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Ein Roman aus Norikum

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Aelia. Eine Frau aus Rom. Roman von Dolores V i e s e r. Verlag Styria, Graz-Wien 1952.

504 Seiten. Preis 84 S.

Im Jahre 16 v. Ch., fast ein Jahrhundert nach der denkwürdigen Niederlage der Römer im Zimbernkrieg bei Noreja, fiel den Römern durch friedliche Annexion ein reifer Apfel in den Schoß: Norikum, das Land zwischen Inn und Wienerwald—Donau—Drau, von Passau—Salzburg—Wels—Lorch über Lienz bis Zollfeld, Cilli und Pettau. Eine erste „Ostmark-Landnahme“: Das Land barg reiche Bodenschätze (Gold und Erze) und war von dem fleißigen Volk der keltischen Taurisker genutzt, deren stolze und sehr kluge Fürsten jahrhundertelang den Gleichschaltungsbestrebungen der römischen Kaiser und ihrer verlängerten Arme eine sehr elastische Heimatpolitik entgegensetzten ...

Das Ruinenfeld am Zollfeld (einstens die Nori-kumshauptstadt Virunum), noch mehr aber die Ausgrabungen seit 1907 bzw. 1948 am Magdalens-berg, wo viel früher als in der späteren Stadt Virunum eine ausgedehnte römische Garnison und Zivilstadt aufgeblüht war, haben uns in das Leben und Treiben einer römischen Provinzstadt tiefen Einblick verschafft.

Unweit des Magdalensberges, in Launsdorf, lebt heute die Dichterin Dolores Vieser, vor 25 Jahren mit dem Heimatroman „Das Singerlein“ über Nacht bekanntgeworden und seither durch ein sparsames, immer aber gewichtiges Oeuvre (der Türkenroman „Der Gurnitzer“, das große Heiligenbuch „Hemma von Gurk“) allgemein geachtet. Es war nicht eigentlich selbstverständlich, daß die spröde und schwierig zu deutende Materie der nahen Grabungen vom Magdalensberg gerade in einer Frau den schöpferischen Funken zu einem Werk von literarischem Rang auslöste. Um so überraschter stellt man an dem neuen Roman

„Aelia“ Dolores Viesers die kühne Verschmelzung von historisch-archäologischem Wissen und frei schweifender Phantasie fest.

Schauplatz der Handlung ist vorwiegend Virunum; die Zeit: die Wende des dritten und vierten nachchristlichen Jahrhunderts. Eine zwielichtige, heimlicher Spannungen volle und von weltpolitischen Umbrüchen erfüllte Zeit. Da Knistern im Gebälk des Imperium Romanum ist nicht mehr zu überhören, obzwar es gerade dem starken Zugriff Diokletians im Neubau der Verwaltung noch einmal gelingt, römischer Autorität innen und außen (Unterwerfung Aegyptens, Befriedung der persischen Grenze!) Geltung zu verschaffen. Auf den Provinzen freilich lastet unerhörter Steuerdruck, der die Prokuratoren in schwierigste Lagen gegenüber der einheimischen Bevölkerung und ihren immer noch in heimlichem Ansehen stehenden Stammesführern bringt. Zu diesem Gegensatz tritt nun als neue Kraft das Christentum: Obwohl 304 n. Ch. noch die letzte große Christenverfolgung wütet, dämmert schon die Epoche Konstantins herauf, dem das Jahrhundert des norischen Apostolats (Severinus, gest. 482) folgen soll.

Klug verflochten tritt uns dieses dreifache Kräftespiel in dem Roman „Aelia“ entgegen. Aelia, die Schwester des römischen Prokurators Cassius Primus (beide von Rom nach Virunum versetzt), heiratet den trotzigen Noriker-„Fugger“ Barbius Adnamat, Cassius Primus wieder findet zur Tochter des römischen Statthalters und heimlichen Christin Publia Pia. Damit ist der Kreis geschlossen — das Schicksal nimmt seinen Lauf, in die privatesten Irrungen und Wirrungen immer wieder die großen Schatten der Zeit werfend. Cassius Primus fällt, gleich seinem Bischof Viktorin von Pettau, als früher Blutzeuge des Christentums; am Rande stehen Verlorene und Gewonnene, über allem aber, mit allen durch Schuld, Irrtum und letztlich Einsicht verflochten, hebt sich

in schlichter menschlicher Größe das Bild der schönen Aelia, der verarmten römischen Adeligen, der stolzen Gattin des reichen Barbaren, die den längsten und schwierigsten, aber beispielgebenden Weg zur Erfüllung und Bescheidung an der Seite des geworfenen Gatten zu gehen hat, ohne die Glorie des Martyrertums, aber zu letzter christlicher Bewährung auf der Erde berufen.

Eine Fülle plastischer Randfiguren weitet das monumentale Zeitgemälde, eine reine, bewegte Sprache läßt seine Farben leuchten. Erstaunlich die souveräne Bewältigung kulturgeschichtlicher Realien, imponierend die geistige Weite, die sich jederzeit von frömmelnder Enge oder Süßigkeit fernhält und unter anderem der in der christlichen Geschichtschreibung umstrittenen Position Diokletians Gerechtigkeit widerfahren läßt. So ist mit diesem Buch nicht nur der Kärntner Heimat ein bedeutendes Werk aus seiner frühesten geschichtlichen und christlichen Zeit, sondern auch dem deutschsprachigen historischen Roman eine Schöpfung von Dauer geschenkt.

Dr. Roman H e r 1 e

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Blüte unterm Schnee. Roman. Von Andre C h a m s o n. Deutsch von Alastair. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1953. 382 Seiten. Preis 12.80 DM.

Der in Frankreich sehr bekannte Autor setzt sich hier mit den Problemen der modernen Jugend auseinander. Ein reifer Mann wird zum Vertrauten der Kinder seines Jugendfreundes, er lebt mit ihnen in engem Kontakt, lernt ihre Mentalität, ihre Wünsche, Träume und Sorgen kennen und verstehen und schildert nun alle Begebenheiten, deren Zeuge er wurde. Er zeichnet die Geschwister und ihre Freunde, die sich im „Atelier“ zusammengefunden haben, nüchtern realistisch. Sie sind vielerlei Gefährdungen ausgesetzt, vor allem einem geistigen Nihilismus. Der Vater liebt sie wohl, zu Opfern bereit, aber er begreift nicht, daß er ihr Freund, ihr Kamerad werden und ihre Zukunftspläne ernst nehmen muß. So verliert er ihr Vertrauen und schaltet sich selbst aus. Doch die jungen Leute, die zuerst so haltlos scheinen, bewähren sich schließlich, als das Leben sie in die entsprechende Situation bringt. Die gesunde Kraft in ihnen siegt. Chamson erzählt gut, seine Gestalten wirken echt, das Milieu ist anschaulich geschildert. Der Charakter des Vaters ist zuwenig herausgearbeitet, seine Einstellung gegenüber den Jungen hätte mehr Möglichkeiten zu psychologischer Ausdeutung geboten.

Dr. Theo Trümmer *

Die Welserin. Roman. Von Fanny W i b m e r-P e d i t. Eduard Kaiser Verlag, Klagenfurt, 1952. 306 Seiten.

Die Welser beeinflußten die Weltgeschichte nicht wie die Fugger; ihr Streben ging dahin, den oberdeutschen Kaufmannsgeist an den stattgehabten Entdeckungen teilhaben zu lassen. (Sie erhielten von Karl V. als Pfand Venezuela!) Philippine, die Nichte des Bartholomäus und Tochter des Franz Welser, 1527 geboren, heiratete bekanntlich 1557 in geheimer Ehe Erzherzog Ferdinand, dessen Name neben Ambras und seinem Heldenbuch steht. Hier waltete ein Tropfen jenes demokratischen Oeles, von dem 300 Jahre später Uhland in der Paulskirche sprach. Die Handlung setzt sechs Jahre vor der Hochzeit ein und endet 1580 mit dem Tode der in Tirol so verehrten und dort begrabenen Frau. — Eine verdienstliche Gabe der Alpen-ländischen Buchgemeinschaft.

Hanns Salaschek

Das Wunder von Mundisheim. Roman. Von Hans Nüchtern. Leykam-Verlag, Graz. 1952. 640 Seiten.

Der Roman gibt ein Zeitbild aus dem Jahre 1648, ohne deshalb ein historischer Roman sein zu wollen. Vor der Kulisse des ausklingenden Dreißigjährigen Krieges begibt sich in Mundisheim in Böhmen das Wunder, von dem sich der Autor die „Pax mundi“ verspricht — das plötzliche Finden von Mensch zu Mensch. Das Erfreulichste an diesem gewichtigen, gediegen ausgestatteten Werk ist das Anliegen des Autors, die Menschlichkeit, dem er aber stilistisch durch das zu bedachte und sorgfältige Deutsch nicht ganz gerecht werden konnte. Es bliebe zu überlegen, ob „Menschlichkeit“ nicht eine Tendenz ist, die nach weit unmittelbarerem und unkonventionellerem Ausdruck verlangt, und ob heute das aufrichtige und rückhaltlose Bekenntnis nicht viel eher überzeugen kann als deren gewandte Umschreibung und gefällige Darstellung. Wieland Schmied

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Vererbungswissenschaft. Von Bartehlmeß. In: Orbis academicus, Problemgeschichten der Wissenschaft in Dokumenten und Darstellungen. Verlag Karl Alber, Freiburg/München, 1952. 430 Seiten. Preis 23 DM.

Der Band „Vererbungswissenschaft“ erscheint in der Reihe „Orbis academicus“, welche die Problemgeschichte verschiedener Wissenschaftsgebiete an der Hand von Dokumenten aus ursprünglichen Originalabhandlungen darstellt. Dieser Gedanke muß als ein glücklicher und seine Durchführung im vorliegenden Bande Vererbungswissenschaft als eine ausgezeichnet gelungene, das Ganze als ein sehr verdienstvolles Werk bezeichnet werden. Die Originaldokumente sind in hervorragender Auswahl zusammengestellt und geben einen guten Einblick in die historische Entwicklung der Wissenschaft und ihrer Fragestellungen. Im vorliegenden Bande gelangen u. a. zu Wort: Hippokrates, Aristoteles; Harvey, Haller, Wolff; Linne,

Lamarck, Darwin, Haeckel, Weismann, Hertwig, Roux, Spencer, Galton, Mendel, Morgan, Driesch, um nur die wichtigsten Autoren zu nennen. Besonders lesenswert in ihrer Schlichtheit und Klarheit sind die Ausführungen von Gregor Mendel — weit entfernt von dem, was ein späterer „Mendelismus“ aus ihnen gemacht hat.

Wenn dieser Band etwas zu wünschen übrig läßt, wäre es das eine: daß von neueren Autoren nicht nur die Vertreter der selektionistischen Genetik zu Worte kommen, sondern auch die der anderen Richtung, wie Kammerer, Florinsky, Mitschu-r i n, L y s e n k o ; vor allem der erste Vorläufer einer universalistischen Genetik, der den ersten Versuch zu eine? Synthese des Wahrheitsgehaltes beider Richtungen auf scholastischer Grundlage gewagt hatte: Bernhard Steiner mit seiner „Theorie der Vererbung“ (Leipzig 1935), die es nicht verdienen würde, der Vergessenheit anheimzufallen.

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