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Simplicius“ und neue Orchestermusik

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„Bilder einer Entwicklung aus dem deutschen Schicksal“ nennt der Münchner Karl Amadeus H a r t m a n n die drei Szenen, welche für ihn Hermann Scherchen aus Grimmelshausens bekanntem Roman zusammengestellt hat und die das Libretto der 1934 entstandenen Oper „Simplicius S i m-plicissimus“ bilden. Simplicius als Hüterbub, zwischen Bauer und Landsknecht, Simplicius beim Einsiedel im Wald und auf dem Bankett des Gouverneurs: das sind die drei Stationen seines geistigen Weges, vom unwissenden über den lernenden zum erkennenden Dulder. Eine gesprochene Introduktion und ausgedehnte symphonische Vorspiele leiten die einzelnen Bilder ein. Es gibt Chöre, Sprechchöre und große „Partien“ in dem Werk: Simplicius (Sopran), Einsiedel und Gouverneur (Tenor), Landsknecht (Bariton), Hauptmann und Bauer (Baß), Dame (Tänzerin) und Sprecher. Das Orchester besteht aus Streichern, fünf Bläsern und großem Schlagwerk mit fünf Spielern. Die Musik Hartmanns ist kraftvoll, expressiv und farbig. Es gibt begleitende Schlag-werkostinati, melismatische Arien, Kriegsmärsche. Volkslieder, Songmäßiges und einen Choral. In der Behandlung der harten! trockenen Bläser und der Batterie zeigt sich Hartmann am meisten Strawin-sky verpflichtet, dem er zu Beginn der ersten Szene auch mit einem Zitat aus dem „Sacre du printemps“ huldigt. — Die konzertante Erstaufführung im Mozart-Saal leitete Paul A n g e r e r, der den großen Apparat ausgezeichnet beherrschte, und dem eine sehr intensive und exakte Wiedergabe des schwierigen Werkes zu danken ist. Die Ausführenden waren das Kammerorchester der Konzerthausgejellschaft, der Wiener Kammerchor und die Solisten Ilona Steingruber (in einer besonders schwierigen Partie), Julius Patzak, Kurt Equiluz, Hans Braun, Roman Hencl und Andreas Wolf als intelligenter Sprecher. Es gab lauten und langanhaltenden Beifall für den Komponisten, der aus München herübergekommen war, und für alle Ausführenden.

Josef Krips stellte an die Spitze des 4. außerordentlichen Konzerts im Großen Musikvereinssaal die VII. Symphonie von Jean S i b e 1 i u s : ein rhapsodisch-episches Werk von nur 20 Minuten Dauer, das in seinem einzigen Satz (etwa nach dem Schema: Exposition. Durchführung I. Scherzo 1, Durchführung II, Scherzo II und Reprise) auf originelle Art die symphonische Form variiert. Es war interessant, wieder einmal ein Werk des bei uns so sehr vernachlässigten Komponisten zu hören. Das unmittelbar darnach folgende Violinkonzert Bartöks, von Tiboi Varga intensiv und virtuos gespielt, illustrierte allerdings den Unterschied zwischen dem etwas eigenbrötlerischen Talent (Sibelius) und der wirklich genialen Begabung. In bezug auf geistigen Gehalt, musikalische Substanz, Originalität der Handschrift und Anspruch des Soloparts rangiert dieses Konzert unmittelbar nach den Meisterwerken von Beethoven und Brahms. Josef Krips zeigte sich mit den beiden Werken bestens vertraut und erzielte mit dem Orchester der Wiener Symphoniker hervorragende Leistungen.“ (Den zweiten Teil des Konzertes bildete Tschaikowsky 5. Symphonie.)

Andre Cluyten leitete das 3. Abonnementskonzert der Philharmoniker. Im ersten Teil gab's französische Musik. Bizets 1. Symphonie in C, mit 17 Jahren geschrieben, ist eine glänzende Talentprobe im klassizistischen Stil, ansonsten „ohne besondere Kennzeichen“. Sie wurde bei uns seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr gespielt, aber man kann ihr in größeren Städten des Westens immer wieder als Ballettmusik begegnen. An die Stelle zweier Stücke von Chabrier trat im letzten Augenblick die Suite aus dem 2. Akt des Balletts „B a c-chus et Ariane“ von Albert R o u s s e 1: eine originelle, farbige und unterhaltsame Musik, die in

Cluytens und den Philharmonikern Meisterinterpreten fand. Von romanischem Geist bestimmt war auch die Wiedergabe von Beethovens VII. Symphonie, die leicht und elegant und ganz ohne Pathos gespielt wurde.

Mit einem interessanten und schwierigen Programm gastierte das Münchner Kammerorchester unter seinem neuen Leiter Hans Stadlmaier im Brahms-Saal. Die ausgezeichnete Akustik des Saales kam besonders Strawinskys „C o n c e r t o in r e“ zugute, das wir noch nie so klangschön und zart gehört haben. In seinem „C o n-c e r t o für Klavier und 15 Streicher“ zeigte sich Gerhard Wimberget (geb. 1923) wieder einmal als phantasievoller Klangregisseur, der immer zu interessieren versteht und auch über satztechnische Meisterschaft (die sieben Variationen des Finales) verfügt. Den rhythmisch vertrackten Solopart spielte Hans Bohnenstingl mit bemerkenswerter Sicherheit. Das aus 16 Damen und Herren bestehende Ensemble zeigte seine Qualitäten ferner in einer Streicharmate von, RossiftiJyijW'/wenig ergiebigen „Deutschen. Tänzen“ von Schubert und Bartöks „Divertimento“. Hans Stadlmaier hat alle diese

Stücke gründlich studiert und leitet sein Orchester mit Temperament und Präzision.

Ohne Dirigenten spielt das aus vier Damen und acht Herren bestehende und durch ein Cembalo ergänzte Streicherensemble, das sich „Festival Strings Lucern e“ nennt und aus Schülern der Meisterklasse Wolfgang Schneiderha n—Rudolf Baumgartner gebildet ist. Spieltechnik, Phra-sierung und Ton sind außerordentlich homogen, der letztere von erstaunlichem Volumen. Gespielt wurde vorklassische Musik (Purcell, Vivaldi, J. S. Bach) und Hindemith (Fünf Stücke für Streichorchester, op.44). Aber es klingt alles ein wenig wie Mozart. Das gutgeschulte internationale Ensemble sitzt im großen Halbkreis und wird vom ersten Pult durch Rudolf Baumgartner geleitet, der sich seinem Lehrer

auch als Solist in Bachs Konzert für zwei Violinen d-moll zugesellt. Daß völlige stilistische und klangliche Uebereinstimmung herrscht, wenn Wolfgang Schneiderhan von seinen Schülern (und Enkeln) begießet wird, .braucht wohl, .n.icht betont.,! .werden (Bachs, Violinkonzert E-durt,.Das ehr begeisterte Publikum im Großen Musikvereinssaaf erzwang sich drei Zugaben.

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