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„Canticum sacrum” und dramatisches Ballett

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In dem Konzerthauszyklus „Neue Musik” wurde in Wien Strawinikys letztes Werk, das „Canticum sacrum in honorem Sancti Marei nomini s”, erstaufgeführt, das wir unmittelbar nach der venezianischen Premiere im September des vergangenen Jahres an dieser Stelle („Die Furche”, Nr. 39/1956) ausführlich gewürdigt haben. Der fünfteiligen Komposition, deren Anlage dem Grundriß und den fünf goldenen Kuppeln von San Marco entspricht, ist eine kurze „Dedicatio” vorangestellt. Satz 1 und V für Chor, Orgel und Instrumente (von denen die „singenden” Instrumente, wie Geigen und Celli, Klarinetten und Hörner, fehlen) verkünden in wuchtiger und eindringlicher Sprache den Befehl an die Apostel, die Völker das Evangelium zu lehren. Der 2. Satz nach einem Text aus dem Hohenlied erinnert an den Zusammenhang des Evangeliums und der Kirche mit dem Alten Testament. Der dritte (zentrale und längste) Teil preist die christlichen Kardinaltugenden und der vierte die Kraft des Glaubens. Der Stil des Werkes, dem Vulgata-Latein angepaßt, ist von hieratischer Strenge, die serielle Tonsprache ist so wenig „gefällig” und „ansprechend” wie altslawische Ikonen, Im „Surge, aquilo” und im Vorspiel zum Lob der Fides erscheinen Linien, die offensichtlich nach dem Vorbild von Weberns Klangfarbenmelodien gebildet sind. — Zwei neue Motetten von Johann Nepomuk David in kühn aufgelockertem, expressionistischem Satz leiteten das von dem tüchtigen Wiener Kammerchor unter Hans Gillesberger ausgeführte Konzert ein. Henry Purcells mit kunstvollen Koloraturen garnierte C ä c i 1 i e n - O d e, ein in England hochberühmtes Werk, beschloß das Konzert und verbreitete — an dieser Stelle des Programms — edle Langeweile. Eine baldige Wiederbegegnung mit dem „Canticum sacrum” wäre sehr erwünscht.

Leopold Stokowsky dirigierte im 7. Abonne- mentkonzert die Wiener Symphoniker. Wir hörten ein sehr dramatisiertes und etwas überhitztes „Prflude ä l’aprit-midi d’un faune” von Debussy. Mozarts „Jupiter-Symphonie” in einer keineswegs sensationellen (eher in solider, etwas glanzloser) Interpretation und Dvofik s vielgespielte „Fünfte”, deren effektvolle, dramatischpathetische, zuweilen auch sentimentale Sprache vom Dirigenten wie seine eigene empfunden und wiedergegeben wurde. Aber weshalb wagt Stokowksy in Wien nicht, was ihn u. a. in den USA angesehen und berühmt gemacht hat: ein neues Werk aufs Programm zu setzen? Die Symphoniker könnten’s spielen, er könnte es dirigieren, das Konzert ist sowieso ausverkauft — also warum eigentlich nicht?

Im 4. (vorletzten) Konzert des Beethoven- Zyklus der Symphoniker leitete Josef Krips eine besonders feine und quicklebendige Aufführung der 4.. Symphonie. Hierauf spielte Klara Haskil das 3. Klavierkonzert in c-moll. Der Ton macht die Musik — und der Anschlag den Pianisten. Der von Klara Haskil ist gedämpft und klar zugleich, farbig und rund — und mit diesen Eigenschaften eigentlich für Mozart prädestiniert. Im mittleren Satz empfand man etwas von jener meditativen Ruhe, welche das Wesen des Beethoven- schen Adagio bestimmt. Ungewöhnlich wie die Leistung der Solistin, des in vorzüglicher Kondition befindlichen Orchesters und des Dirigenten war auch der Beifall.

Für die Musikalische Jugend und die Inhaber des Jugendabonnements der Stadt Wien leitete der junge Grazer Dirigent Miltiades C a r i d i s ein Orchesterkonzert der Symphoniker. In D e b u s s y s „Prelude ä l’aprös-midi d’un faune” und in Rachmani- nows 2. Klavierkonzert, das von Alfred Brendel mit noblem Ausdruck gespielt wurde, zeigte dieser schlanke elegante Grieche, daß er im weggespreizten Finger seiner linken Hand mehr Musik hat, als mancher bekanntere Dirigent in beiden Fäusten: ein geborener Orchesterleiter.

Ob es klug war, das allegorien- und bilderreiche Prunkballett „Joan von Zarissa” von Werner Egk mit leinen Aufmärschen und Erscheinungen auf zwei Spielflächen, mit Glockengeläut und (alt- französischen) Chören zu „straffen” und auf seinen Kern zu reduzieren? Prolog und Epilog entfielen auf Wunsch des Komponisten. Aber alles übrige? Zu den reichen und farbenprächtigen Kostümen Georges Wakhewitichl bildete das großräumige, aber etwas dürftige Bühnenbild nicht den rechten Hintergrund. Seit 1940, als das damals sensationell wirkende Werk in Berlin uraufgeführt wurde upd noch im gleichen Jahr von Erika H a n k a an der Hamburger Oper inszeniert wurde, ist viel im deutschen Ballett geschehen. Egks „Joan von Zarissa” bedeutet eine der ersten Stufen dieser erfreulichen Entwicklung. Das soll man nicht vergessen, auch wenn heute manches musikalisch ein wenig allzu handfest anmutet. Erika Hankas Choreographie war phantasievoll und wirkungssicher. Statt der riesigen mattleuchtenden Scheibe, die sich jedesmal herabsenkt, wenn aus dem Hintergrund die sehr undeutlich klingenden Chöre erschallen, wird ihr vielleicht noch etwas Besseres einfallen. Mit Edeltraut B r e x n e r, Willy D i r 11, Richard A d a m a, Christi Zimmerl und Dietlinde K1 e m i s c h waren die Hauptrollen (lsabeau und Joan, der Narr Lefou, Florence und Perette) bestens besetzt. Die etwas schwüle Partie der „schönsten der gefangenen Maurinnen” liegt der kleinen Erika Z 1 o c h a — glücklicherweise — nicht. Um so netter und natürlicher war sie als Veilchenverkäuferin in dem folgenden „Hotel Sacher”, einem neuen Ballett Erika Hankas nach Musik von Josef Hellmesberger, difc von Max Schönherr arrangiert und ergänzt worden ist. Dieses Fastnichts von Handlung mit einer großen Diva im Mittelpunkt, mit der Frau Sacher und ihrem Empfangschef, mit Minister, Leutnant, Student und Ober, mit Altgräfinnen, Komtessen und Stubenmädchen ereignet sich an bekannten Wiener Schauplätzen: im Sacher und im Prater, im Sėparėe und vor dem Bühnentürl der Oper. Das garantiert ein Maximum an Popularität und hat — zumindest für die Wiener den Reiz des „dejä vu”. Die jugendlichen Besucher des Stehparterres bejubelten ihre Altersgenossen auf der Bühne, eine besonders bekannte Melodie von Hellmesberger wurde von einzelnen mitgesungen, und ein Hund im 1. Bild erhielt Sonderapplaus — was will man mehr! Daß das Ganze nicht allzu süß wurde: dafür sorgten der artistische Geschmack Georges Wakhewitschs (Bühnenbilder und Kostüme) und Michael Gielen am Dirigentenpult. Heinrich H o 11 r e i s e r leitete das Egk-Ballett.

Zum Schluß seien einige Umbesetzungen in der Oper notiert: In einer von Heinrich Hollreiser geleiteten Aufführung des „Tannhäuser” sang Aase Nordmo-Loevberg die Elisabeth, Margarita Kenney die Venus und Wolfgang Windgassen den Tannhäuser. — Martha Modi sang die Brühhilde, Aase Nordmo-Loevberg die Sieglinde und Ira Malaniuk die Fricka in der von Herbert von Karajan dirigierten „Walküre”. Im „Fidelio” unter Josef: Krips hörten wir Inge Borck in der Titelpartie, Wilma Lipp als Marzelline, Wolfgang Windgassen als Florestan und Paul Schöffler als Pizarro. ln den Hauptpartien der letzten „Rosenkavalier”-Aufführung unter Karl Böhm agierten und sangen: Lisa Delia Casa, Sena Jurinac, Hilde Güden, Otto Edelmann und Karl Kamann.

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