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Aus vier Jahrhunderten

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Selbst an den besten Dramen von früher gibt es nicht selten manches auszusetzen. Und doch schätzt man sie sehr hoch ein. findet sie kaum von späteren Werken in ihrer Prägnanz und geistigen Dichte übertroffen. Maßgeblich ist einzig, ob die Vorzüge die Schwächen erheblich überragen. Das trifft auf Shakespeares Lustspiel „Viel Lärmen um nichts“ zu, das derzeit in der Bearbeitung von Otto Schenk und Peter Weiser im Burgtheater gespielt wird.

Das skandalöse Verhalten des Grafen Claudio vor dem Traualtar, wo er seine Braut Hero zutiefst beleidigt, wirkt ebenso völlig unglaubwürdig wie ihr und sein Verhalten daumcHt. Voll Ligforeiz-dagegert ist die Beziehung der beiden vorher, großartig das Florettgefecht geistreichen, scharf geschliffenen Witzes zwischen Benedikt und Beatrice, die beide das andere Geschlecht zunächst verachten, großartig die drastische Komik der zwei einfältigen, angstmeierischen Gerichtsdiener, großartig der Reichtum an blühender Phantasie, der sich in Gefühlen verbal entfaltet.

Unter der Regie von Otto Schenk wird nichts manipuliert, es gibt keine gewaltsam aufgesetzten Gags, Shakespeare kommt voll zur Geltung. Spielfläche ist ein Podium, auf dem Bühnenbildner Günther Schnei-der-Siemssen zur Andeutung der Schauplätze an Stangen hängende Leinwandfetzen mit Kritzeleien anordnete. Spitzenleistung: Christine Ostermayer bietet als Beatrice alle Facetten der Gestalt, die Angriffslust, die Zungenfertigkeit, reizvoll Komisches, inniges Gefühl. Der Umbruch von der Verachtung des andern Geschlechts zur Liebe überzeugt bei Boy Gobert als Benedikt nicht minder, ja, es scheint ihm dies in der köstlichsten Weise Schmerz zu bereiten. Doch sind auch Eva Rieck als Hero, Thomas Stroux als Claudio, Ewald Baiser als Gouverneur, Rudolf Melichar als Don Pedro, Hannes Siegl als dessen Bruder, Fred hiewehr als Mönch sowie Ernst Anders und Hugo Gottschlich als Gerichtsdiener zu nennen. Eine sehenswerte Aufführung.

Im Akademietheater gibt es eine Neuinszenierung von Schillers „Kabale und Liebe“. Auch diesem Meisterwerk hat man berechtigt manche Schwächen vorgeworfen. Die dramatische Kraft, die Szene für Szene aufbricht, zwingt 'immer wieder zur Bewunderung. — Kein Zweifel, es ist dies ein flammender Protest gegen die vielfältigen Verbrechen der Herrschenden, es ist also ein eminent sozialkritisches Stück. Aber bei der heutigen fast ausschließlichen Sicht auf alles Gesellschaftskritische wird meist völlig übersehen, daß es hier noch eine Dimension darüber gibt: die Liebe Ferdinands ist ein Gefühl, das über das Irdische hinaus dem Bereich der „Schöpfung“, des „Wettenrichters“ zugehört, von da her kommt ihre gewaltige Kraft. Spürt man das in der Aufführung?

Unter der Regie von Gerhard Klingenberg wird die Spannung des Stückes szenisch brisant durch das Heraustreten des Dramatischen, der dramatischen Szenen im Gegensatz dazu durch das Spielen der Stille in anderen. Dem Ferdinand von Klaus Maria Brandauer eignet nicht nur jugendlicher Überschwung, die Intensität seines Gefühls scheint tatsächlich aus anderen Regionen zu stammen. Gertraud Jesserer ist eine schlicht beseelte -Luise, spricht aber oft fast umihörbar. Erika Pluhar überzeugt voll als Lady Milford durch Leidenschaft, Stolz, Energie, Gefühl. Der Präsident von Alexander Trojan wirkt zu sehr als Herr, nicht als Emporkömimlinig. Norbert Kappen erweist als Wurm hinterhältige Intelligenz, Sebastian Fischer übersteigert etwas den Hofmarschall Kalb. Als Kammerdiener kommt Klaus Behrendt nicht an die stärksten Darsteller dieser Rolle heran. Erich Auer bietet als Miller polternde Geradheit. Judith Holzmeister glaubt man als dessen Frau das Beschränkte. Josef Swoboda schuf die Bühnenbilder mit einfachen Mitteln.

Ebenfalls im Akademietheater sieht man in einem Einakterabend das vor 22 Jahren in Paris urauf-geführte Stück „Opfer der Pflicht“ von Eugene lonesco, das in Wien vor 14 Jahren auf einer Kleinbühne gespielt wurde. Solange brauchte man, um die Aufführung zu wagen. In diesem verschlüsselten „Pseudo-drama“ bekundete lonesco noch seine ursprüngliche Tiefensicht. Das scheinbar Sinnlose ergibt Sinn: Der Kleinbürger Choubert wird gezwungen, in seinem Gedächtnis nach der Schreibweise eines Namens zu suchen, er taucht ins Unterbewußte, stürzt letztlich in innere Leere, ergänzend verwandeln sich einzelne der Gestalten in andere unter der These, die Person existiere nicht. Im Anschluß an dieses Stück: „Die Affäre“ von Eugene Labiche und zweier Mitarbeiter. Von ihm erklärte lonesco, daß er ihn fadisiere. Nur die Mechanik seiner Stücke sei interessant. Dieses Urteil besteht völlig zu Recht. Die zwei Spießer, die nach durchsoffener Nacht glauben, jemanden ermordet zu haben und das vermeintlich Geschehene zu verheimlichen trachten, können doch wohl heute kaum mehr amüsieren. Die Mechanik des dauernden Situationswechsels aber funktioniert.

Regisseur Peter Lotschak läßt Ionescos Pseudodrama szenisch breit ausspielen, Bruno Felix gibt dem zweiten Stück die erforderliche szenische Turbulenz. Gian Maurizio Fercioni entwarf berechtigt asketisch ein kahles Bühnenbild mit einer Mauer und zwei seitlichen Glaswänden, das für Labiche unter Mithilfe von Läszlö Varvasovsky in einen Nobelwohnraum verwandelt wird. Rudolf Wessely als Choubert sowie Karlheinz Martell, Blanche Aubry und Wolfgang Hübsch bieten im ersten Stück intensives Spiel, im zweiten sind die Hauptrollen mit Fritz Muliar, Fritz Grieb und Bibiana Zeller rollenigerecht besetzt.

Bei der Uraufführung des Schauspiels „Hedda Gabler“ in München wurde derart gezischt und gepfiffen, daß Ibsen erbittert seinen fünfzehnjährigen Aufenthalt in der Isarstadt abbrach und nie mehr dahin zurückkehrte. Tatsächlich ist dieses Stück durch die Hauptgestalt nur schwer zur Wirkung zu bringen. Hedda ist ein Typ, der sich aus einer bestimmten gesellschaftlichen Situation signifikant ergab, daher für uns vorwiegend nur als Rückblick Bedeutung besitzt. Und doch gibt es einen heutigen Bezug: die innere Leere dieser Frau. Leere kennzeichnet nunmehr gerade Herrn und Frau Jedermann. Um Heutiges spürbar zu

miadhen, läßt Regisseur Dieter Haspel im Theater am Kärntnertor das Stück nicht im ehemaligen Nippesbereich spielen. Hans Hoffer hieltet verschieden hohe Spielflächen mit Wohnungsrudimenten, die ein vortreffliches Bühnenbild ergeben. Einsatz von Verfremdendem ist im Spiel, ungleiche bis ungenügende darstellerische Leistungen sind festzustellen. Christiane B. Horn versucht, der Hedda mit Starrer Haltung beizukommen, das ist zuwenig, Mario Scanzoni bleibt uns den Lövborg überhaupt schuldig. Günther W. Lämmer* hat dagegen völlig das gutmütig Hilflose des Tesmam, Barbara Klein gibt der Elvsted Natürlichkeit und Innigkeit, Holde Naumann der Juliane Altjüngferlichkeit. Axel Klingenberg ist ein passabler Brack. Sonja Burian sei als Dienstmädchen erwähnt

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