser als der Text geraten, und es ist erstaunlich genug, daß dem Komponisten zu dem schwachsinnigen Gestammel der Songs überhaupt etwas einfiel. Das aufs äußerste vereinfachte Bühnenbild (E. und F. Starowieyski) wirkt wie ein Provisorium in einem sterilisierten Dentistenatelier. Der Regisseur Jan Biczycki präsentiert das Stück durchaus originell im Stil eines überdimensionierten Studententheaters; er hat die 40 Akteure fest in der Hand und macht aus ihren Auftritten und Abgängen tadellos funktionierende Dressurakte. Als Gewinn seien verbucht: eine denkwürdige Leistung Heinz Reinckes (Douglas), die erschütternde Darstellung der verrückten Nelly durch Waltraut Schmahl, die Merle Coverdale Helga Roloffs, Eduard Marks als elementar primitiver Industriekapitän Druce und Helmut Griem als Rayonschef der Lederjacken. Die auf der Bühne postierte Jazzkapelle spielte mit artistischer Bravour.

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