6659698-1959_50_15.jpg
Digital In Arbeit

Dämonen und kleine Teufel

Werbung
Werbung
Werbung

Ein frühes Weihnachtsgeschenk, edel, groß geartet: „Die B e s e s s e n e n“, ein Schauspiel von Albert Camus, nach dem Roman „Die Dämonen" von F. M. Dostojewsky: ins Deutsche übertragen von Guido G. Meister. Regie im Akademietheater führt vorzüglich Leopold Lindtberg. Bühnenbilder und Kostüme: Ita Maximowna. Die vierstündige Aufführung entfaltet das Drama: Blüte eines Baumes des Bösen, bis er im Sturm alle seine Früchte abwirft, ins Verderben. Mörder, Selbstmörder, Nihilisten, Anarchisten: dazu die kleine närrische, eitle, selbstverliebte Welt altrussischer Provinz, Kolorit des Lokalen und Sentimentalen, Das alles ist nur Atmosphäre; das Drama ist, gemäß dem Willen Dostojewskys, ein Ausschnitt aus der großen Tragödie, die dieser Seher im Ge- samtwerk seiner Romane gestalten wollte: Christi Tod und Auferstehung im russischen Volk. Rußland als Mörder Gottes und als Gott-Trägervolk; wobei offen und geheimnisvoll einander verbunden die „liberalen“ anarchistischen, nihilistischen, revolutionären „ungläubigen" Elemente nah und dicht zusammenspielen mit den Gläubigen, den Bigotten, den Kranken, Schwachen, Guten, den Demütigen und Beleidigten. Vordergrund also: das brodelnde Chaos der russischen „Gesellschaft“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ein Saatbeet für Revolutionen, die noch weit hinauszielen über die „verkommende Revolution“ von 1916 17. Albert Camus,; Denker der „Revolte“ und der Resistance, fügt dem hinzu: die Untersuchung des Selbstexperiments des Menschen, der Gott „tötet“, indem er sich selbst, völlig frei, vernichtet. Versuch einer letzten Selbstbehauptung, im Selbstmord. Die tantalischen, prometheischen Heroen dieses Dramas sind Nikolai Wssewolodowitsch Stawrogin (Alexander Trojan erarbeitet sich in seiner Gestaltung einen Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn) und Alexey Kirillow, der atheistische Theologe des Selbstmordes, in dem er den Beginn der Kosmosherrschaft des Menschen ersieht (Viktor de Kowa). Zwei große Frauen, Liebende, vermögen das Rasen der Männer nicht zu bannen: Marja Ti- mofejewna Lebjadkina (Martha Wallner) und War- wara Petrowna Stawrogina, die Generalswitwe und Mutter Stawrogins (Alma Seidler). Vorzüglich, ergreifend, mächtig, wahrlich ein Staatstheater: die ganze Besetzung dieser Aufführung von der ersten bis zur letzten Rolle. Auf dem knappen, hier zur Verfügung stehenden Raum müssen wenigstens genannt werden: Günther Haenel als „liberaler“ Lügenprofessor, Träumer und liebenswerter Narr Stepan Trofimowitsch Werchowenski, und sein Sohn, der Ernst macht mit den Träumereien des Vaters an Warwaras Kamin und sie zugleich pervertiert: Pjotr

W£rcdl.9FffS

Sutter als kalt-gieriges, unglückliches Mädchen Lisa, Inge Brücklmeier als Dascha, Käthe Gold als Marja Schatowa. Ewald Baiser als Bischof Tichon ist ein ebenbürtiger Partner seines „Beichtkindes“ Stawrogin. Sehr glücklich als Erzähler und Kommentator des Dramas: Paul Hoffmann als Grigorejew. Nochmals: die ganze Aufführung ist ein beglückendes Weih- nachts- und Neujahrsgeschenk und wird in diesem Sinne aufgenommen.

„Donnerstag“, Fritz Hochwälders modernes Mysterienspiel, vieldiskutiert nach der Uraufführung bei den Salzburger Festspielen, tritt, arg zusammengestrichen, in der Regie Werner Düggelins, als ein neues Stück den Wienern im Burgtheater entgegen. Schien in Salzburg zuviel des Wortes und der Phrase, so ertränken hier Lichter, Höllenlichter und technische „Einrichtung“ das Wort, verändern den Sinn des Stückes. Dazu kommt eine andere Auffassung durch die Schauspieler, am stärksten vielleicht im höllischen Kriminalbeamten Albin Skodas.

Wir wiederholen es: Skoda erreicht in Figuren dieser Art, die dem Untergrund Wiens zugehören, eine Sonderklasse; wenn wir junge begabte Autoren besitzen, werden sie für diesen Schauspieler neue Stücke schreiben. Josef Meinrad macht aus dem Nikolaus Manuel Pomfrit nicht einen Vertreter einer gescheiterten Wirtschaftswunderkinderwelt, sondern einen sehr menschlichen, hilflosen Mann, der Erlösung sucht und Erlösung findet. Die „weiche“ wienerische Einkleidung des an sich kalt-heißen Stückes, wird durch Franz Böheim als Birnstrudel unterstrichen. Kontrast zu all dem: die kesse metallurgische Reklame der technischen Einrichtung der Aufführung. Das Stück wird in dieser Form wohl seinen Weg über viele Bühnen machen, fragt sich: wieviel von den Absichten des Autors angedeutet bleiben.

Unglücklich im ganzen, trotz einzelner geglückter Züge, ist die Bühnenfassung eines Romans der Engländerin Storm Jameson durch das amerikanische Ehepaar Ruth und Augustus G o e t z, die uns die Josefstadt präsentiert: „Der verborgene S t r o m.“ Heikle Fragen um die Resistance und die Kollaboration im Frankreich der Gegenwart werden am Schicksal einer Familie illustriert, wie in Zeichnungen einer Revue. Es wimmelt von politischen Fehlgriffen und psychologischen Verzeichnungen. Prächtig aber einzelne Schauspieler: Helene Thimig als unversöhnliche Dame, Anton Edthofer als „Kollaborateur“, Franz Meßner und Joseph Hendrichs als ungleiches Brüderpaar. Beklemmend echt Hans Jungbauer als deutscher General. Wie eine Photographie: Carl Bosse als englischer Offizier. Die Aufführung, von Heinrich Schnitzler regiemäßig betreut, rettet manches, kann jedoch die falschen Akzente der Gesamtkonzeption nicht aufheben. Friedrich Heer

Franz ‘ Theodor C s o k o r s neues Schauspiel „Hebt den Stein ab“ wurde zum erstenmal im Kleinen Konzerthaustheater in der Josefstadt aufgeführt: Für die konventionelle (vielleicht allzu naturalistische), gewiß aber an zahlreichen Fehlbesetzungen leidende Inszenierung zeichnet Hermann Kutscher, das schlichte, sachliche Bühnenbild stellte Claus Pack. Im Mittelpunkt dieser „Komödie um die letzten Dinge“ stehen zu gleichen Teilen Vilma Degischer (in einer in beeindruckende Verhärmung gekleideten Ehefrau, der ,.im Laufe ihres Lebens nicht viel Gutes widerfahren war) und Romuald P e k n y. Er spielt mit überzeugenden, drohend-männlichen und aggressivironischen Akzenten ein eher ungutes Subjekt, an dem sich ein, mit Ifdisijien Maßstäben .unerklärliches, plkno Äril ‘ ffeieh’t1’-Er;stirbt, stehf ‘iber wieieif vorn Tode auf — ein Begnadeter- ein Unwürdiger, an dem allem Anschein nach ein Wunder demonstriert worden ist. — Der so zum Leben Wiedererweckte wird zum Streitobjekt der „Nachwelt“. Er wirft theologische und menschliche Probleme auf. Eben seine Exsitenz bringt jene „letzten Dinge“ zur Sprache, in die sich Csokor mit viel Feuereifer verstrickt hat. Die göttlichen Beschlüsse nehmen symbolische Gestalt an, Tod und Religion, Läuterung und Lästerung, Ethos und Gemeinheit, Heiligenverklärung und der Pfuhl des Menschlichen werden abgehandelt, abgewandelt, angeschnitten, liegengelassen, zum Streitgespräch erhoben, zum Bonmot erniedrigt, in den makabren Scherz gekleidet, vom Trivialen entkleidet. Der Gedankenreichtum dieser Auseinandersetzung ist nicht ohne Größe: das Ganze aber wächst nicht empor in gültige Bereiche. Es reicht nicht hin. Es bleibt aphoristisch. Mit den „vorletzten Dingen“ wäre Csokor wahrscheinlich eher fertiggeworden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung