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Herbstzeitlosen

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„M Order ohne Bezahlun g“, ein Stück von Eugene ] o n e s c o, im Volkstheater. Ein bedeutsames Stück, eine sehr gute Aufführung, in der Regie Leon E p p s. Nicht zu übersehen vom ersten Augenblick an die Bühnenbilder Kurt Möldo-vans. Mit dem Burgtheater hat das Volkstheater begonnen, erstrangige Künstler zur Mitarbeit zu gewinnen. Das gilt hier übrigens auch für das Klangbild von Paul Kont, ausgeführt von Friedrich Cerha und Hans Kann. Moldovans Bühnenbilder stellen vom ersten Augen-Blick klar, daß djeses Stück, ein echter Jonesco, 1959 in Paris uraufgeführt, nur nach seinen eigenen Valeurs zu messen ist. Was sieht man hier also? Zunächst, optisch und in vielen kleinen Szenen und Szenerien, einen Totentanz des Menschen. Des Menschen von heute, der in großer Einsamkeit, in der „Sonnenstadt“, in einer perfekt technisch, polizeilich, bürokratisch verwalteten Welt zugrunde geht: an der eigenen Angst, und ermordet durch perfekte Mörder, die alle kennen und die keiner namhaft zu machen wagt. Nun, Totentänze der Gegenwart haben manche Spektakelkünstler, Rechenkünstler, Moralitätenerzähler pedantisch, langweilig und durchaus ohne Poesie uns zu sattsamem Überdruß ab 1945 auf die Bretter gestellt. Traktate, Predigten, Papierschlangen aus dem Munde von Rollenträgern, dazu Monstrositäten und angeklebte Extravaganzen, . die etwas Poetisches vorflimmern sollen. Jonesco, der Sohn eines Rumänen und einer Französin, der Pariser Gatte einer Chinesin, ist ein Dichter. Ein Dichter, der mit hohem Kunstverstand, mit einer sehr wachen Intellektualität die echte Sensibilität eines Künstlers verbindet. Seine Personen sind, mögen sie noch so verfremdet erscheinen, mögen sie die Sprache des Unterbewußtseins, eines inneren Monologs eigener Art (anders als die Proust- und Joyce-Nachfolger im Roman) sprechen, Menschen; sind Zeitgenossen. Wer näher hinsieht, wird erschrocken und entzückt etwas von sich selbst in ihnen wahrnehmen. Sehr eigen ist Jonesco die Verbindung von Grauen und Entzücken, eines todnahen Ernstes mit einem Humor, der franziskanisch allen kleinen Dingen, Gräsern, Mücken, Details sich zuneigt. In der Banalität des heutigen Alltags entdeckt er Wüsten, Sümpfe, falsche und echte Paradiese. Stücke dieser Art, Panoramen, eignen sich nicht zum Nacherzählen; diese kunstvoll gewobenen Gebilde, die sich wie herbstliche Nebelschleier bald ins Nichts aufzulösen scheinen, bald als Netze sich würgend um Täter und Duldende legen, sind zum Ansehen, Anhören, Mitempfinden mit allen Sinnen, da nicht zuletzt die Pantomime eine grpßejlo.lle in ihnen spielt. Ballette'sind hier aApBjgt? VoF2ügfö# wird gispftlt/Da nicW'frWe kWirmWIfi SfiwlJaW gemacht werden können, sei, neben dem Architekt-Kommissar Woegerer, auf die Glanzleistung des Abends, Hans Weicker als Behringer, ein moderner Jedermann, hingewiesen. Weicker meistert die sehr schwierige Rolle im ersten Teil vorzüglich, sinkt dann etwas ab, erreicht im Schlußmelodrama, in der Konfrontation mit Eduard, dem Mörder (Kurt Sowinetz, großartig.'), wieder die große, vibrierende Art des herrlichen Aufganges: hier ist Intellekt, Einsicht, reifes Gefühl ohne jede Sentimentalität, diese Einune, die die besten unserer Zeitgenossen unter den Dichtern, Künstlern und Denkern auszeichnet. Hoffentlich findet diese Aufführung ein Publikum, das ihm gewachsen ist, besser, ihm zuwächst, sich bildend an der Herausforderung, die hier zugegen ist.

Eugene O'Neills „Ein Mond für die Be-la Jenen“ im Akademietheater. Ein unglücklicher Titel („A Moon for the Misbegotten“, die unglücklich Gearteten, Mißratenen), eine wenig glückliche Inszenierung (Günther R e n n e r t, viel zuwenig straffend), ein verfehltes Bühnenbild (statt einer verfallenen Farm steht hier eine blecherne Schrebergartenhütte) tragen dazu bei, die Kraft des Publikums zu erlahmen. O'Neill seinerseits dunkelt, mit List und Gewalt, hellere Lichter, die sich in das düstere Gemälde verlieren, schnell wieder ab. Es muß alles schiefgehen, obwohl es dem Stoff nach nicht unbedingt einzusehen ist. Die brave, zu Unrecht verrufene Farmerstochter Josie darf ihren heiß und zärtlich geliebten James Tyrone nicht bekommen, sondern eben nur eine lyrisch überglänzte Mondnacht vor der Hütte mit ihm verweilen. Vater Farmer ist grob, trinkt gern, trügt gern, im Herzensgrunde aber gütig, zumindest in der Interpretation durch Ewald Baiser. O'Neill hat in dem trunksüchtigen, an einem schweren Mutterkomplex dahinsiechenden James sich selbst konterfeit. Walther Reyer gestaltet diese kaum mehr fragwürdige Figur von innen her, fast russisch, in Dostojewskijscher Manier, aber ohne Manie. Hier rückt, in seiner Gestaltung, dieser gescheiterte Student, Intellektuelle, Liebhaber in die Nähe seiner großen Brüder aus dem „Karamasow“, „Raskolnikow“ und dem „Idioten“, den demnächst Kurt Radlecker auf die Bühne der „Tribüne“ bringt. Das Ereignis des Abends ist Heidemarie Hatheyer als Josie. Wild und zärtlich, grell und verhalten, Wildkatze und Ophelia: Landschaften der Seele, aus dem großen, unbekannten Lande der Frau, werden hier blitzhaft, in Sekundenschnelle, heraufbeschworen, im Gesicht, in einer Geste, in wenigen Worten. Um die Hatheyer und den Reyer zu sehen, wird man also in dieses Stück gehen. Ja, nicht zu vergessen, Robert Lindner in einer meisterlichen Studie, ganz Elend und Würde des reichen, unverdient reichen Mannes.

Zwei Einakter von Wolfgang Hildesheimer im Kleinen Haus der Josefstadt im Konzerthaus. Glänzende Unterhaltung. Zunächst „Der schiefe Turm von Pisa“. Hildesheimer gehört zu jener Gruppe hier in Österreich kaum gekannter und noch weniger verstandener zorniger „junger Männer“ in der Bundes-reRöfellk, 4die, jich,äffli^ der VerJegenfcffj^K Wjj|T schaftswunderwelt nicht zufrieden geben,. Ein Blick 'also hier hinter einige ihrer Fassaden, wobei drollig und treffend die mit falschen Trümpfen aufspielenden Männlein und Weiblein von Rhein und Ruhr nach Pisa verpflanzt werden. Etwas zu langatmig geraten ist die zweite Posse des Abends, „D a s Opfer Helena“. Die kluge und schöne Helena wird hier als Opfer und Gespielin zweier schlaudummer Männer, die nur den Krieg wollen, gezeigt: Menelaus und Paris. Ursula Schult trägt, rettet dieses zweite Spielchen, spielt auch im ersten eine Hauptrolle. Ganz prächtig, nicht nur zum Ansehen. Neben ihr, anziehend und burlesk, Helly Servi und Elfriede Irrall und die Herren Carl Bosse und Peter Gerhard. Ein vergnüglicher Abend.

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