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Carmina burana“ und andere Lieder

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„Wenige Minuten, nachdem Stokowsky den Taktstock erhoben hatte, war es klar, daß das Publikum ein Werk zu hören bekam, wie es etwas Aehnliches noch nie gegeben hat“, schrieb der Musikkritiker der New York Herald Tribüne nach der amerikanischen Erstaufführung von Carl O r f f s „Carmina burana“. Das Werk ist nunmehr bald 20 Jahre alt und übt, in seiner zeitgemäßen Mischung von Primitiv-Volkstümlichem und klanglichem Raffinement, auch heute noch die gleiche Wirkung. Wir hörten es unter dem deutschen Dirigenten Fritz Lehmann mit der Singakademie, dem Kammerchor, den Wiener Symphonikern und den Solisten Elisabeth Roon, Peter Klein und Eberhard Wächter im 7. Konzert des Zyklus „Barockmusik und neue Musik“ im vollbesetzten Großen Saal des Konzerthauses. Die Moderne war durch Hanns J e 1 i n e k s an dieser Stelle bereits besprochenen „S y m-phonia brevis“ vertreten, ein Werk, das bei wiederholtem Hören sehr gewinnt und das im „Scherzo“ seine Herkunft von Gustav Mahler, in der lyrisch beginnenden „Ballade“ die Tristan-Chromatik ebensowenig verleugnet wie die Frühwerke Schönbergs. — Mit schönem Ton und noblem Ausdruck spielte der ehemalige Primgeiger der Wiener Philharmoniker, Ricardo Odnopossof, das Violinkonzert E-dur von J, S. Bach und die Konzertrhapsodie „Tzigane“ von Ravel.

Das letzte öffentliche Rot-Weiß-Rot-Konzert der Symphoniker leitete der amerikanische Dirigent Harold B y r n s. Im „Carnaval romain“ von Hector Berlioz ging es etwas zu geruhsam und idyllisch zu, dagegen gelangen die geistvolle „Symphonie clas-sique“ von Prokofieff und die gehaltvolle Suite in F von Albert Roussel (eines der besten Stücke dieses bei uns arg vernachlässigten Komponisten) recht eindrucksvoll. Dazwischen spielte Ljerko Spiller das Violinkonzert von Mendelssohn; Gesamteindruck: ohne besondere Kennzeichen.

Im Institut Francais sang Gerard S o u z a y, von Dalton Baldwin begleitet, Lieder von Duparc, Ravel, Schubert und Wolf. Dem jungen Sänger mit der weichen, lyrischen Stimme liegen naturgemäß die Lieder seiner Landsleute mehr, als Schumann (dessen „Dichterliebe“ er im Mozart-Saal sang), Schubert und Wolf. Die gute Aussprache des Deutschen und ein weitgehendes Textverständnis sind besonders hervorzuheben.

Werke von Alfred Uhl, Chatschaturian, Enescu und Lalo standen auf dem Programm eines von Karl E 11 i geleiteten Konzertes der' Tonkünstler. Der gefällige Folklorismus der „Symphonie espagnol“ und des immer erfolgreichen Violinkonzertes von Chatschaturian fanden in der rumänischen Geigerin Gaby G r u b e a eine virtuose Interpretin der älteren Schule.

Vergleichender Tageskritik souverän entwachsen, gleichsam jenseits von Gut und Böse, ist die pianistische Kunst Alfred Cortots, eng mit Chopins Namen verbunden, in ihrer Größe und persönlichen Aussage zu verehren, die zugleich die unmittelbare Nachfolge eines Franz Liszt und Dalberg dokumentiert und gleichsam noch vom Atem Chopins inspiriert ist. Das eminent Geistige dieser einmaligen Stil- und Spielkunst wird von den kleinen, naturgegebenen Mängeln des Alters, das heißt des Gedächtnisses und der gelegentlichen Sprödigkeit, kaum oder nicht berührt, bleibt unerreichbar in ihrem Positiven, lebendes Denkmal einer mit all ihren hochkultivierten Finessen entschwundenen Zeit. Die Nachgestaltung Robert Schumanns, des ganz anders gearteten deutschen Romantikers, unterstreicht durch ihre trotz aller Treue bestehenden Distanz irgendwie die klassische Größe des romantischen Pianisten.

Beethoven bleibt auch in der Kammermusik der gestaltende Riese, aber den bescheideneren Mitteln entspricht gebieterisch die Voraussetzung des intimeren Raumes Daran litt der Beethoven-Sonatenabend zweier internationaler Solisten, Wolfgang Schneiderhan und Carl Seemann, deren meisterhaft abgestimmtes Spiel im Großen Musikvereinssaal durch die den Raumverhältnissen Rechnung tragende Dynamik seine Intimität verlor und damit das Persönlichste, besonders in Schneiderhans Geigenkunst. Man lauschte diesem intimeren Ton mit großer Mühe nach, ohne doch mehr als Rudimente davon einfangen zu können. Bedauerlich für die Kenner der Schneiderhanschen Kunst, die gerade das Warme, Blutvolle seines ausdrucksreichen Spiels schätzen, das der große Raum zum großen Teil verschluckte. Man mußte sich demgemäß mit der ausgezeichneten formalen Gestaltung der drei Violinsonaten op. 23, 96 und 30/2 zufriedengeben, die allerdings auch als Gipfelleistung empfunden wurde.

Hans H o 11 e r fand in Balladen von Löwe den seiner Stimme und Art gemäßesten Liedstil, überraschte jedoch in Max Kowalskis „Pierrot Lunaire“ durch meisterhafte Beherrschung der kleinen Linie und der subtilen Akzente. Ein Mittelding zwischen beiden fand sich in den von ihm gewählten Liedern von Richard Strauß, während von Schubert nur die „Gruppe aus dem Tartarus“ überzeugend gelang und die zarteren Lieder dem Pathos von Stimme und Vortrag sich beugten wie Gräser dem Sturm.

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