6695349-1963_04_15.jpg
Digital In Arbeit

Kammeroper und Kammerorchester

Werbung
Werbung
Werbung

Mit dem musikalischen Lustspiel in drei Aufzügen „II Campie 11 o“ von Er-manno Wolf-Ferrari hat die Wie-ner Kammeroper nicht nur eine Schuld an dem zu Unrecht vergessenen Komponisten beglichen, sondern auch sich selbst zu einem vergnüglichen feinen Stück und vielversprechenden Erfolg verholten. Das Leben auf einem venezianischen Hinterhof, ohne eigentliche dramatische Handlung, aber mit lebendigen Gestalten, hat der Komponist in eine keineswegs problematische, aber sehr gekonnte und ansprechende Musik eingefangen; der Humor spielt die einzige Rolle bei den vetschieden charakterisierten Figuren, die man alle nennen müßte, um ihnen gerecht zu werden. Die beiden durch Männer dargestellten alten Frauen schießen dabei wohl den Vogel ab (Kurt Strauß und Horst Hüskes). Elena Mane (Gasparina), Traut« Skladal (Lucieta) und Leopoldine Fritsch (Orsola) seien von den Damen. Heinz Leyer (Zorzeto), Rudolf Lameraner (Fabrizio) und Horst Ketstan (Cavaliere Aftolfi) von den Herren genannt. Die Stimmen sind freilich noch entwicklungsbedürftig, im allgemeinen wird besser gespielt als gesungen. Es wird sogar sehr gut gespielt. Hier zeichnen sich Hans Hollmann (Regie) und Paul G i ebne r (Technische Leitung) — und nicht zuletzt das Rundfunkorchester unter Harald Goertz aus. Das Bühnenbild von Helmut Schmeiser ist ansprechend und bestaunenswert in der Art, wie es auf dem sehr kleinen Raum eine ganze Reihe von Auf- und Abgängen ermöglicht. Ein vetgnügt lachendes Publikum in einer Oper — kein kleiner Erfolg.

Im Zyklus „Musik in der Zeit“ sang das Wiener Madrigalensemble italienische und englische Madrigale sowie französische Chansons. Unter den Liebesliedern der Renaissance nahm Heinrich Schütz den breitesten Raum ein, das englische Madrigal war durch Morley, Dow-land, Bennet u. a. vertreten, die Chansons durch Jannequin und Passerau. Das singende Ensemble (sechs Damen und vier Herren), geführt von Bernhard Kle-bel, zeichnete sich durch blitzsaubere Intonation und exakte Rhythmisierung aus. Leider blieb die Textaussprache in allen drei Sprachen gleich unverständlich. Immerhin war die Beweglichkeit' der Stimmen mit ihrem huschenden Ausdruckswechsel gegen die weit schwerfälligere eines Chores ein beachtlicher Gewinn.

Christian F e r r a s (Violine) und Pierre B a r b i z e t (Klavier) musizierten Sonaten von Mozart (KV 526), Beethoven (c-Moll, op. 30/2) und Brahms (op. 108). Die vollendete Interpretationskunst Ferras' ist mehr vom Verstände, die Barbizets mehr vom Musikantischen her bestimmt. Dennoch verband sich das Musizieren der beiden Künstler zu einer Einheit und einer Höhe, wie sie nur ganz selten erlebt wird, voll Glanz und Klarheit.

Für die Musikalische Jugend konzertierte im Brahmssaal das Zürcher Kaminerorchester, ein aus etwa 20 Streichern nebst Cembalo bestehendes privates Ensemble, das in seiner Vaterstadt alljährlich zehn Abonnementkonzerte veranstaltet und ansonsten mit Auslandstourneen und Schallplattenaufnahmen beschäftigt ist. Es wird von Edmond de S t o u t z, einem Herrn in mittleren Jahren, mit großen eleganten Bewegungen dirigiert. Dieser Herr braucht um das gute Gelingen nicht besorgt zu sein: er hat seine Arbeit vorher geleistet, und nun rollen die einzelnen Stücke wie auf geölten Schienen ab. Was keineswegs bedeuten soll, daß ohne Emotion gespielt wird. Aber die Perfektion steht durchaus im Vordergrund. Sie ist hervorragend, größer, als wir sie von irgendeinem anderen Streichorchester je wahrgenommen, sie ist aufregend und ein wenig beunruhigend. Beunruhigend deshalb, weil man vermutet, daß das Zürcher Kammerorchester immer die gleichen Stücke spielt: ein C o n-certo grosso von Händel, Divertimenti von Bartök und H a y d n und eine Suite (The Matried Beau) von P u r c e 11. Das Eröffnungs-und das Schlußstück waren übrigens noch durch ein Tonvolumen ausgezeichnet, das man einem Ensemble von knapp zwei Dutzend Spielern (Herren und Damen

übrigens) nicht zutraut. Die raschen Sätze von Bartök wurden mit äußerster Vehemenz, der langsame Teil mit einer bis zum Reißen erfüllten Spannung exekutiert. Auch in Klangzauberspielen zeigte sich das Ensemble wohlbewandert. Sein Leiter muß ein ausgezeichneter Pädagoge (und ein harter Trainer?) sein.-An Haydns Divertimento D-Dur, op. 2 Nr. 5. zerschellten freilich seine Kräfte: das ist ein zu untergewichtiges Werk, das man den Liebhabern überlassen sollte. Nach dem Applaus zu schließen, den wir nach den einzelnen Stücken hörten, war sich das jugendliche Publikum nicht ganz darüber im klaren, was für ein glänzendes, einmaliges Orchester es da vor sich hat.

Helmut A. Fiechtner

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung