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Falsche Illusionen

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Jede österreichische Uraufführung erweckt die prickelnde Erwartung: Vielleicht gelingt diesmal der große Wurf, vielleicht überrascht diesmal ein österreichischer Bühnendichter mit einem Beitrag zur Weltdramatik. Das Programmheft des Konzerthaustheaters der Josefstadt führt in seinem klugen Vorwort einige gewichtige Gründe an, warum den österreichischen Dramatikertalenten der eigentliche Erfolg versagt bleibt, und nennt unter anderen vor allem „den eingewurzelten österreichischen Hang zur Synthese“. Es wird das Thema nicht eingekreist und hart und kompromißlos gestaltet, sondern der Synthetiket im Österreicher versucht, überall „die Zusammenhänge zu betonen, die Gegensätze zu überbrücken, aus ihnen eine Gemeinsamkeit zu sublimieren“. Das gilt auch für den Südtiroler Hans Friedrich K ü h n e 11 (Jahrgang 1918). Man erinnert sich noch gern an seine Roboterkomödie, „Ein Tag mit Eduard“, und an das lyrisch versponnene Spiel „Eusebius und die Nachtigall“. Kühnelt hat ausgezeichnete Einfälle — ohne mit ihnen recht fertig zu werden. Das gilt im besonderen auch von seinen eben unter dem gemeinsamen Titel „Auf der Straße und im Zimmer“ aufgeführten beiden Einaktern.

Im „Kilometer 21“ karamboliert auf der menschenleeren Paßstraße der Luxuswagen des Direktors (einer Art Wohlstandskarikatur) mit dem klapprigen Fahrrad des Poeten (dem nie etwas glückt und der seine schönsten Gedichte nur in den Wind schreibt). Nachdem sich das Auto und das Fahrrad, allein gelassen, aufschlußreich und redselig über die Charaktere ihrer Besitzer unterhalten haben, endet die folgende Auseinandersetzling des Dichters mit dem Direktor damit, daß dieser gezwungen wird, seine wertvolle Habe und die defraudierten Millionen zu verbrennen und mit dem Fahrrad ins Tal hinunter zu verschwinden, während sich der, Poet in den Fond des verlassenen Autos setzt und vor sich hinträumt: „Es ist eine Liebe denkbar, die alles, auch das Verwerflichste miteinschließt. Es ist eine Welt denkbar, in welcher sich ein Mensch für einen anderen hingibt.“ Der Einakter scheint durch ein Mißverständnis auf die Bühne gelangt zu sein, denn er weist alle Merkmale eines Hörspieles auf.

„Das ideale Heim“, das ein Reklamefachmann täglich in einer Auslage anpreist, stellt die Verkörperung Zehntausender von Wunschfräumeh.dar. Es will den Menschen von der bösen Wirklichkeit abschalten, ihn ewig glücklich, satt, zufrieden und von jeder Verantwortung freimachen. Die kleine Gymnasiastin, die den Gaukeleien des Anpreisers verfällt, kommt bald hinter den Bluff des vermeintlichen Idealisten, der kein Wort von dem, was er sagt, glaubt. Schließlich ziehen sie gemeinsam den einfachen Alltag dem sogenannten idealen Leben vor. Das Spiel, das in Form des Absurden ä la lonesco begann, endet etwas unvermittelt realistisch. Die Satire auf die falschen Illusionen, die Massenmedien, wird zum ironischen Schnörkel. Der Beifall am Ende galt wohl in erster Linie den vom Regisseur (Hans H o 11 m a n n) gut geführten Darstellern

Robert D i e 11, Franz M e ß n e r, Rudolf R ö s n e r und Barbara Kohl.

In dem anarchischen Neapel hat das Volk den Theaterinstinkt im Blut. Dort wird auch das alltägliche Zwiegespräch zum Theater, da es um des Sprechens, der Artikulierung, um der Gesten willen geführt wird. Viel mehr Komödie als Tragödie. Die neapolitanische Volkskomödie muß mit der Träne in einem und dem Lächeln im anderen Auge stets gut ausgehen, denn der tief eingewurzelte Optimismus führt die Moral der leidenden und siegreichen Armut unweigerlich zu einem Happy-End. Auch in dem Lustspiel „Glanz und Elend in Neapel“ von Eduardo Scarpetta siegen die Zuneigung, die Schätze der Seele über Dünkel, Einfalt und Egoismus. Die haarsträubend unwahrscheinliche Fabel tut dabei nichts zur Sache. Ein Adeliger holt sich ein paar Leute aus dem Armenviertel und gibt sie verkleidet als seine hochadeligen Verwandten aus, um einem Neureichen, einem ehemaligen Koch, die hübsche Tochter abzujagen. Scarpetta, ein Komödienschreiber aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, macht sich dabei über alle lustig: über die Armen, die an Hunger und Liebe leiden, über den Tölpel von Reichgewordenen und über die dekadenten Adeligen. Der erste Akt im Quartier der Armen schäumt über von typisch neapolitanischem Leben. Die beiden anderen, welche die Verwicklungen und das gute Ende bringen, sind eher Marionettentheater. Das verlangt vom Regisseur eine präzise Phantasie und vom Schauspieler höchste Disziplin, wenn es nicht in possenhafte Albernheit ausarten soll. Der Inszenierung im Volkstheater fehlten leider diese beiden Grundvoraussetzungen. Der erste Akt geriet noch halbwegs lustig (sehr gut Fritz Muliar als Eugenio): dagegen entglitten die zwei anderen Akte der Regie (Georg Lhotzky) völlig. Am erträglichsten waren noch Paula P f 1 u g e r als herzhafte Concetta, Susi Peter als Kammerzofe Bettina, Ludwig B1 a h a als geplagter Hausherr, Otto W ö g e r e r als dünkelhafter Monsieur Bebe und Arie Bohrer als Pepinello. Das annehmbare Bühnenbild stammt von Wolfgan? V o 11-h a r d.

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