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Jedermann, Menschen! eind, Heiratsschwindlerin

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Das von Hugo von Hofmannsthal erneuerte Spiel vom Sterben des reichen Mannes wurde in den vergangenen Jahren in anderen Inszenierungen als der von Max Reinhardt dargeboten. Nun hat Ernst Haeusserman die ursprüngliche szenische Umsetzung wiederhergestellt. Es gibt also wie einst die wirkungsvolle Bankettafel, ein Einfall Reinhardts, sie wird nicht in einige kleine Tische aufgelöst.

Eine große Zahl erster Darsteller wurde eingesetzt. Das beginnt schon damitj daß Michael Heitau die paar Worte des Spielansagers spricht. Entscheidender Gewinn: Curd Jürgens als Jedermann. Das ist ein Mannsbild von erheblichem seelischem Volumen in der Freude am Besitz, was dann die Risse in seinem inneren Gefüge um so ergreifender macht. Zuletzt wirkt dieser Jedermann, überzeugender, als man es vordem sah, ganz jenseitig. Frühere Darsteller der Titelgestalt: Ewald Baiser spricht machtvoll die Stimme des Herrn, Will Quadflieg gibt dem in prunkvolles Schwarz gekleideten Tod das Unbedingte letzter Entscheidung, Walther Reyer ist ein frohgemut gelöster Guter Gesell.

Die durchaus hübsche Nicole Hee-sters hat nicht das überlegen Strahlende der Buhlschaft. Vilma Degi-scher wirkt als Mutter dieses gereiften Jedermann zu jung. Die Vitalität von Fritz Muliar als Dik-ker Vetter schlägt durch. Kurt Hein-tel als Mammon, Martin Benrath als Teufel erweisen szenische Kraft. Der stets reizvollen Aglaja Schmid glaubt man das Gebrechliche der Guten Werke nicht recht. Und der Glaube? Er ist in der Darstellung durch Agnes Fink voll Strenge, ja herzenskalt.

Die Inszenierung von Leopold Lindtberg hatte Vorzüge, aber man erfreut sich auch wieder der schlichteren Reinhardts. Berechtigt wurde der Schlüsselsatz diesmal gesprochen: „Ja, solches wirkt die tiefe Reu'.“ Die wichtige Begründung aber fehlt: „Die hat lohende Feuerkraft, da sie von Grund die Seel' umschafft.“

Ursprünglich mächtige Komik stehe neben ursprünglich mächtiger Tragik, erklärte Ionesco. Die Verbohrtheit eines Menschen kann komisch wirken, betrifft sie aber das kompromißlose Bekennen eines für wahr Gehaltenen, werden tragische Akzente spürbar, wenn sich dieser Unentwegte dadurch selbst aus der menschlichen Gesellschaft ausschließt. Ist also das Stück „Der Menschenfeind“ von Moliere, das diesen Vorwurf behandelt, eine Komödie?

Offenheit und Ehrlichkeit sind überaus anerkennenswerte Eigenschaften. Doch die Gesellschaft — es gilt gestern wie heute — duldet den Ehrlichen nicht. Alceste erfährt dadurch, daß er stets ausspricht, was er denkt, nur Ablehnung, er muß zu einem Menschenfeind werden, dem schließlich nichts anderes übrigbleibt, als die menschliche Gemeinschaft der Unrechtlichen und Falschen zu fliehen. Diese Haltung übersteigert Alceste zu wahrer Lust, die Menschheit anzuklagen, ja er verliert gerne einen Prozeß — Schlüssel für das ganze Stück —, wenn es ihm nur das Recht gibt, die ..falsche Menschenbrut zu hassen und zu schmähen“. In dieser Übersteigerung wird das Stück zur Komödie, erst recht dadurch, daß Alceste überall Verrat sieht, nur dort nicht, wo er liebt. Tragisches bleibt Unterton.

Unter der Regie von Rudolf Noelte wird die Aufführung weit über ihre übliche Dauer verlängert. Er führt ein Theater der Pausen vor, Pausen nach jeder Verszeile, Pausen fast vor jedem Reim, der dadurch ungut besonders herausgestellt wird, Pausen zwischen den Dialogpassagen. Alles geht überaus langsam vor sich, wird zelebriert, diese Menschen haben offenbar endlos Zeit. Das Stück ist keine Komödie mehr, da geistert nur noch unentwegt Tragisches, kann aber nicht ausbrechen. Noelte kontra Moliere.

Das ansprechende Bühnenbild zeigt einen von Jürgen Rose entworfenen, sich verjüngenden Gang mit Gobelins in reizvoll zarten Farben, weit hinten sieht man die Balustrade des Stiegenaufgangs. Unglaubhaft spielen sich da alle Vorgänge ab. Weshalb? Noelte läßt die Darsteller immer wieder vorübergehend in den Raum nebenan treten und von dort oder auch aus dem ebenfalls nicht sichtbaren Stiegenaufgang — oft kaum verstehbar — snrechen. Stimmungsreiz, durch Widersinniges erreicht.

Dem Alceste gibt Romuald Pekny die kantig-sperrige Unbedingtheit des Wahrheitsfanatikers. Doch hat er in Sylvia Manas als Celimene, die er liebt, nicht die gleichwertige Partnerin, sie wirkt viel zu unbedeutend in dieser dankbaren Rolle. Elisabeth Flickenschiidt wendet die langsame, pausenreiche Sprechweise der übrigen Mitwirkenden ins Salbungsvolle. Daß sie Alceste für sich haben möchte, kommt nicht heraus. Keine stärkeren Eindrücke von den sonstigen Darstellern. Noelte verwendet die deutsche Nachdichtung von Arthur Luther, besorgte eine Neueinrichtung. Die Übertragung von Hans Weisel wäre vorzuziehen.

Wieder gibt es Straßentheater unter der Regie von Oscar Fritz Schuh, veranstaltet von der Salzburger Kulturvereinigung. Diesmal wird das Stück einer lebenden österreichischen Autorin gespielt: die tragische Posse mit Gesang „Die Heiratsschwindlerin“ von Lotte In-grisch. Die Premiere fand im Lehener Park statt, wo eine Bodenwelle mit der zusätzlichen Sicht von obenher eine größere Zahl von Zuschauern ermöglicht. Posseneinfall: Ein Schwindler und eine Schwindlerin beschwindeln einander zwecks Ehe gegenseitig. Mädy Swatek ist keine reiche Witwe, der Flickschneider Schorsch Brem kein angesehener^..General. Hinter pifiksüßer

Turteltäuberei furbuliert beiderseits Geldgier, der Mensch ist halt nun einmal so.

Die Ingrisch wäre nicht die In-grisch, wenn sich die beiden nicht noch in der Hochzeitsnacht gegenseitig Zyankali ins Sektglas schütten würden. Klar, daß dies bei ihr in Hafner-Nachfolge zu einem Hauptspaß wird, Mädy und Schorsch segnen noch als geflügelte Himmelsboten die Ehe ihrer Kinder. Das Makabre ist der Autorin liebster Leckerbissen.

Gespielt wird, wie auch in den Vorjahren, auf dem Brauereiwagen in der Pawlatschendekoration von Ursula Schuh, laut, drastisch, daß sich die Bretter biegen. Dazu eignet sich das Stück sehr gut. Jane Tilden und Hans Putz gelingt das vehemente Ausspielen in den beiden Hauptrollen vortrefflich. Gerhart Lippert und Franzi Tilden sind das junge Paar. Anton Pointecker gibt einem Schmähtandler und Kostümverleiher die erforderliche Vorstadtverve. Bestens betreute J. C. Kna-flitsch das Musikalische, im besonderen die Couplets.

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