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Musik der Landschaft

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Von jener inneren und äußerenrLandschaft ist die Rede, welche, im Gegensatz zur Musik als tönend bewegter Form, so vielen älteren und neueren Werken das Gepräge gibt. Ihr Einfluß reicht von der deutlichen und greifbares Einwirkung der Folklore bis zu jener zarten Färbung und Durchdringung gewisser Musikstücke, die man vielleicht schon als eine Seelenstimrmmg, als Landschaft der Seele bezeichnen muß. Um am Gegensatz zu erläutern, was gemeint ist: bei Bach, Beethoven, Braihms und Hindemith ist, von einzelnen Werken abgesehen, von dieser äußeren und inneren musikalischen Landschaft wenig ze spüren; bei Schubert, Schümann, Bruckner, Debussy und zahlreichen neuen Komponisten sehr viel. Imner-hafib der Reihe der zuletzt Genannten wäre noch zu unterscheiden zwischen jenen Komponisten, die das Landschaftserlebnis im weiteren Sinne unmittelbar, sozusagen naiv, gestallten, und anderen, wo es umgeformt und sublimiert erscheint.

Es ist kein Wunder, daß die Komponisten der Länder unserer südöstlichen Nachbarn so ausgiebig aus ihrer lebendigen Volksmusik schöpfen. Manche ihrer Werke leben geradezu von diesen unversiegbaren Quellen, und bei deren Beurteilung ist die Unterscheidung zwischen eigenschöpferischem Einfall, Folklorebenützung oder Stilisierung im Geiste der Volksmusik oft sehr schwierig, ja unmöglich. Sehr deutlich wurde dies bei der Darbietung der 1. Symphonie (Domo-jja,r-iieinaat) des jugoslawischen Komponisten B. Leskovic, der im Festkonzert zum jugoslawischen Nationalfeiertag sein Werk mit den Wiener Symphonikern aufführte. Am echtesten und schönsten wirkte seine Musik dort, wo er mit dem großen symphonischen Apparat die Volksinstrumente seiner Heimat nachzuahmen trachtet: wenn zum tiefen Summen der Kontrabässe — oder zum sanftwiegenden Rhythmus der Streicher ■— die Holzblasinstrumente jene schwermütigen Hirtenweisen anstimmen, die uns mit Sehnsucht nach der Welt abgeschiedener Täler und einfachen Lebens erfüllen; oder wenn im straffen Rhythmus, großartig gesteigert, Volkstänze aufklingen, die uns die urwüchsige Kraft eines unverbrauchten Volkstums erleben lassen.

Ganz durchtränkt von der Volksmusik seiner armenischen Heimat ist auch die 1. Symphonie von A. Chatscha-turian, die Rudolf Moralt mit den Wiener Symphonikern im 2. Russischen Symphoniekonzert aufführte. Von einer Symphonie kann nicht gut gesprochen werden. Hört man die vier ausgedehnten Sätze als Einheit, so breitet sich vor unserem inneren Auge ein breites und farbenprächtiges Panorama der Heimat des Komponisten, der nebenbei ein ausgezeichneter Orchestertechniker ist. Und dieses bunte, lebensfrohe Bild prägt sich ein und beglückt uns. Es ist dies nicht die sublimste, aber eine sehr erfreuliche Wirkung der Musik, welcher wir uns gern überlassen.

Man hat während der vergangenen Jahre versucht, aus L i s z t einen biederen deutschen Musiker aus dem Burgenland zu machen, ihn also gleichsam in eine ihm fremde Landschaft rückzusiedeln. Es war ein Versuch am untauglichen Objekt und hätte für die deutsche Musik keinen Gewinn bedeutet, da sich Liszts Gesamterscheinung wohl der ungarischen und europäischen, nicht aber ausschließlich der deutschen Musik einfügen läßt- Ein ungarischer Dirigent, Jiaos F e r e n c s i k, leitete die Philharmoniker, und die ungarische Pianistin Edith F a r n a d i spielte den Solopart des Klavierkonzerts Es-Dur. Es war eine Gesamt'jistung aus einem Guß. Diese Musik spielt Edith Farnadi so, wie man sie sich Mt zu hören wünschte, aber selten gehört hat. Stil der Komposition, persönlicher Ausdruck und Technik korrespondieren aufs glücklichste, und das Resultat war eine jener glanzvoll-festlichen Aufführungen, die während der letzten Monate nicht gerade häufig waren. •

Indem wir uns von dem Gebiet der GYchestermusik zur intimeren Kammermusik wenden, bieten sich unserer Betrachtung drei Werke, die — jedes auf eine andere Art — die innere und äußere Landschaft in sehr aufschlußreicher Weise widerspiegeln. Bela Bart6ks „Duos für zwei Violinen“ bringen ungarische Volksmelodien (Braut-, Hochzeits- und Spottlieder) wi modern3|te zweistimmigem Satz, fast ohne jede Bearbeitung. Die bereits kl Amerika

entstandenen „C o n t r a s t s“ zeigen deutlich den Einfluß amerikanischer Rhythmik und Melodik und sind ein Beweis dafür, daß der Wechsel der äußeren Landschaft nicht ohne Einfluß auf das Schaffen eines Komponisten ist, den man sich anders als im ungarischen Tongewand nicht vorstellen konnte.

Das „Kleine Konzert für Viola, Klarinette und Klavier“ von Alfred Uhlsei nicht nach seinen satztechnischen und melodischen Qualitäten gewürdigt, sondern nur auf zwei Momente sei hingewiesen. In allen drei Sätzen, auch im langsamen Mittelteil, dominiert das rhythmische Element, und zwar nicht als mechanisch-motorisches, sondern als tänzerisches. Eine seltsame Wahlverwandtschaft aber, die sich wohl jeder rationalen Deutung entzieht, verbindet diese Musik mit der Welt des Südostens, ja vielleicht noch mit einer viel entfernteren östlichen.

H. E. Apostel schrieb zehn Klavierstücke nach Zeichnungen von Kubin, die er „K u b i n i a n a“ o p. 13 nennt. Mit Recht verwahrt sich der Komponist dagegen, musikalische Illustrationen zu Kubinschen Bildern geschaffen zu haben. Was diese Musik mit den Zeidmungen Kubins verbindet, ist zum Teil das gleidie oder ähnliche Lebensgefühl, zum Teil eine intensive — und in ihrem Ergebnis auch sehr eindrucksvolle — Einfühlung in die Welt und Atmosphäre Kubins. Nichts spricht dafür, eine durch ein Kunstwerk angeregte Musik geringer zu achten, als eine original erfundene oder aus dem Geist der Landschaft inspirierte. (Die Reihe der besprochenen Kammermusikwerke wurde im 2. K a m m e r-k o n z e r t „N e u e Musik“ und in einem K a m m e r m u s i k k o n ze r t der U n i-versal-Edition aufgeführt.)

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