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Lebendiges Berliner Theater

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Trotz der Vorbereitung des Umzuges in das neue Haus fand die Städtische Oper Zeit zur Wiederaufnahme von Glucks „Iphigenie". In der überzeugend werkgerechten Aufführung packten unmittelbar die edle Menschlichkeit, das in Demut getragene Leid — Grausen und Haß aber, das dumpfe Wüten des sich so gar nicht wandelnden Bösewichtes Thoas aber wirkten komisch, verzerrt, brachten zu Lächeln eher wie den Erwachsenen das so völlig unsinnige Wüten eines kleinen Kindes gegen einen Stuhl, an dem es sich gestoßen. Auch Glucks Musik (gerade siel) stützt und trägt diesen Eindruck, obwohl er zweifellos all seine Qual und Angst in ihr niederschrieb.

Noch ist das Grausen der Gegenwart (seit 19X4) zu stark, das Dunkle so übermächtig, daß es während der Woche der Brüderlichkeit nur in Bildberichten und Reportagen, in lockeren Szenenfolgen und Lesungen Gestalt gewann. Das Programm der großen Bühnen beschränkte sich weitgehend auf Beschwörung von Liebe und Leid in historischen Situationen, geschrieben von älteren, klassischen Autoren. Wie etwa Gluck. Wie Goethe in „Egmont“. Wo aber bei „Egmont" noch das Verhängnis eines ganzen Volkes sichtbar gemacht wird, da bleiben die Autoren der Jahrhundertwende, da blieben die weiteren Beiträge zur Brüderlichkeit in der Sorge für einzelne, in der Analyse von einzelnen Sorgen. Das große, das politische Schicksal zu gestalten, gelingt nicht.

In O’Neills „Ein Mond für die Beladenen" (Züricher Gastspiel) ist es der Väter Trunksucht, an der die Kinder leiden; in seinem „Seltsamen Zwischenspiel" (Renaissancetheater) sind es seelische Folgen des ersten Weltkrieges, an denen Nina Leeds Jahrzehnte krankt. In der dramaturgisch meisterhaften Fassung des Hausherrn Kurt Raeck konnte Gisela Peltzer, reife Tragödin nunmehr, den Leidensweg dieser Frau bis zur Erlösung gestalten: das Dunkel bleibt Zwischenspiel, auch wenn es ein Leben lang währt. Der Konflikt ist ausgetragen. Die junge Generation bleibt unberührt. Am Ende steht Hoffnung. — Ähnlich in Strindbergs „Totentanz“ (Walter Franck brachte ihn inzwischen auch -naah ‘Wien) Weil : nhr der . .eiste Toihgeri spielt wurde, schließt das Stück ntit der Möglichkeit dès Durch Stehens, ines neüen Verstehens der beiden Ehegatten: Leid wird zum Zwischenspiel.

Mitreißend und ganz und gar gegenwärtig aber ist die Reifung eines Menschen zur Überwindung und zur Verantwortung durchgeführt in B a r 1 a c h s „Blauem B o 11" ; beklemmend dicht war auch die Aufführung des Schiller- Theaters mit Ernst Schröder. Ihren ganzen Reichtum wird diese Inszenierung allerdings erst offenbaren, wenn die drama-

turgisch meisterhaft konzipierte Gegenüberstellung vollzogen ist mit der Geschichte jenes anderen Gutsherrn Puntilla und seines Knechtes Matti, geschrieben von Bert Brecht. In einigen Wochen wird die Premiere sein, auch ein politisches Ereignis.

Die Theaterwerkstatt des Schiller- Theaters (untergebracht in einem kahlen Dachraum) brachte eine Uraufführung. Dort hatte man unlängst einen A11 - B e r- liner Possenabend veranstaltet, mit überwältigendem Erfolg. Die Berliner suchen ihre Vergangenheit, sie lieben das Lokale: auch wenn sie es ironisieren. Und die Werkstatt war durch dieses Programm bekanntgeworden. Das kam jetzt Günter Grass zugute in seinen „Bösen Köchen“. Und zunächst schien sein Stück wirklich die Tradition der Possen fortzusetzen. Da war eine Handvoll Köche auf der Bühne, hübsch abschattiert und ein wenig skurril. Bittend, flehend, fordernd, drohend, listig und lustig suchen sie einem Amateurkoch sein famoses Suppenrezept abzujagen. Plötzlich aber stapelt Graß harmlosen Berufsehrgeiz zu Verfolgung: historisch, kosmisch, metaphysisch. KZ geistert. Hölle, Bosheit und Brutalität des Menschen brechen auf, unmittelbar. Dem Amateur bleibt nur der Selbstmord. — Hier nun sollte man prote stieren, meine ich. Vielleicht wollte wieder einmal ein Moralist tränenden Herzens feststellen. Aber wir werden uns an die Feststellungen gewöhnen. Wir werden lernen, ihnen zu entsprechen. Wir werden an die Bosheit der Köche glauben und dabei böse werden Und schade auch um den Autor: Ausgriff ins Welthistorische (wenn nicht mehr!) läßt ihn eine derbe, zwischen Witz und Realität schwingende poetische Posse verfehlen und ein mißglücktes Ärgernis zustande bringen. Grass ist Berliner. Doppelt schade drum. Denn Berlin braucht seine mo derne Lokalposse.

So bleibt ihm (neben dem immer mehr florierenden Kabarett: eine Hand reicht zum Aufzählen der jungen Truppen schon nicht mehr aus!) nur die Sehnsucht nach der Vergangenheit und die Sehnsucht nach dem phäakenhaft anderen: Frankreich heißt das für uns, Paris (Aymes Mondvögel und Pagnols Großes Abc) und Wien. Daher der Erfolg von Hofmannsthals „Unbestechlichem“ (wenn man auch hier nur wenig Sinn hat für die halben Töne wienerischer Melancholie; Hanns-Ernst Jäger spielte in der Volksbühne seine Rolle eindeutig zur großen Posse hin). Daher auch das Vergnügen des Publikums bei A s m o d i s „Nachsaison“ (Berliner Theater): selbst wenn der Autor den Aufstieg zur Poesie zu schwierig findet und um des Vergnügens willen sein Stück dem Klischee verschenkt und der Operette.

Sonst gab’s noch eine schwache Aufführung von Tschechows „Kirsch- garten“ im Schloßpark- und zwei gute im Schiller-Theater: wieder einmal einen Sternheim (19X3) und wieder einmal einen Shaw („Die Häuser des Herrn Satorius").

Hans Wolfgang Nickel

Aus Wiesbaden

Das Gastspiel des Teatro Massi m o Palermo bei den internationalen Maifestspielen in Wiesbaden brachte eine Wiederbegegnung mit B e 11 i n i s zu Unrecht vergessenen Meisterwerk „D i e P u r i t a n e r“. Freilich stellen Libretto und Handlung keinerlei geistige Ansprüche, die Art aber, wie der Komponist mensch- .ücbe i Leidenschaften und; •Qmekterxeich- nuftgen mit den Mitteln der Opernmelodie idaretellts :füh fc direkt zu Verdi,uder ¡diese Fähigkeit später zu größter Vollkommenheit entwickelte.

Die Wiedergabe stellt höchste Ansprüche an die Virtuosität der Sänger und ist wohl nur von italienischen Kräften in dieser natürlichen Selbstverständlichkeit zu erreichen. Raffaele Arie, Nicola Filacuridi, Piero Guelfi und Gianna D’Angelo in den Hauptrollen, der von Gianni Lazzari einstudierte Chor, dem man gerne seinen Ruf, der beste Italiens zu sein, bestätigt, die historisierenden vornehm-strengen Bühnenbilder zusammen mit leuchtkräftigen Kostümen und der junge Maestro Luciano R o s a d a am Pult des vortrefflich spielenden Orchesters, beglückten das Festspielpublikum mit einer wahren Orgie des klassischen Belkanto. Der Beifall war entsprechend enthusiastisch.

W. A.

Herr lonesco sagte

Die Kulturabteilung Frankreichs im Saarland lud zu einer „Französischen Woche“ in Saarbrücken ein. Neben einer Modenschau, die von den führenden Häusern der Seine-Metropole beschickt war, einem Gastspiel des Balletts der Großen Oper und folkloristischen Veranstaltungen, erschien auch mit Eugen lonesco einer der bekanntesten und umstrittensten Theaterdichter der Gegenwart, um laut Ankündigung über sein Theater zu sprechen. Das Publikum, in der Hoffnung, endlich einmal authentisches über lonescos Stücke zu hören, war zahlreich erschienen, und — wurde enttäuscht, da Herr lonesco gleich zu Beginn verlauten ließ, daß er keine Vorträge liebe.

„Trotzdem hätte ich gerne einen gehalten, leider kann ich es nicht, da ich meine Stücke nicht mehr verstehe, sie widersprechen sich, ich bin augenblicklich in einer Krise.“ Anschließend las dann der Dichter aus „Mörder ohne Bezahlung“ — „mein liebstes Stück“, wie er sichtlich verlegen zugab — einige Szenen vor. Klein von Gestalt, mit wuchtiger Stirn und von starken Brauen umschatteten zwingend- lebhaften Augen, stand er etwas verlassen auf dem riesigen Podium und las ohne viel Aufsehens, sehr schnell mit verhaltener Stimme: Wieder wie in den Nashörnern ist Berenger die zentrale Gestalt, jener Berenger, der unter der Absurdität der Welt leidet und schließlich zugrunde geht, weil eine unbezwingbare Macht die Welt haßt und die Zerstörung herbeiführt. — Später nochmals um eine Erklärung gebeten, erklärt lonesco: „Ich kann es nicht — ich betrachte die Welt als ein lächerliches und absurdes Schauspiel und amüsiere mich dabei."

Winfried Ammei

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