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Vollendeter Liedgesang: Fischer-Dieskau

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Innerhalb einer Woche gab Dietrich Fischer-Dieskau drei Liederabende. Im Mozartsaal sang er vier Gruppen Hugo-Wolf-Lieder, im großen Saal des Konzerthauses die von B r a h m s vertonten Romanzen aus Tiecks „Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence“ (deren Text Judith Holzmeister las) und im Brahmssaal des Musikvereins Beethoven-Lieder (nach Geliert, Goethe u. a.). Die Meisterschaft des jungen Sängers kam vor allem darin zum Ausdruck, daß auch dem mehr „analytisch“ Hörenden die einzelnen Elemente und Qualitäten seiner Vortragskunst kaum mehr zum Bewußtsein kamen, daß vielmehr Hugo Wolf (und durch das Medium seiner Musik Mörike), daß Brahms (und Tieck mit der ewigen Sehnsuchtsmelodie der Romantik, die „wie Lautenton . vorüberhallt“) und Beethoven-Goethe unmittelbar zu uns sprachen mit unerhörter Eindringlichkeit und Gewalt. Jörg D e m u s, der Poet am Klavier, der an diesen drei Abenden sein Bestes gab — und das war sehr viell —, hatte bedeutenden Anteil an der unvergleichlichen Gestaltung dieser edlen Gesänge und verstärkte noch den Zauber des Jugendlich-Unverbrauchten der Interpretation Fischer-Dieskaus. Dem Kritiker bleibt — hocherfreulicherweise — nichts anderes zu tun, als sich dem begeisterten Beifall des Publikums anzuschließen.

Eduard van Beinum, als Leiter des Concert-gebouw-Orchesters Nachfolger von Mengelberg, Nachkomme und Vater ausgezeichneter Musiker, leitete — ohne Taktstock, aber mit Partitur — das 5. Konzert des Zyklus „Die große S y phpn.ie“ im Musikverein. Im „Don Juan“ von Richard Strauß und in der 1. Symphonie von Brahms zeigte sich van Beinum, der zum ersten Male in Wien dirigierte, als absolut sicherer, energischer und kraftvoll gestaltender Interpret, unter dessen Leitung die Symphoniker (besonders im letzten Satz der Brahms-Symphonie) eine ungewöhnliche Intensität des Bläserklanges erreichten. Shura C h e r k a s s k y, der in Wien bereits als Solist der Klavierkonzerte von Liszt und Tschaikowsky bekannt geworden ist, spielte den Solopart der „Rhapsodie . über ein Thema von Paganini“, ein Spätwerk des 1943 in Kalifornien verstorbenen Sergej Rachmaninow. Klein und stämmig von Wuchs, von unbändiger, aber keineswegs ungebändigter Kraft erfüllt, spielte Cherkassky dieses zwischen Prokofieff und russischer Salonmusik pendelnde Werk mit einer solchen Vehemenz und Intensität, daß das Publikum ob dieser Meisterleistung hell begeistert war. Dabei bedient sich Cherkassky einer Technik, die ein Hohn auf jedes „System“ ist: in pianistischem „Freistil“ schlägt, reißt, sticht und schmeichelt er die Töne aus dem Klavier — und erzielt dabei die verblüffendsten Wirkungen, nicht nur was Stärke und Schärfe, sondern auch was Schönheit und Farbe des Klanges betrifft.

Durch ein interessantes Programm zeichnete sich das letzte Sonntj.gnachmittagskonzert der T o n-k ü ri s 11 e r unter der Leitung von Robert Heger aus. Das Violinkonzert von Aram Chatschaturian ist der „Schlager“ unter den neueren Werken dieses Genres, gewissermaßen armenische Broadway-Musik: folkloristisch-melodiös, rhythmisch-pikant und virtuos-reißerisch. Die Geigerin Edith Bertschinger blieb dem technisch anspruchsvollen Solopart nichts schuldig. Weniger liegt dieses Genre dem Dirigenten, unter dessen Leitung die „Französische Suite nach R a m e a u“ von Werner E g k nicht alle ihre Qualitäten zeigte. Diese fünf Sätze (Versammlung der Vögel, Gigue, Zarte Klage, Venezianisch und Wirbelwind) sind virtuose Orchestermusik, und das letzte — wirklich ein „Raketenstück“ — müßte bei entsprechender Interpretation unbedingt da capo verlangt werden. Was aber leider nicht geschah .. .

Drei neue Werke, deren jedes auf seine Art dem Publikum gefallen konnte, spielte das Kammerorchester der Konzerthausgesellschaft unter der Leitung von Heinrich H o 11 r e i s e r : ein „C o n-c e r t o grosso“ von Ernest Bloch, solid gearbeitet und von soziabler, rückwärtsgewandter Haltung, das Konzert für Violine und Orchester von Boris B 1 a c h e r (Solist Andre G e r 11 e r, Bruxelles) . mit sehr klarer Fraktur, meisterlich-durchsichtiger Instrumentierung und rhythmisch-spritzigen Ecksätzen sowie Alexander Spitzmüllers „Concert dans l'Esprit Latin“ für vier Bläser, Klavier, Schlagwerk und Streichorchester mit den vier charakteristischen, farbig-noblen Sätzen: Sinfonia, Romanze, Permu-tazione und Commedia. Solistin war Jeanne M a n c h o n, die sich in einem Klavierabend im Institut Francais auch als Meisterinterpretin neuerer französischer Musik, insbesondere Debussys, erwies.

In der Rekordzeit von einer Stunde und drei Minuten durchmaß (im Ichubertsaal des Konzerthauses) der japanische Pianist Noboru Toyamasu, gewissermaßen im Marathonlauf, die dreißig Goldberg-Variationen J. S. Bachs (mit sämtliehen Wiederholungen) und spielte im zweiten Teil seines Programmes die Sonate op. 111 von Beethoven. Trotz gewisser Abweichungen von der traditionellen Spielweise kamen das geistige Profil und die großartige Architektur dieser beiden Monumentalwerke der Klavierliteratur überzeugend zum Ausdruck.

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