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Großes Piccolo Teatro

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Drei Abende Festakt in der Burg: das Gastspiel des „Piccolo teatro della cittä di Milano“. — Giorgio Strehlers Ensemble weilt zum zweiten Male in Wien, also war es ein Wiedersehen, eine glanzvolle zweite Begegnung — indessen, wenn wir „weilte“ sagen, muß es „siegte“ heißen, und die Begegnung, wiewohl es die zweite war, war einmalig und jedesmal neu und vollendet.

Der erste Abend galt Carlo Goldoni und mit ihm der Commedia schlechthin. Strehlers „Diener zweier Herren“ ist ein Theaterereignis virtuoser szenischer Schöpfung, von unvergleichlicher Anmut und Grazie — zweifellos eine der aufsehenerregendsten Inszenierungen des gegenwärtigen europäischen Schauspiels. Man kann sein Theater die musikalische Prosabühne nennen, doch das allein ist es nicht, das liegt am Ensemble, an dem Temperament, an der Grazilität und Musikalität, an der einzigartigen komödiantischen Verve der italienischen Theatertradition, von der wir den „echtesten“ Arlecchino, den klassischesten Pantalone mit Recht erwarten können. Die nahezu theatergeschichtliche Größe dieser Bühne und ihres Spielleiters liegt in der beispielhaften Harmonie der Präzision und ExaVtheir, die schwerelos und spielerisch ineinandergreift, da-hinschwebt, artistisch brilliert und gestalterisch verzaubert.

Strehlers Schauspieler schöpfen ihre Kraft im Ur-theater, ihre Charaktere im Urmenschlichen, und wenn sie Commendia dell'arte spielen, dann gestalten sie die Urkunst der Komödie. Wenn wir daher aus dem „Diener zweier .Herren“ die unübertrefflichen Verkörperungen Arlecchinos durch Marcello M o-r e 11 i, Pantalones durch Antonio B a 11 i s t a und Doktor Lombardis durch Checco R i s s o n e herausheben, dann nennen wir nur die Glanzrollen — Lob und Dank gilt einem ausgezeichneten Ensemble, das ans einen vollendeten Goldoni schenkte.

Und doch war dieser Goldoni als Symbol einer zutiefst traditionellen Verbundenheit nur Beispiel einer virtuosen Inszenierung. Ihre Bedeutung trat an Luigi Pirandellos Farce „Heute wird aus dem Stegreif gespielt“ hervor. Strehler führte Pirandellos Durchbrechung der Illusion, seinen in ständiger Umkehrung begriffenen Auflösungsprozeß zu einer synkopisch ineinandergreifenden Bilderfolge von beklemmender Wirkung. Das Stück, in seinem Grundriß und seiner romantisch-ironischen Tendenz dem bekannteren „Sechs Personen suchen einen Autor“ Sehr ähnlich, benutzt die . Bühne als Bühne, um einen Ort des Zwiespaltes zwischen Darsteller und Rolle einerseits und die Verschmelzung von Rolle und Leben anderseits zu demonstrieren; das Geschehen ist konvulsivisch, vital, und von problematischer Dialektik.

Auch hier ging Strehler mit präziser Genauigkeit ans Werk, mit Stanislawskijscher Kleinmaleret und Wedekindscher Schärfe. Er schuf grelle, wuchtige Szenen, wie wir sie schon lang nicht mehr gesehen habend In ihrem Mittelpunkt stand neben profilierten Leistungen Marcello Morettis, Antonio Battistellas und Guisi Dandolos ein atemberaubend intensives Spiel von Valentina Fortunato und Tino C a r-r a r o. — Die trefflichen Bühnenbilder waren von Ezio Frigerio und Luciano Damiani.

Zaghaft und unansehnlich war der Saisonbeginn unserer eigenen „piecoli teatri“. — Den Anfang machte das „Kleine Theater im Konzerthaus“ mit der österreichischen Erstaufführung einer ziemlich alten, von den Engländern E. Percy und R. Den-ham verfaßten, von Marcel Dubois überarbeiteten und von M. Merot ins Deutsche übertragenen Kriminalgroteske „Das Haus im Moor“. Eine ziemlich sumpfig-humoorige Geschichte — um nicht makaber zu sagen — mit einer Reihe recht „wirkungsvoller“ Szenen für „Feinschmecker“ der Kriminalpsychologie, in der irrlichternde Moordünste und old-englischer Lavendelduft von einem reichlich moderigen Fäulnisgeruch überlagert ist. Der im Grunde zutiefst tragische (und wenn man so sagen will: seriöse) Unterbau der Handlung, derzufolge eine wohl nicht ganz zurechnungsfähige ältere Frau einen Mord begeht, um ihren zwei noch unzurechnungsfähigeren älteren Schwestern einen „angenehmen Lebensabend“ zu ermöglichen, geht Hand in Hand mit skurrilen und grotesken Situationen, zu denen geschickt inszenierte Gruselkabinett-Stücke das Ihre beitragen, um die Zuschauer an jenen Stellen, sei es zum Lachen, sei es zum Gruseln, zu bewegen, an denen es ihnen angebracht erscheint.

Ausgezeichnete schauspielerische Leistungen von Toni B u k o v i c s, Auguste Welten und Eva S a n d o r, eine an zweifelhaftem Stoff sich trefflich erweisende Regie von Friedrich K a 11 i n a, ein sehr eindrucksvolles Bühnenbild von Robert H o f e r-Ach.

Auch kriminalistisch, von ähnlich grotesker Absicht, nur weniger psychologisch und nicht ganz so „schwarz“ geht es im „Theater der Courage“ zu. „Der schwarze Mönch“ ist ein echter (fürs Theater freilich etwas zu „literarischer“) Edgar Wallace, der es vorzieht, die Opfer auf offener Bühne und mit komödiantischem Geschick erdrosseln zu lassen. Die Regie (Helmut Wagner) kommt dieser „Kamin- und Revolverkomödie“ mit viel Ambition nach; es gibt ein in der Courage nunmehr schon (zu) heimisches Quantum parodistischer Gags, der Outrage und Persiflage, und bei den in der Dreigroschenkriminalistik ungeübteren Zuschauern ein

über die Pause anhaltendes Rätselraten, auf wen von den Akteuren die Verkleidung des schwarzen Mönches passen könnte. Die Unterhaltung ist größer als die Spannung, und die Langeweile nicht ganz so groß wie die Unterhaltung. Ungeachtet dessen sehr gute groteske Verkörperungen durch Brigitte Köhler, Herbert W o c h i n z und Luise Prasser, gediegene Kriminalfiguren von Kurt Mejstrik, Walter Langer und Walter Simmerl.

Eine mehr als harmlose Sowjetkomödie „B i 11 e, bleiben Sie am Apparat“ von Konstantin Issajew und Alexander Gallitsch ist im „Theater am P a r k r i n g“ zu sehen. Auch nicht mehr ganz neu, aus den dreißiger Jahren etwa, als man sich bei aller Linientreue dergestalt über ein paar Einrichtungen der Großen Union lustig machen durfte, als man behutsam die „Genossen Bürokraten“ und das nicht ganz vorzüglich funktionierende Telephonnetz zu glossieren wagte. Mehr kann freilich nicht geboten werden, das Humorplansoll ist erfüllt. — Regie: Otto Ambroß, Bühnenbild: Walter Lothka; es spielen: Robert Werner, Kurt Müller, Elfriede Rammer, Erika Mich], Joe Trümmer u. a.

Das „Intime Theater“ in der Liliengasse eröffnete neu mit einer „unmusikalischen Kabarettrevue“ von Gerhard Bronner, Carl Merz und Helmut Qualtinger (mit überflüssigen Beiträgen von Georg

Kreisler): „B 1 a 111 vor'm Mund“. Vor ein paar Jahren sahen wir das gleiche Team am Werk im Kleinen Theater im Konzerthaus mit einem ähnlichen zeitkritischen Programm: dem „Brettl vor'm Kopf“. Damals gab es noch den Sender Rot-Weiß-Rot, “in dem dieses Brettl beheimatet war; das „Blattl vor'm Mund“ dagegen ist in einem Mittags-blattl populär geworden. Ob aber Brettl oder Blattl: das Geheimnis des Erfolges der Leute um Qualtinger besteht darin, daß sie sich kein Blattl vor den Mund nehmen, wie sie kein Brettl vor dem Kopf haben. Ein Kabarett lebt auf die Dauer nicht von seinen Pointen, sondern von seiner Gesinnung, von seiner Einstellung zur Welt, von seiner Art, das Leben zu sehen und zu glossieren. Das, was dort vorgetragen wird, muß nicht nur witzig sein, sondern es muß richtig sein. Und man wird seines eigenen Lachens nur dann ganz froh werden, wenn man auch nachher damit einverstanden ist, daß man gelacht hat. Besonders geglückt: „Die Ueberfahr-prüfung“, die Hamlet-Parodie „Harte Fäuste, weiche Birnen“, die sehr ernste „Fahrt ins Rote“ und der „Bundesbahnblues“; man bewundert neben dem Texter auch den Schauspieler Qualtinger, dessen Verwandlungsfähigkeit vom „Sektionsrat Abspirrer“ über den russischen Denkmalsoldaten am Schwarzenbergplatz bis zu Harry S. Hamlet, „einem Menschen wie du und ich“, alle Möglichkeiten der Menschendarstellung ausschöpft; was um so höher zu werten ist, als der Text ja die Gefahr in sich birgt, daß hier Menschen zu Karikaturen werden, anstatt daß Karikaturen menschliches Leben gewinnen.

— i e d

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