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Hindemith am Pult: „Mathis“ und Madrigale

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In der Staatsoper dirigierte Paul Hindemith eine Aufführung seiner Matthias-Grünewald-Oper „M a t h i s der Maler“, die sich seit Mai dieses Jahres im Spielplan befindet. Je öfter man diese Inszenierung sieht, um so weniger befriedigt sie in ihrem unentschlossenen Konzept, mit den unorganisierten Massen und dem wahrhaft grauslichen Bewegungschor im vorletzten Bild (Odenwald). — Desto besser gelang alles Musikalische. Paul Hindemith am Pult erwies sich als ausgezeichneter Selbstinterpret, der Orchester und Sänger elastisch zu führen versteht, für einen schönen, ungetrübten Fluß des zuweilen gewaltigen Klangstromes sorgt, die Akzente gewichtig, aber niemals hart setzt und den Hauptdarstellern alle notwendige Freiheit gewährt. — Otto Wiener sang die Titelpartie: eine vollkommene Leistung, stimmlich und darstellerisch, ebenso wie die von Karl Liebl als Erzbischof von Mainz, Anton Dermota als Bauernführer Schwalb, Oskar Czerwenka als Riedinger und Wilma Lipp als Regina (eine ihrer besten, ergreifendsten Partien, wie für sie geschrieben!). Weniger befriedigend war der Gast Liane Synek in der anspruchsvollen Partie der Ursula. Unter der Leitung des Komponisten, der an den Aktschlüssen und am Ende der Aufführung sehr gefeiert wurde, spielten die Philharmoniker die schwierige Partitur so sicher wie „Fidelio“.

Dem Wiener Kammerchor hat Paul Hindemith die Uraufführung seines neuesten Werkes — „Zwölf Madrigale nach Texten von Josef Weinheber“ — anvertraut. Hindemith wählte zur Vertonung zwölf im Charakter und in ihrem literarischen Wert sehr verschiedenartige Texte aus Weinhebers umfangreichem lyrischem Opus, ton frühesten, erst aus dem Nachlaß veröffentlichten Gedichten bis zu „Hier ist das Wort“. In den pointierten, polemischen oder grotesken Stücken wendet Hindemith, der ein Meister des polyphonen Satzes ist, verschiedene kontrapunktische Formen, wie Kanon, Fugato und Passacaglia, an. Am eindrucksvollsten waren einige lyrische Stücke, besonders jene, die der Trakl-Sphäre benachbart sind, wie „Tauche deine Furcht in schwarzen Wein' und „An eine Tote“. Sehr bedeutend auch das Weinhebersche Selbstbekenntnis „Der Zweifel an dem Sinn der Welt“. Ein textlicher Mißgriff dagegen „Kraft fand zu Form“, ein Zeugnis jener am wenigsten schätzenswerten Weinheberschen Wortkunst. — Den ersten Teil des Programms bildete eine „S e s t i n a“ von Monteverdi und die an dieser Stelle bereits besprochene „Cantata“ von S t r a w i n s k y, die mit ihren Anklängen an altenglische und niederländische Madrigalkunst Hindemith besonders liegen mochte. Auch hier, im Mozart-Saal, wurde der Komponist zusammen mit dem Chor und Prof. Hans Gillesberger, der die Werke einstudiert hatte, lebhaft gefeiert.

Nachdem er in der Staatsoper Bizets „Carmen“ dirigiert hatte, erschien der 82jährige Pierre M o n-t e u x am Pult der Wiener Symphoniker. Sie sind das 100. Orchester, das dieser ausgezeichnete Dirigent und hervorragende Pionier der neuen Musik leitet; das Konzert in der vergangenen Woche war etwa sein 7000.! Vom ersten Augenblick an schienen Orchester und Publikum zu spüren, wen sie da vor sich hatten, trotz der fragwürdigen Bach-Bearbeitung Respighis, mit der Monteux den Abend eröffnete. In Mozarts Klavierkonzert G-dur mit Paul Badura-Skoda, in Ravels „Alborada del graziös o“ und in Cesar F r a n c k s großer Symphonie d-moll war Harmonie zwischen allen Beteiligten und das Musizieren des Orchesters von einer Ruhe, Schönheit und Vollkommenheit, wie man sie im Konzertsaal selten erlebt. Was mag der ehrwürdige alte Herr wohl gedacht haben, wenn er bei den Wohlklängen der Franck-Symphonie sich vielleicht des Wortes von Gounod erinnerte, daß diese Musik „die zum Dogma erhobene Unfähigkeit“ sei, und daß Saint-Saens, den er noch gut kannte, darin die „Totenglocken der klassischen Harmonik“ dröhnen hörte? So ändern sich die Zeiten ...

„Alte Musik und Jazz“ war das Thema eines von der Musikalischen Jugend veranstalteten Konzertes im Großen Musikvereinssaal, dessen erster Teil vom Barockensemble der M. J. unter Herbert Kramer ausgeführt wurde. Zwischen einem Concerto grosso von Händel und einem von V i v a 1 d i spielte ein junger japanischer Geiger J. S. Bachs a-moIl-Konzert. Masumi Kurosawa tanzt insofern aus der Reihe seiner jungen Virtuosenkollegen, als er kein Vertreter der frühreifen Perfektion ist, sondern, trotz hervorragender geigerischer Technik und wirklicher Erfassung des Geistes dieser Musik, sich nicht scheut, auch ab und zu temperamentvoll danebenzugreifen. Dies mit anzusehen und mit anzuhören, bereitet dem perfektionsmüden Kritiker ein gern eingestandenes Vergnügen. (Vor Nachahmung wird — trotzdem — dringend gewarnt!) Im zweiten Teil des Konzertes spielte ein deutsches Jazzensemble unter der Leitung von Wolfgang L a u t h zunächst einige Stücke im Stil des „Modern Jazz“ in Quartettbesetzung, hierauf ein Concertino in F von Wolfgang Lauth für Jazzseptett. Aber nur hier, in diesem letzten Werk, war eine gewisse Verwandtschaft zum Geist der Barockmusik (quod erat demonstrandum) festzustellen.

Wenig Rühmliches ist, leider, von den Darbietungen eines Kopenhagener Kammerchors zu berichten, der alte und neuere dänische Meister, Schütz, Bach und Brahms sowie deutsche, österreichische und dänische Volkslieder zum besten gab. Der Referent verließ ziemlich bald den Brahms-Saal, um nebenan, im Großen Musikvereinssaal, die mit mehreren nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnete polnische Pianistin Haiina C z e r n y-Stefanska zu hören, die einen großen Chopin-Abend gab. Polonaisen und Nocturnes, Balladen und Mazurkas standen auf dem Programm, das noch um elf Präludien erweitert wurde und dadurch etwas monströse Ausmaße annahm. — Aber die Künstlerin besitzt alles, was zu einer authentischen Chopin-Interpretin gehört: Technik, Kraft, Poesie und Phantasie, und einige Präludien, zwei Mazurkas und mehrere Walzer kann man sich kaum schöner vorgetragen denken.

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