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Der „Hiob des Vierten Standes“ beim Opernfest

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Ein Werk, das sich auf den ersten Blick so gar nicht für ein Opernfest eignet, hinterließ den geschlossensten künstlerischen Eindruck und hatte den größten Publikumserfolg: gezählte 28 Vorhänge! In seinem soeben erschienenen Buch „Musik unserer Zeit“ schreibt der Pariser Musikkritiker Antoine Golea, daß Alban Berg mit seinem „W o z z e e k“ vor allen großen Musikern, die sich während der letzten 30 Jahre um eine neue Synthese um einen neuen Stil bemühen, der wahrhaft die Seele der zeitgenössischen Menschheit ausdrückt, ein „Meisterstreich“ gelungen ist. Berg habe „ein Vorbild geschaffen, das bis jetzt nicht überboten wurde und zweifellos so bald nicht übertroffen werden wird.“

Berg sah im Mai 1914 in den Wiener Kammerspielen eine Aufführung des „WozzecV-Fragments

von Büchner. Im gleichen Jahr wurde er zum Militär eingezogen und dem Hilfsdienst zugeteilt. Er schob bis zu 36 Stunden Wache, hatte Transporte zu begleiten und kam 1915 ins Militärspital. Berg war ein braver, geduldiger Soldat, der mit sorgsamer Hand die Dienstvorschriften abkalligraphierte. Aber er litt als hochsensibler Mensch unsäglich in der dumpfen Kaserne und im Räderwerk des militärischen Apparats. In dieser Zeit mag ihn das Los Wozzecks, dieses böhmisch-deutschen Hiob des Vierten Standes, viel beschäftigt haben. Im Sommer 1917 hatte er die Arbeit an seinem Libretto beendet, begann gleich mit der Komposition und war 1921 mit der Partitur fertig. — Berg hat später oft betont, daß ihm bei der Komposition nichts ferner lag, als* die Kunstgattung Oper „reformieren“ zu wollen. Die Anwendung geschlossener musikalischer Formen ergab sich zwangsläufig aus der Struktur des Textes. Fünfzehn Szenen und ein Dutzend Zwischenspiele — das konnte man nicht einfach durchkomponieren, ohne monoton zu werden und im Zuhörer das Gefühl der Langeweile hervorzurufen. Berg .aber war Dramatiker, und es ist ihm vollkommen gelungen, was er beabsichtigte:

„Von dem Augenblick an, wo sich der Vorhang öffnet, bis zu dem, wo er sich zum letztenmal schließt, darf es im Publikum keinen geben, der etwas von diesen diversen Fugen und Inventionen, Suiten-und Sonatensätzen, Variationen und Passacaglien merkt, keinen, der von etwas anderem erfüllt ist ak von der weit über das Einzelschicksal Wozzecks hinausgehenden Idee dieser Oper.“ (Eine Studienpartitur des Werkes ist soeben bei der Universal— Edition, Wien, erschienen.)

Nach Erich Kleiber und Clemens Krauss ist Karl Böhm der dritte Wiener Dirigent, der sich immer wieder für Bergs „Wozzeck“ einsetzte und der dem Werk in Salzburg, Paris und Wien zum Sieg geholfen hat. Böhm ist heute wohl einer der besten Kenner und Deuter dieser ' hochkomplizierten Partitur, und seine Interpretation an der Spitze der Wiener Philharmoniker kann als meisterhaft gelten. O. F. Schuh und Caspar N e h e r haben den Stil Büchners, den man als magischen Realismus bezeichnen kann, in den hintergründigen, meist nur skizzenhaft angedeuteten Bühnenbildern, in der manchmal karikaturistischen, manchmal gespenstisch irrealen A.nlage einzelner Figuren und Szenen aufs genaueste getroffen. Die Szene am Teich etwa mit dem blutrot aufgehenden Mond und der schwermütigen Silhouette einer niederdeutschen Stadt im Hintergrund oder das Clair-obscur des Wirtshausgartens verschmolzen mit der Musik Bergs und den wie unter Schicksalszwang handelnden Personen zu vollkommener Einheit. Als Sänger und Darsteller der Titelpartie überraschte der 27jährige Walter Berry mit einer Meisterleistung. Christi Goltz als Marie, großartig singend und im Spiel vom Regisseur kaum tu zügeln, Karl Dönch als Doktor und Peter Klein als Hauptmann, zwei Figuren wie aus E. T. A. Hoffmann Gespenstergeschichten, sind von früheren

Aufführungen als Meisterinterpreten bekannt. Max Lorenz, neu in diesem Ensemble, als Tambourmajor entsprach der Rolle nur äußerlich. Die letzte Szene freilich, mit den spielenden Kindern, bleibt ein Problem, das auch bei dieser Aufführung tant bien que mal gelöst wurde.

Daß während der Eröffnungsfestwochen am Opernring in der V o 1 k s o p e r am Währinger Gürtel „Carme n“ mit einem internationalen Ensemble gegeben wurde, darf wohl als gutes Zeichen dafür aufgefaßt werden, daß man sich im großen Haus nicht vor Konkurrenz fürchtet, sondern jede vernünftige Ergänzung des eigenen Repertoires begrüßt. Mira K a 1 i n, eine junge Jugoslawin, hat ein Etwas in Stimme und Erscheinung, das sie für die Titelrolle geeignet erscheinen läßt. Arne Hendriksen aus Schweden, jugendlich schlank, hat mehr das Metallische als das Lyrische des tenoralen Timbres der Don-Jose-Partie. George London stattet den Toreador, diesen hohlen Kraftprotz, mit zuviel Noblesse aus. Dorothea S i e b e r t gelingt es, der monotonen und künstlich-naiven Micaela einige lebensvolle Züge zu verleihen. Die Leistungen der Sänger und des Chors sind um so höher zu schätzen, als beide von der Regie Helge Ros-v a e n g e s weitgehend im Stich gelassen wurden. Berislaw Klobucar dirigierte mit Elan und nur geringen rhythmischen Mängeln. Das stark eingesetzte und farbige Ballett unter Dia L u c a war echt südlich: temperamentvoll und lässig. Walter H o e ß 1 i n s Bühnenbilder darf man loben. Sie sind äußerst zweckmäßig und ersparen der Regie alle jene komischen Verlegenheiten und Lächerlichkeiten, mit denen die „Carmen“ sonst reichlich versehen ist.

Helmut A. Fiechtner

Steht Verdis Requiem in semer musikdramatischen Ausdeutung des Textes und ariosen Behandlung der Soli mehr als jede andere Vertonung der Totenmesse dem Opernhaften nahe, so ist um so bewundernswerter, mit welcher Grandiosität auch dieser Stil sich an manchen Stellen, vor allem im späteren Teil, zu echter Sakralmusik erhebt; wie beispielsweise im ..Agnus“ gleichsam auf umgekehrtem Wege — dem höchster Subtilisierung — der Ausdruck schlichter Einstimmigkeit und höchster Intensität zugleich erreicht wird. Die Aufführung unter Erich Kleiber hob diese beiden Pole des Riesenwerkes ins Wesentliche und einheitlich Ganze. Seine souveräne, fast gestenlose Führung könnte in Wien beispielgebend wirken. Von den leider nicht homogenen Trägern der Soloparts dominierte Jean Madeira (Alt) durch stärkste stimmliche und dramatisch ausdrucksvolle Profilierung, Annamaria Rovere durch die Helle und Fülle ihres siegend alles überleuchtenden Soprans. Präzision und Ausgewogenheit der Chöre ließen kaum einen Wunsch offen. Nur gelegentlich klangen die Alte Seltsam teilnahmslos. Das Orchester der Symphoniker bot eine brillante Leistung. Eine Randbemerkung: Durch das allzu zwanglose Geplauder des gleichsam tropfenweise auf das Podium sickernden großen Chors wird die Aufführung einer Totenmesse im Publikum nicht günstig vorbereitet.

Eine Künstlerpersönlichkeit vom Range Ricardo Odnoposo'ffs weiß durch ihre profilierte Interpretation auch dort zu imponieren, wo wir. wie beispielsweise bei Mozart (Violinkonzert A-dur), nicht ganz seiner Meinung sind. Sein großer, sehr ausdrucksvoller Ton, ohne jedes Bogengeräusch selbst bei den schwierigsten doppelgriffigen Stellen, der die phrasischen und architektonischen Linien in edler Reinheit nachzeichnet und sich nirgends in bloße Virtuosität verliert, vermochte dagegen das Violinkonzert von Jan S i b e 1 i u s (op. 47), das gleichsam vom Solisten allein zu tragen ist, zu einer sehr schönen Wiedergabe, dieses Werkes zu bringen, wenngleich das nachfolgende Konzert von T s c h a i-kowsky (op. 3 5) die stärkere Publikumswirkung hatte. Die Symphoniker unter Ernst Maerzendorfer waren getreue und verständnisvolle Helfer.

Im Zyklus „Symphonische Meisterwerke“ dirigierte Kurt W ö s s Mozarts „Kleine Nachtmusik“ und Bruckners 4, Symphonie in guter Form und mit ausgewogenen Akzenten, ohne den musischen Schwung zu erreichen, der aus Hildegard Rössel-Majdans schönem Vortrag der Wesendonk-Lieder Richard Wagners klang und dieses Zwischenwerk des Tristanschöpfers zum Erlebnis des Abends machte. Die untergründige Dämonie einer großen Leidenschaft zitterte durch diese Gesänge.

Ein Liederabend von Marguerite Wood überzeugte in einem reichen und vielfältigen Programm von dem 'ernsten und ehrlichen Streben der Sängerin ebenso wie von der noch unzulänglichen stimmlichen Schulung.

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