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Aus Oper und Konzert

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„In manchen Künstlern waltet etwas von der Breite und Großherzigkeit der Natur, die sich herbeiläßt, jedem das zu sein, was er in sie hineinsieht, die alle Einwände duldet und sie doch alle erledigt mit stiller, langsamer Gewalt.“ Das schrieb 1938 der Münchner Musikkritiker Alexander Berrsche zu Verdis ein-hundertfünfundzwanzigstem Geburtstag und zielte damit auf das Kolportagehafte einiger früher Opernlibretti und auf den volkstümlich-primitiven Charakter vieler Verdi-Melodien. Der „Troubadour“, schon über 100 Jahre alt und 1854 am Kärntnertortheater erstaufgeführt, kann als Stil-Paradigma der fiühen Verdi-Opern gelten. — Der „Troubadour“ war und ist eine Sängeroper. Wenn diese, wie. bei der letzten Neueinstudierung im Großen Haus am Ring, fehlen, nützt kein Philharmonisches Orchester und kein Chorensemble. Karl Schmitt-Walter von der Münchner Staatsoper als Luna war in Stimme und Spiel etwas matt, Hilde Zadek als Leonore sang und spielte sich erst allmählich frei, Margarete Klose (Azucena) hatte kein Glück mit den Spitzentönen; so kam es, daß das Publikum, dankbar für jeden schönen Ton, Josef G o s t i c als Manrico lebhaft feierte. Regie und Bühnenbild waren fast unverändert wie* im Theater an der Wien. Es dirigierte Wilhelm L o i b n e r, dem der Chor einige Male da-vonzurennen drohte.

Singspielund Große Oper, gefühlvolle ' Lyrismen, artistische Koloraturen und drastische Spaße: aus der Vereinigung dieser Elemente entstand nicht etwa eine Opernparodie, sondern Mozarts „Entführung aus dem Serail“. Die Uebersiediung dieses kostbaren, beliebten, aber sehr selten gegebenen Werkes aus dem Theater an der Wien ins neue große Haus ist gut gelungen. Das einzige Bühnenbild • Rudolf K a u t s k y s, ein Platz vor dem Palast des Selim Bassa, mit dem blauen Meer im Hintergrund, ist hell, freundlich und adrett. An der Regie Erich W v m e t a 1 s ist fast nichts auszusetzen. Die Sterne des Abends waren Rita Streich als Blondchen und Wilma Lipp als Konstanze. Die Männerrollen sangen Julius , Patzak (Belmonte), Murray Dickie (Pedrillo), Endre Koreh (Osmin) und Philipp Zeska (Selim Bassa). Rudolf M o r a 11 dirigierte die besonders fein musizierenden Philharmoniker.

Mehr als 2po Jahre Operngeschichte illustrierte der Abend der Wiener Kammeroper im Mozart-Saal des Konzerthauses. Hier leitete Hans Gabor ein vom Niedefösterreichischen Tonkünstlerorchester begleitetes Ensemble, das Alessandro Scarlattis „Sieg der Ehre“ und Boris B1 a c h e r s Kammeroper „Die Flu t“ nach einem Text von Heinz von Kramer spielte. — Die Komödie Antonio Tullios, nach der Scarlatti der Aeltere seine immer geschmackvolle und wendige Musik schrieb, ist eine Variation des spanischen Don-Juan-Stoffes (ohne Steinernen Gast und mit lustspielhaftem Ausgang). Die acht Solopartien waren gut studiert und mit jungen Künstlern besetzt, von denen einige den Weg zur großen “Oper sicher finden werden. — Für den Rundfunk schrieb Boris Blacher 1947 seine Kam-merbper „Die Flut“, in der — ein wenig lehrhaft und auf recht pessimistische Art W gezeigt wird, wie sich angesichts großer Gefahr vier Personen verhalten, die der Zufall zusammengeführt hat: ein Fischer, ein mondänes Mädchen, ein alter Bankier und ein zweifelhafter „junger Mann“. — Stoff, Stil und Besetzung (Streicherensemble und sieben Bläser, dazu ein aus vier Stimmen bestehehder kommentierender Chor) sind wesentlich von Weill und Strawinsky beeinflußt. Die Musik Blachers 'st, wie immer, interessant, schlank und beweglich. In den vielen ■ Ensembles läßt freilich die Textverständlichkeit zu wünschen übrig. — Auf dem engen Raum der improvisierten Bühne des Mozart-Saales hat Willy Pribi.l sehr geschickt Regie geführt. Carla T i e t z schuf Bühnenbilder und Kostüme, die in der Scarlatti-Oper einen leicht karikaturistischen, in der „Flut“ einen surrealen Einschlag hatten. Die Kammeroper unter Hans Gabors Leitung hat seit ihren letzten Aufführungen in Wien bedeutende Fortschritte gemacht und uns einen interessanten und anregenden Abend geschenkt.

Die Gattin und Meisterinterpretin Boris Blachers, die Pianistin Gerty Herzog, spielte im Zyklus II der Konzerthausgesellschaft („Beethoven-Symphonien und Meisterwerke der Romantik“) das Klavierkonzert a-mo 11 von Robert Schumann. Von den Symphonikern unter Heinrich H o 11 r e i s e r begleitet, spielte Gerty Herzog dieses romantischeste aller romantischen Werke mit weichem und vollem Ton, die Lyrismen hervorhebend, alles Virtuose dämpfend. -- Eine Meisterleistung des Dirigenten und des Orchesters war die Interpretation von Beethovens „Pastorale“. — Fast eine Woche nach Erich Kleibers Tod gedachte man in Wien zum erstenmal des großen Dirigenten durch die Trauermusik aus der „Götterdämmerung“. Aber warum gerade mit diesem Werk? Es hätte zumindest drei andere, viel passendere Musikstücke für den besonderen Anlaß gegeben...

Zum Beispiel das große Interludium, das Richard Strauss für seine Bearbeitung des „Idemeneo“ von Mozart schrieb, mit dem die Philharmoni-k e r ihr 6. Abonnementskonzert unter Andri C1 u y-t e n s („In memoriam Erich Kleiber“) einleiteten. — Darnach folgte Haydns „Mirakel-Sympho-n i e“, die einen so lebhaften und anhaltenden Beifall erhielt, wie man ihn meist erst am Schluß eines glanzvollen Konzertes hört. — In seinem „Rondo ostinato“, einem einsätzigen Zwölfminutenstück für 30 Blechbläser und fünf Schlagwerker, verzichtet Theodor B e r g e r auf symphonisch-dramatische Entwicklung zugunsten einer flächenhaften Anordnung dreier bewegter Teile, die durch zwei lyrische Passagen unterbrochen werden. Innerhalb der ersteren wird, über ostinater rhythmischer Begleitung, ein boleroartiges Motiv durchgeführt; die letzteren be-stehen aus langgezogenen, schwermütig-orientalisie-renden Bläserakkorden. Dem originellen und faszi-. nierenden Werk Bergers widmete Andr£ Cluytens die0, gleiche Sorgfalt wie der vierteiligen „R h a p s o d ie e s p a g n o 1 e“ von Maurice Ravel, einem brillanten Bravourstück, das meisterhaft gespielt wurde und“1 neben dem die Komposition unseres Landsmannes in Ehien bestand.

Von der „Internationalen Gesellschaft für neue ' Musik“ eingeladen, hielt vor kurzem Herr Antoine G o 1 e a aus Paris einen zweistündigen Vortrag. -Schuld am LInglück der neuen Musik sind, nath der “ Meinung des militanten Musikkritikers, nicht etwa die Juden, sondern der „falsche Neoklassizismus“. als dessen Urheber und Exponenten die Komponisten., Igor Strawinsky und Paul Hindemith angeprangert wurden. Bereits die anschließend vorgeführten Musikbeispiele von Schallplatten („Oedipus Rex“ von Strawinsky und zwei Violinwerke von Hindemith), die abschreckend wirken sollten, hatten kei- J' neswegs den gewünschten Effekt, sondern zeigten, “ wie grau Goleas Theorie ist. An der gleichen Stelle, im Vortragsaal der Akademie für Musik, wurden eine Woche später Kammermusikwerke von Karl , S c h i s k e, Karl Heinz F ü s s 1, Paul A n g e r e r , und Paul K o n t aufgeführt, und da zeigte sich, daß die theoretisch verdammten Meister nicht nur Schule gemacht haben, sondern daß ihr Einfluß ein durchaus positiver, fördernder und stilbildender ist. („An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“)

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