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„Tannhäuser“, „Turandot“ und neue Musik

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Die Wiener Oper hat gegenwärtig keinen eigenen Sänger, der allen Anforderungen der Titelpartie von Wagners „Tannhäusei“ gewachsen wäre. Da ist es ein Trost, daß andere deutsche Bühnen auch keinen haben. Bei der letzten Aufführung sang ihn Karl Liebl: routiniert, ohne Fehler, aber auch ohne jeden Glanz. — Wesentlich stärker wirkte Aase Nordmo-Loevberg als Elisabeth. (In den übrigen Partien: Elisabeth Höngen als Venus. Kurt Böhme als Landgraf. Hans Braun als Wolfram.) Die makabre Venusgrotte und das teils gespenstische, teils gymnastische Ballett sorgten für gute Laune. Die Bühnenbilder wirken, je öfter man sie sieht, um so verfehlter, Rudolf Kempe wurde erst im letzten Akt intensiv. — Galerie und Stehparterre schrien vor Begeisterung über diese durchschnittliche Repertoirevorstellung und erwiesen — wieder einmal — ihre völlige Inkompetenz.

Die Titelpartie der neubesetzten „Turandot“ von Puccini sang Birgitt Nilsson mit völlig intaktem, starkem und strahlendem Sopran. (Diese großartige Leistung wurde erst gegen Schluß der Aufführung mit dem entsprechenden Beifall quittiert.) Joao Gibin. ein junger Südamerikaner mit sympathischer Stimme, stand zum erstenmal als Kalaf auf der Bühne und kann als vielversprechendes Talent gelten.

Otto KI e m p e r e r, der im Großen Musikvereinssaal Mozarts Symphonie A-dur und Bruckners Siebente dirigierte, ist einer von den wenigen Ueberlebenden der alten Garde von großen Musikerpersönlichkeiten am Pult. Welch ein Unterschied zu dem ehrgeizigen und forcierten Getue der nachfolgenden Generation! Man hört, wenn er dirigiert, nur Bruckners Musik und sieht einen großen

alten Mann als bescheidenen Diener am Werk eines noch Größeren.

Maurice Ravel sagte einmal in einem Interview, die zeitgenössische Musik interessiere ihn nicht sonderlich, speziell die deutsche — ob Pfitzner, Reger oder Hindemith — sei ihm zu gelehrt. Er und seine Landsleute schrieben eigentlich immer „Unterhaltungsmusik“ ... Von den fünf Stücken, die Paul A n g e r e r aufs Programm seines 4. Konzertes mit dem Kammerorchester gesetzt hatte, hätten Ravel drei bestimmt gut gefallen: Debussys „P e t i t e Suite“ (ursprünglich für Klavier zu vier Händen gesetzt), die zuweilen in die freundliche Nähe von Grieg und Sinding gerät, S t r a w i n s k y s „Ragtime“ für 11 Instrumente von 1918, das die Quintessenz des damaligen Jazz zieht, und das Concerto „Dumbarton O a k s“, eines von Strawinskys gefälligsten und geistvollsten Stücken. — Das Violinkonzert von J. N. David, vom Sohn des Komponisten Lucas David virtuos gespielt, wurde anläßlich seiner Wiener Erstaufführung an dieser Stelle besprochen. Neben diesem gehaltvollen Werk hatte der Schweizer Albert Möschinger mit seiner „F a n t a s i a“ für Streichorchester einen schweren Stand. Dirigent und Orchester wurden mit Recht lebhaft gefeiert.

Eine interessante Bekanntschaft vermittelte uns das Wiener Streichtrio (Poduschka-Weis-Blecha): die „Quatro b r e v i p e z z i“ von Gisella S e 1 d e n - G o t h, die seinerzeit Schülerin von Bartök und Busoni war. Man merkt die gute Schule an der gekonnten und konzisen Formung vor -allem der beiden Ecksätze und ist beeindruckt durch die gehaltvolle, phrasenlose Aussage.

Zur gleichen Zeit spielte das „R a m o r - Q u a r-

tett“ (Philharmonia Hungarica) im Brahmssaal Werke von Beethoven, Mozart und Bartök. Wir hörten nur das aus dem Jahr 1927 stammende 3. Quartett von Bela Bartök, das heute noch so neuartig und aggressiv wirkt, daß einige erschreckte Hörer bereits nach den ersten Takten den Saal verließen. Aber für Erwin Ramor, Vera No-grady, Andreas Sandor und Zoltan Thirring hat diese Musik ihre Schrecken längst verloren. Sie lieben sie — und spielen sie hinreißend.

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