6686992-1962_20_15.jpg
Digital In Arbeit

Vom Ganzen zum Bruchstück

Werbung
Werbung
Werbung

Daß der Mensch in der klassischen Dichtung ganz Gleichnis und doch ganz Mensch sein kann, bewies die Inszenierung Leopold Lindtbergs von L e « s i n g « „Nathan der Weise“ am Burgtheater. Nach einer berühmten Definition ist das wahre Konservative nicht dem Vergangenen, sondern dem Ewigjungen verpflichtet. Eben die« gilt auch für die rechte Klassikeraufführung. Sie hat nichts mit Traditionspflege und edler Langeweile zu tun, sondern sie läßt den dichterischen Handlungsvorgang unmittelbar zum Leben erstehen, in der Morgenfrühe des ersten Tages. Leasings makellose, bis in die Absatz- und Zeichengebung dem Atemstrom des Sprechers angepaßte Rhythmen, die mit keiner Spur von Wissenskram belastet sind, eignen sich für ein solches Geschäft besonders.

Lindtberg wußte die&#171; zu nutzen. Et ließ den Nathan als eine spannungsreiche, sprühende Handlung, nicht als Rahmenwerk für die Deklamation humanitärer Lehren erstehen. Keine der Nebengestalten wurde zum Stichwortbringer, in jeder lebte eine bestimmte, nur ihr eigene Form der religiösen Verwirklichung, eine aufglitzernde, trüb-stille oder böse funkelnde Facette des einen und weißen Lichtes, das der Dichter im Prisma der Nathangestalt vereinte. Christiane H ö r b i g e r (Recha) machte die pietistische Form der namenlosen Gefühlsreligiosität mit einigen, sonst oft überhörten Sätzen ebenso glaubhaft wie Eva Z i 1 c h e r (Sittah) und Heinz W o e s t e r (Saladin) die vernunftmäßige Glaubensethik des Korans. Auch der leider bei der Premiere erkrankte Attila H ö r-b i g e r ließ als ekstatischer (und nicht komödiantischer) Derwisch einen neuartigen Ansatz erkennen. Andere Nuancen: die mütterlich-diesseitige Betulichkeit der D a j a (Adrienne G e s s n e r), der kleri-kal-politisierende, aber keineswees schur-kenhafte Patriarch des Hans T h i m i g, der in keiner Weise verzerrte, herzensfromme Klosterbruder des Hermann T h i-m i g, besonders aber der sehr moderne, den Antisemitismus von einer tief verborgenen Wurzel her „verständlich“ machende Tempelherr des Wolfgang S t e n d a r. Wer den Nathan de&#171; Ernst Deutsch früher sah, den greisen, etwas larmoyanten Propheten, der steht sprachlos vor der ganz neuen Einverwandlung dieser Gestalt, die nun bis in die letzte Bewegung hinein ganz und gar Mensch geworden ist, um zehn- -fähre verjüngt, mit der;R<c41e' und' ÖrWtifl^urft- &#9660;etwaeÄÄrrr s- -%mW t&iM der gläubige' Christ' anmerken, d£ß; es ihm bei Gleichnisrede und Leidensklage zuweilen schien, als leuchte hinter der Maske de&#171; jüdischen Künstlers das geheimnisvolle und doch ganz reale Bild des Jeschua von Nazareth, geboren im Judenland aus der Familie Davids, hindurch?

Arthur Schnitzlers Menschen stehen am Wendepunkt. Noch lebt die nicht zur Phrase gewordene ideale Forderung des klassischen Humanismus, die als Gegenpol einer in subjektivistischer Auflösung befindlichen Gesellschaft zwar erkannt, aber schon nicht mehr verwirklicht wird. Noch wissen die Menschen wenigstens, daß sie Sünder sind. Nicht im Moralistischen und Formalen zwar, aber in der mangelnden Daseinserfüllung, in der verfehlten Pflicht, für den anderen da zu sein. Die Einsamkeit der Menschen im „E i n-samen W e g“ ist keine von außen verhängte, sie ist eine &#171;elbst verschuldete.

Die Tragik liegt darin, daß es aus ihr heraus keine Umkehr zu einer von Tag zu Tag weniger existierenden Gemeinschaft gibt, sondern nur den Opfergang in ein vage als Sühne empfundenes Sterben. Heinrich Schnitzler inszenierte das Werk &#171;eines Vaters in dem für diese Rollen wie kein anderes prädestinierten Theater der Josefstadt fast als eine Meditation. Keiner

der Schauspieler sprach zum Publikum, kokettierte mit dem Zuschauer, versuchte, seine Aussage deklamierend anzubringen. Hingegeben an eine sich vollziehende Handlung, in deren Mittelpunkt der brutale und der ästhetisierende Egoist stehen, die erst in den lichten Augenblicken des Endes merken, mit welcher Blindheit sie an der inneren Hingabe der Frauen vorübergingen, vollziehen die Künstler ein Spiel, das man in seiner Perfektion ;um österreichischen Repräsentationsabend erklärt wissen möchte.

Ein solches Ensemble müßte, wie das der Comedie francaise für einen Moliere, das Strehlers für einen Goldoni, das Stanislawskis für Tschechow, bereitstehen, wenn man zu festlichem Anlaß das österreicher-tum vorzuführen hätte. Gretl E1 b und Vilma Degischer könnten so bleiben, wie sie sind, Nicole Heesters könnte noch ein bißchen mehr in ihre richtig erfaßte Rolle der jungen Johanna hineinwachsen. Leopold Rudolf (von Sala) ist eben ganz so, wie er ist. Den Herrn von Sala der Bassermann-Zeit gibt es wahrscheinlich nimmer. Der vortreffliche Erik Frey (Fichtner) bleibt der Makart-Figur den Hauch der Pseudodämonie schuldig. Bleiben, ganz so bleiben, können Carl Bosse,

Michael He 11au und Rudolf Röäncr. Sehr, sehr ändern müßte Lois Egg sein viel zu buntes Bühnenbild. Und bleiben müßte am Dirigentenpult dieses Abends vor allem Heinrich Schnitzler.

Ob sich Jean Anouilh über sich selbst, die Zeit oder sein Publikum lustig machen wollte, als er seine Schauspieletüde „Die Grotte“ der Öffentlichkeit übergab, wissen wir nicht. Vielleicht wäre manches deutlicher geworden, wenn nicht Axel von Ambesser die Aufführung des Akademietheaters allzu kabarettistisch inszeniert und als „Autor“ konferiert hätte. So wurde das verzweifelte Suchen des Dichtere nach einem Sinn des unbarmherzigen Geschehens „derer im Dunkeln“ und des egozentrischen Daseinsspiels „derer im Licht“ von vornherein zu einem schnoddrigen Bühnentrick. Die Schauspieler kamen mit ihren Stilen nicht zurecht. Nur dort, wo die Leidenschaft zu verzweifelten Flammen aufschlug (Inge Brücklmeier und Achim B e n n i n g), entzündete sie auch ein Publikum, das vor diesen Menschenfragmenten sonst reserviert blieb.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung