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Die ersten Schritte

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Nichts ist so erregend und rührend zugleich, wie die Ankündigung, die allerersten Spuren von Originalität und Genie in den frühesten Kompositionen eines künftigen Meisters festzustellen. Die Suite in zwei Teilen „P r i n t e m p s“ schrieb D e b u s s y bereits als Rom-Preisträger, etwa 1887. Die später aus dem Werk entfernten Summchöre stammen sogar noch aus den Jahren 1882 bis 1884. Er wollte in diesem Werk „das langsame und leidvolle Werden der Lebewesen und Dinge“ ausdrücken, ihr allmähliches Erwachen und ihre Entfaltung. Boticellis berühmtes Bild „Primivera“ gab die äußerliche Anregung. Mit Recht witterten die Pariser Akademiker bereits in diesem frühesten Versuch den kühnen Neuerer und schrieben von einer „ausgesprochenen Tendenz“, von „Fremdartig-Gesuchtem“, von „gestaltlosem Impressionismus“. In der Tat ist in dieser Komposition — auch wenn wir die später durch Henri Busser besorgte Instrumentierung abrechnen — schon der ganze Debussy enthalten: die biegsame melodische Linie, das Schwebende und Transparente in Harmonik und Klang. — Die Wiederbegegnung mit diesem zauberhaften Jugendwerk haben wir dem „Akademischen Orchesterverein“ unter Leopold Eminer zu danken. Es war zwar keine Wiener Erstaufführung, wie angekündigt worden war und wie es einige Zeitungen nachschrieben (Ernst Decsey erwähnt zum Beispiel eine Aufführung unter Charles Münch am 29. Oktober 1934). aber es war trotzdem ein guter Gednnke, dieses Werk aufs Programm zu setzen!

Die „Internationale Gesellschaft für Neue Musik“ widmete dem Gedächtnis des vor zehn Jahren unter so tragischen timständen erschossenen Anton von Webern mehrere Veranstaltungen: zwei Vorträge von Prof. Friedrich Wildgan;, ein Kompositionskonzert und eine In-Memoriam-Aufführung an einem modernen Abend der Klavierklasse Prof. Hauser (Variationen op. 27, in Weberns charakteristischem, punktuellem, ausgespartem Stil, gespielt von Edith Filistein). Das Gedächtniskonzert wurde mit dem Frühen Quintett in einem Satz aus dem Jahr 1907 eröffnet. Es handelt sich um eine Studienarbeit aus Weberns Lehrzeit bei Schönberg, von dessen frühesten Werken es fühlbar beeinflußt ist. Auch an die Handschrift eines nervöseren Max Reger könnte man denken — und doch: auch hier bereits ist der Eigenton unüberhörbar. Die großen Intervallschritte, die Zerfaserung des Klanges, die ungewöhnliche Sensibilität und der hohe Ernst, lassen den kühn in Neuland, zur Klangfarbenmelodie vorstoßenden Pionier ahnen.

Der junge amerikanische Dirigent holländischer Abstammung, Lorin M a a z e 1, der beim letzten „Sagra musicale umbra“ in Perugia eine Aufführung der Singakademie leitete, hat nun auch in Wien den ersten erfolgreichen Schritt getan. Im Großen Kon-zerthaussaal dirigierte er ein Konzert der Symphoniker mit Strawinskys Petruschka-Suite. Ravels Klavierkonzert G-dur (Solist: Ganzalo Soriano) und Beethovens Fünfter. Temperament, Genauigkeit und manueJles Geschick waren die Faktoren, die zu dem lebhaften Erfolg des erst 25jährigen beitrugen.

Volkmar Andreae leitete die Wiedergabe von Bruckners VIII. Symphonie im Großen Musikvereinssaal mit der seit vielen Jahren in Wien nicht mehr aufgeführten „Litanei“ Mozarts (KV. 243) aus dem Jahre 1776 ein. Es handelt sich hier — trotz einiger strengerer Chorsätze — um recht unbeschwert-fröhliche und zuversichtliche Litaneien, die einige Arien enthalten, welche auch in den im Jahre 1775 uraufgeführten Opern „II re pastore“ und „La finta giardiniera“ stehen könnten (Singverein, Symohoni-ker und die Solisten C. Williams, P. Batic, J. Patzak und E. Stadler waren die Ausführenden). — Man könnte, durch genauen Vergleich verschiedener Tonbandaufnahmen, vielleicht beweisen, daß es perfektere und auch intensivere Wiedergaben der VIII. Symphonie von Bruckner gibt als die unter Volkmar Andreae im letzten Konzert des Zyklus „D i e große Symphonie“. Aber unter keinem anderen Dirigenten wirkt Bruckners Musik auf uns so stark, echt und unmittelbar wie unter Andreae. Wir haben das schon oft so empfunden und können jenen Eindruck nur erneut bekräftigen

Bemerkenswert in dem zweiten Konzert des Kammerorchesters der Philharmoniker unter Karl Böhm war nicht nur das kultivierte und virtuose Spiel der einzelnen Mitglieder, sondern auch die Klangkapazität dieses aus zwei Dutzend Streichern und einigen Holzbläsern bestehenden Ensembles. Weniger interessant war das Programm, das auch auf das „breite Publikum“ nicht attraktiv gewirkt hat. Zwischen Schuberts 5. Symphonie B-dur und Mozarts C-dur-Symphonie, KV. 338, stand d^s Konzert für Fagott und Orchester in B von Mozart (Solist Karl Oehlberger). Gut gespielt, wirkt das Fagott, infolge seiner verschiedenen Klangregister, weniger ermüdend als andere Soloinstrumente. Auch Verfugt es über die erstaunliche, fast schon unheimliche Beweglichkeit mancher Wohlbeleibter. — Für das selten gespielte Fagottkonzert waren wir dankbar, obwohl dessen Andante-Mittelteil nicht zu den inspiriertesten Sätzen Mozarts gehört.

Helmut A. Fiechtner

In einem Festkonzert anläßlich der Befreiung Oesterreichs sang der Wiener-Lehrer-a-

cappella-Chor unter seinem Dirigenten Franz K r a u ß Chorlieder und -bailaden älterer und neuerer österreichischer Komponisten (Lafite, Schandl, Skor-zeny, Hauberger, Hasenölirl u. a.), deren stimmliche und stilistische Anforderungen zuweilen die Grenze der Leistungsfähigkeit des Chores erreichten, die gleichwohl als erfreulich erweitert festgestellt werden darf. Unter den Kompositionen nahmen zwei kleine Chöre von Ernst Tittel zweifellos den ersten Rang ein. Es ist bezeichnend, daß die beiden Werkchen zu den kürzesten des Programms gehörten. Die gedrängte Knappheit ihrer Diktion bedeutet zugleich eine Verdichtung des Ausdrucks und eine meisterliche Sicherheit in der Linienführung. Ein zweiter Höhepunkt des Abends war die „Rede über Oesterreich“ von Anton Wildgans. Ingeborg v. Joanelli (Orgel), Kurt Schmidek (Klavier) sowie verschiedene Solisten des Chores hatten besondere Aufgaben.

Mit einem geist- und geschmackvollen Programm stellte sich der Chor der katholischen Jugend Ober-St. -Veit und Hietzing unter Leitung von Xaver Meyer ein. In reizvoller Anordnung klangen neun Madrigale John Dowlands, ebenso schlicht wie blitzsauber gesungen, viel weiter als bloß ans Ohr; zeitgenössische geistliche Chor-musik von Heiller und Lechthaler wurde in ihrer stilistischen Besonderheit und ihren tonalen Spannungen ebenso gemeistert wie die abschließenden Mozart-Chöre. Die vorzügliche gesangliche Leistungsfähigkeit des Chores weist ihn, seinem Herkommen gemäß, verpflichtend zu musikliturgischen Aufgaben.

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