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Ausklang des IV. Internationalen Musikfestes

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Uber sein „Bühnenwerk mit Musik: ,Karl V.“, das — hochaktuell und gegen die Zeit, gleichsam im Wettlauf mit der unheilvollen welthistorischen Entwicklung — 1931 bis 1933 geschaffen wurde, schrieb Ernst Krenek: „Es kam mir nicht auf die Darstellung pittoresker historischer Details oder die Zusammenstellung eines archivalischen Bilderbogens oder einen sentimentalen anekdotischen Ausschnitt aus der Geschichte an, sondern auf die anschauliche geistige Durchdringung eines Abschnitts der europäischen Vergangenheit, dessen treibende Prinzipien ungebrochen in die lebendigste Gegenwart fortwirken.“ Karl V. als der letzte Kaiser, der die mittelalterliche Idee eines christlichen Universalreiches mit modernen politischen Mitteln zu verwirklichen trachtet, wird zum tragischen Helden einer Szenenfolge, deren äußerer Rahmen die Lebensbeichte i6t, die der Kaiser im Kloster San Geronimo de Yuste in Estremadura ablegt, wohin er sich zurückgezogen hat. Ein großartiger, ergreifender Vorwurf, den Krenek selbst in einem gedankenreichen Textbuch von beachtenswertem sprachlichem Niveau gestaltet hat. Gewiß eignet sich zu dessen Vertonung weder die romantisch-impressionistische noch die neuklassische Tonsprache. Aber ob es die Dodekaphonie mit ihren „Reihen* 6ein mußte? Hätte Krenek, ohne 6ioh in diesen kalten Panzer zu zwängen, sich auf sein eigenes schlagkräftiges, dramatisches Talent verlassen, das von einem kühnen und beweglichen Geist regiert wird, es wäre vielleicht ein großes, eindrucksvolles Opemwerk entstanden —■ an Stelle dieses überdimensionierten, qualvollharten Rezitativs, das nur an einigen wenigen Stellen, die man an den Fingern einer Hand aufzählen kann, lyrisoh überglänzt oder dramatisch gesteigert wird. — .Karl V.“ wurde vor dem Krieg nur einmal (1938 in Prag) gespielt; erst im vergangenen Jahr fand die deutsche Erstaufführung in Essen statt. Von dieser wurde uns berichtet, daß sie hei Publikum und Presse einen starken Eindruck hinterließ. — Von der konzertanten Aufführung kann dies leider nicht behauptet werden. Das gewaltige, höchsten Belastungsproben ausgesetzte Ensemble, bestehend aus rund fünfzehn Sängern und Sprechrollen, Chören und Orchester, wurde von Herbert H ä f n e r sicher durch alle Klippen gesteuert. Otto Wiener in der Titelrolle und Ilona Stein-gruber als Eleonore 6eien besonders hervorgehoben! desgleichen die unerschütterlichen Symphoniker.

Die Extreme standen in diesen Tagen hart nebeneinander; sie berührten sich keineswegs — wie das Sprichwort behauptet: Benjamin Britten, dem ein eigenes Konzert gewidmet war, kommt aus einer anderen Welt. Schon die Titel weisen in die Richtung romantischen Gefühls, spielerisch waltender Phantasie und farbigen Klangzaubers. Die „S e r e n ad e für Tenor, Horn und Streichorchester“ mit Peter Pears und Siegfried Freiberg als Solisten, bereits 1943 komponiert und wiederholt aufgeführt, besteht aus sechs zu einem Nocturnozyklus zusammengeschlossenen Liedern auf Texte von Tennyson, Blake, Ben Jonson und Keats. Die vierteilige, 1949 vollendete „F r ü h 11 n g ssymphonie' für Soli, Chöre und großes Orchester mit fünf Scfalagwerkern vereinigt gleich etwa ein Dutzend Gedichte verschiedener Autoren zu einem kantatenartigen Zyklus, etwa in der Art Mahlere. Neben etwas langatmigen, nicht immer sehr fesselnden Partien gelingen dem Komponisten — vor allem klanglich — sehr aparte Nummern, deren Zusammenhang beim ersten Hören freilich wenig zwingend erscheint. Unter der Leitung von Clemens Krauß 6angen Hilde Zadek, Else Schürhoff und Peter Pear, der Staatsoperndior und-dl Wiener Sangerknaben; die Philharmoniker begleiteten.

Da große Ohor- und Orchesterkonzert unter der Leitung Hermann Scherchens ■elgte drei weitere Aspekte der Zwölftonmusik. Da Kammeroratorium .Wandlungen* von J. M. Hauer wurde bereits 1928 auf dem Musikfest in Baden-Baden uraufgeführt. Hölderlins Texte und Hauers Musik entrücken den Hörer auf schwebenden Klängen In den blauen Äther, wo nur noch die Gesetze der reinen Harmonie gelten. — Arnold Schönberg reißt uns In die jüngstvergangene Gegenwart und illustriert mit düster-lodernden Farben den Bericht eines .Uberlebenden von Warschau* — eine Art Melodram für Sprecher, Männerchor und Orchester (der englische Text wurde von Hanns von Winter gewandt Ins Deutsche übertragen). Mario Peragallo gelingen mit der Zwölftontechnik in seinem Klavierkonzert sogar mitreißende virtuose und klangliche Wirkungen, an deren Realisierung der musikbesessene italienische Pianist A. Benedetti Michelangell entschieden beteiligt war. — Die das Konzert beschließenden Pezzi sacri“ von Verdi — wie die meisten Ohöre Im Rahmen dieses Musikfestes von Dr. R. Schmid mustergültig einstudiert — gaben vor allem dem schwer strapazierten Chor Gelegenheit, in Wohllaut zu sohwelgen.

Ein Kammerkonzert des Collegium musicum unter Leitung von Kurt R a p f zog die manchmal etwas verschwimmende „moderne* Linie dieses Musikfestes energisch nach: mit einem In den Ecksätzen motorisch dahindonnernden .Concerto für zwei Klaviere“ des Schweizers Peter Mleg (Jahrgang 1906): mit fünf harmonisch komplizierten, im Ausdruck asketischen Liebesliedern (aus dem Chinesischen von Klabund übertragen) für tiefe Stimme und Klavier von Rolf Liebermann (1910 In Zürich geboren) i mit drei ergreifenden, den Texten kongenialen Trakl-Gesängen für eine Altstimme, Celli und Kontrabaß von H. B. Apostel (geboren 1901); mit neun primitl-vistischen, an seinen Vorgänger Kurt Wedll kaum heranreichenden Klavierliedern auf Texte von Bert Brecht von Rudolf Wagner-Regeny (geboren 1905); schließlich mit der hinreißenden, ihre elementare Wirkung immer wieder bestätigenden Sonate für zwei Klaviere und Schlagwerk“ von Bela B a r t o k. — Aus dem Programm des letzten Kammerkonzerts unter Anton H e i 11 e r sei die sehr persönliche, verschiedene harmonische Sphären eigenwillig durchdringende „Kammersymphonie“ von Anton H e i 11 e r (geboren 1923) hervorgehoben, eines der gewichtigsten Kammermusikwerke dieses Musikfestes, das durch Konzentration des langsamen Satzes auch formal — zumindest für das Ohr —i abgerundeter wäre.

Mit M a h 1 e r s Achter Symphonie wurde das Musikfest abgeschlossen. Alles, was der Konzerthausge6ellschaft an Ensembles zur Verfügung stand, war aufgeboten, um die Klangvisionen jenes Meisters zu verwirklichen, dessen Kühnheiten unsere Väter in Atem gehalten hat — und den die Jugend von heute kaum mehr, kennt: Singakademie und Kammerchor, Schubertbund, Chor der Volksoper und Sängerknaben, ein siebenköpfiges Solistenensemble und die Wiener Symphoniker ließen unter Hermann Scherchens Leitung im Veni creator spiritus“ den großen, bis auf den letzten Platz gefüllten festlichen Saal erdröhnen. Geniales und Banales stehen hier dicht nebeneinander, und das selten gespielte Werk entließ uns mit einem zwiespältigen Eindruck, den zu analysieren an' dieser Stelle zu weit führen würde ... Trotzdem war die Aufführung zu begrüßen. Zu begrüßen und gutzuheißen wie dieses ganze Musikfest, dessen Programm neben Erfreulichem und Interessantem auch manche Niete aufzuweisen hatte. Aber wie könnte das anders sein? — Bei allen kritischen Vorbehalten im einzelnen sind wir uns dessen bewußt, daß Wien seine Stellung als Weltmetropole der Musik durch seine Oper, die Gesellschaft der Musikfreunde, die Konzerthausgesellschaft und seine hohen Musikschulen zurückerobert hat. In Veranstaltungen wie dem Bach-Fest Im vergangenen Jahr und den Internationalen Musikfesten wird dies weithin sichtbar und hörbar. Das darf daher auch an dieser Stelle einmal mit aller gebotenen Sachlichkeit auegesprochen werden.

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