6630073-1956_32_12.jpg
Digital In Arbeit

Kleine Prosa

Werbung
Werbung
Werbung

Der Glücksverkäufer. Erzählung. Von Robert C r o 11 e t. Fretz & Wasmuth-Verlag, Zürich-Stuttgart. 132 Seiten. Preis 9.50 str.

Ein Flugzeug über dem Haus. Und andere Geschichten. Von Martin Walser. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt a. Main. 178 Seiten. Preis 7.80 DM.

Wein auf Lebenszeit. Und andere kuriose Geschichten. Von Kurt Kusenberg. Rowohlt-Verlag, Hamburg. 160 Seiten.

Man fragt sich, warum unter den Neuerscheinungen die „dicken Bände“ absolut das Bild beherrschen, obwohl unserer hastigen Zeit die kleinen Geschichten und Erzählungen, wenigstens was den Umfang angeht, mehr liegen müßten. Nun fordern freilich die Novelle und die anspruchsvolle Erzählung mehr Konzentration als das langatmige Buch, sowohl vom Autor als auch vom Leser. Und die Fähigkeit zu solcher Sammlung ist heute rar geworden. So werden die Verleger und Buchhändler recht haben mit der Behauptung, daß die kleinen Bändchen sich schwerer verkaufen als die dicken, den Bücherschrank zierenden Wälzer, was hoffentlich nicht ausschließt, daß die drei hier vorliegenden Büchlein den großen Freundeskreis finden, den sie verdienen.

Da ist zunächst der junge Westschweizer C r o 11 e t. „Ich leide an einem Biß aus dem Jenseits“, läßt er seinen französischen Arzt schreiben, den die sehr intensive Begegnung mit dem Tod Gott gegenüberstellt. „Ich war eigentlich eine Marionette geworden, und der, welcher die Fäden hielt, blickte mich, zweifellos zu meiner Ermutigung, mit einem entsetzlichen Ausdruck des Erbarmens und der Liebe an. Oder richtiger, er blickte mich nicht mehr an, wie er es durch den Leichnam getan hatte, aber ich erinnerte mich an ihn. Und das war genug.“

Genug für seinen Unmut, meint er: denn dieser junge Mann will nichts wissen von Gott und versucht alles Erdenkliche, sich Ihm zu entziehen und Ihn zu leugnen. Aber Gott weiß ihn zu finden auf schrecklichen Umwegen. Die Liebe zu seiner Frau Myria wird zerstört durch diese fanatische Verneinung einer überirdischen Welt; denn Myria ist gläubig und weiß, daß man in einer großen Liebe immer zu dritt ist. „Gott ist der dritte“, sagt sie. Ein grauenvolles Erlebnis auf einer namenlosen Insel in Karelien, auf der, wie die Einheimischen glauben, die aus dem Kloster Valamo verbannten Dämonen hausen, entfernt die Liebenden endgültig voneinander, die hinfort schaudernd einer im andern die Fratzen der Dämonen erblicken, die sich unüberwindlich zwischen sie stellen. Erst die rückhaltlose briefliche Beichte des Mannes gegenüber einem Freund bringt den ersten Schritt der Befreiung: „Durch den Nebel unseres Leidens hindurch habe ich da erkannt, daß der Dämon auf dem Antlitz meiner Frau das Spiegelbild meines eigenen Dämons war. Und wenn es Dämonen gibt, so gibt es auch Engel.. .“

Nun ist der Weg offen für das Wunder, nun vermag er sich Gott anheimzugeben, und das wandelt seine Liebe aus einer nur erdhaften egoistischen zu jener anderen, die Gott einschließt. Uebrigens ist dieses Kapitel des Buches, das über die innere Wandlung des Helden berichtet, blasser und schwächer als die anderen, die teilweise eine außerordentliche Plastik auszeichnet. Im ganzen gelingt es C r o 11 e t, sein schwieriges Motiv, dank seiner literarischen Qualitäten und einer echten Vertrautheit mit übersinnlichen Phänomenen, dichterisch zu bewältigen.

Die Verwobenheit des menschlichen Seins in tieferen Schichten als der dinglichen Wirklichkeit beschäftgt auch den Deutschen Martin Walser, dem 1955 für seine in dem vorliegenden Band enthaltene Geschichte „Templones Ende“ der Preis der „Gruppe 47“ zugesprochen wurde. Aber er, der eine Dissertation über Kafka geschrieben hat, geht dabei andere Wege als Crottet, hat in der Thematik und den Stilmitteln viel von Kafka gelernt, ohne dabei die eigene Originalität zu verlieren. Drei Dinge fallen in seinen Erzählungen besonders auf: die Verlorenheit des Menschen in einer gespenstisch anmutenden Welt, das Hineinleuchten in die Gefahrenherde des heutigen Daseins und das tastende Suchen nach Sicherungen, nach Ordnungsmöglichkeiten in der Unordnung, so ungewiß das Gelingen dieses Bemühens Walser auch zu sein scheint.

Da wird im „Umzug“ eine Straße im vornehmsten Viertel der Stadt geschildert, in der nur mehr halbtote Automaten vegetieren, die eine schreckliche assimilierende Kraft ausstrahlen, vor der nur Flucht zu bewahren vermag ... Oder in der Geschichte „Was wären wir ohne Belmonte“ dieses Alpdruck verursachende Konzert, bei dem zum Wettbewerb lauter brotlose Pianisten erscheinen und kein einziger Zuhörer. Das veranlaßt den Musikagenten Belmonte, Empfangschef in einem Hotel zu werden und seine früheren Schützlinge dorthin nachzuholen. Hier können wir uns ein ausführliches Zitat nicht versagen:

„Der D;'eüsr, den uns Belmonte im Hotel verschafft hat, zeugt von seiner großen Weisheit: die weinroten Uniformen stehen uns jungen Männern gut zum blassen Gesicht! Und wenn wir mit unseren geüblen Fingern nach den glänzenden Messingbeschlägen der Hoteltüren greifen, den Gast mit schön gebogener Hand durch die Halle geleiten, zum Empfang, zu Herrn Belmonte, dann muß jeder Gast spüren, daß diese schlanken Herren mit den tiefliegenden Augen aus einer guten Schule kommen. Wahrscheinlich vermutet mancher, daß wir unsere federleichten Bewegungen einer besonderen Aufzucht verdanken, hält uns gar für eine kluge Hunderasse. Tänzertiere. Hell-chrig, feinädrig und im Lautlosen geübt... Warum soll Belmonte nicht der Mann sein, der endlich erkannt hat, daß Menschen ihresgleichen nie recht bedienen werden. Was zweifüßig herumläuft, den Mund zum Widerspruch gebraucht, aussieht wie die Herrschaft selbst, das wird nie zum vollkommenen Dienst sich finden. Belmonte aber hat uns, die wir von der Gleichgültigkeit der Menschenwelt längst erwürgt waren, er hat uns ganz herausgenommen au; jener Welt und hat uns in weinrote Uniformen gesteckt, hat uns einen warmen Dachboden verschafft und uns eine Lebensart beigebracht, die uns ein fröhliches und gemeinsames Atmen ermöglicht...

Alles ertragen wir fröhlich knurrend, freundlich winselnd, seit wir wissen, daß Herr Belmonte ums zurückführen wird in die Konzertsäle der Welt. Und daß uns dann der Erfolg nicht mehr aus den Zähnen gerissen werden kann, daß dann unsere Säle immer voll sein werden, das ist sicher.

Belmonte kennt doch die Welt. Er hat lange genug die leeren Stühle seiner Konzertsäle studiert, hat lange genug das Unbehagen in den Augen lief Konzertbesucher gesehen, er weiß, was diese Besucher selber nur ahnen: Hunde wollen sie sehen auf den Podesten. Hunde an den Klavieren. Belmonte kennt doch die Welt. Und er handelt danach. Handelt an uns. Und wir fügen uns ihm. Gehören ihm. Denn: was wären wir ohne Belmonte...'!''

Walser setzt seine Kritik sehr radikal an den wunden Punkten unseres Daseins an. Sein beißender Sarkasmus ist alles andere als bequem, aber er hat etwas zu sagen. Es war ein guter Griff des Verlages, seine bisher nur in Zeitungen und Zeitschriften verstreuten Geschichten zu sammeln und damit einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen.

Und schließlich Kusenberg, dessen Freude am Fabulieren und mühelose Verflechtung von Traum und Wirklichkeit in dem Sammelband „Wein auf Lebenszeit“ neue Triumphe feiert. „Die Geschichten sind mir eingefallen, so wie einem im Garten ein Apfel auf den Kopf fällt“, behauptet er, und genau so wirken seine köstlichen Erzählungen auch. Es ist gerade das Unerwartete und Originelle seiner Einfälle, ihre Leichtigkeit und Unmittelbarkeit, die an Kusenbergs Geschichten bezaubert. Er ist ein poetischer Magier, dem man mit Lust auf seinen fröhlich-krausen Wegen folgt, gerade auch im Vergleich mit der oft so schwerflüssigen, mit allzu ernsten und gescheiten Gedanken vollgestopften Literatur unserer Zeit. Unser Dichter will nichts anderes, als mit seinem „lustigen Unsinn“, in dem doch sehr viel Sinn verborgen ist, das Herz erfreuen, und das gelingt ihm immer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung