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„Othello“ und Philharmonia Hungariga

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In einer von Herbert von K a r a j a n geleiteten Aufführung des „Othello“ sang Carlos Guichan d u t die Titelpartie. Seine starke, manchmal etwas derb eingesetzte und naturalistische Stimme paßt nicht schlecht für diese Rolle. — Der gleichfalls stimmgewaltige Tito G o b b i gab den Jago als intriganten Biedermann, ganz ohne das dämonische Gehaben des Theaterbösewichts: eine eigenwillige Interpretation und eine großartige sängerische Leistung. — Die geschmeidige Technik seines lyrischen Tenors stellte Giuseppe Z a m p i e r i in den Dienst der Cassio-Partie. Renata T e b a 1 d i sang und spielte die Desdemona: ein Wesen wie aus einer anderen Welt, eine Träumende, deren Spiel in den ersten beiden Akten ebenso überzeugt wie ihr Erwachen zum Tod im letzten Bild. Ihre hoheitsvolle Erscheinung, ihre vor allem im Mezzavoce berückend schöne Stimme und ihr Gefühlsausdruck bildeten eine vollkommene Einheit. — Die italienisch gesungene Aufführung wurde von Herbert von Karajan mit echtem Theaterbrio und hoher Präzision geleitet. — Renata Tebaldi und ihre italienischen Mitspieler wurden sehr lebhaft gefeiert.

Das 6. Philharmonische Abonnementkonzert am vergangenen Sonntag leitete Dr. Karl Böhm. Die beiden aufgeführten Werke — „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss und Tschai-kowskys IV. Symphonie — sind bekannt und bedürfen keines Kommentars. Ebenso bekannt, aber nie genug zu rühmen, ist Böhms Meisterschaft als Strauss-Interpret. Ein wenig allzu flott und konzertant geriet Tschaikowskys Schicksalssymphonie (die kleinen Unebenheiten im 1. Satz seien nur am Rande vermerkt).

Die Philharmonia Hungarica konzertierte im Großen Musikvereinssaal unter dem Schweizer Dirigenten Nikiaus Aeschbacher. Nach einer recht färb- und leblosen Darbietung von Strawinskys „Pulcinella“-Suite begleitete das Orchester — nicht immer ganz einwandfrei — die junge Argentinierin Martha Arger ich in Chopins Klavierkonzert e-moll. Die kleine, noch sehr jugendliche und exotisch aussehende Dame besitzt nicht nur Kraft und eine perfekte Technik, sondern auch einen zauberhaft weichen Anschlag.Die Gestaltung des Klavierparts (besonders im I,ar-ghetto) erwies eine weit über ihr Alter hinausreichende Reife. Sehr hübsch geriet dem Orchester und dem Dirigenten Beethovens 1. Symphonie, die lebhaft, klangschön und präzise musiziert wurde.

Das Programm, welches Andre G e r 11 e r, Violine, und Edith F a r n a d i, Klavier, im Mozart-Saal absolvierten, war nicht nur anspruchsvoll und interessant, sondern auch intelligent aufgebaut. Nach der A-dur-Sonate von B r a h m s folgte die 2. Sonate aus dem Jahr 1919 von Arthur Hon-e g g e r, in deren ersten beiden Sätzen man mit aller Deutlichkeit die deutsche, und zwar die brahmsisch-regerische Komponente im Schaffen des Schweizer Alemannen Honegger erkannte. — Nur wenige Jahre später, 1921 bis 1923, schrieb Bartök die beiden (ein wenig an Beethovens op. 111 erinnernden) Sätze seiner 2. Violinsonate. Innerhalb der Kunstmusik wird man für diese Musik wohl kaum legitime Ahnen finden können. Sie entspringt, ob rhapsodisch deklamierend oder rhythmisch daher-fahrend, der Elementarsphäre der südöstlichen Folklore, der man mit den konventionellen künstlerischen Maßstäben nicht gerecht wird. — Sämtliche Werke in diesem Konzert, das mit Cesar F r a n c k s großer A-dur-Sonate versöhnlich und schwungvoll beendet wurde, waren mit hoher Musikalität, Temperament und hervorragender Technik musiziert. Sehr starker Beifall.

Die Wiedergabe der. 2. Symphonie Gustav£ M a hTe r.s unter 'Törin M a a z e \ fand geteilte Aufnahme. Dem jungen Dirigenten fehlt einerseits die Tradition der älteren Generation, anderseits überschreitet die Freizügigkeit seiner Interpretation die partiturgegebenen Grenzen allzu bedenklich. Dessenungeachtet bewies Maazel durch die souveräne Beherrschung des ungeheuren Apparats, mit dem er seine persönliche Auffassung durchzusetzen verstand, und eben durch diese selbst, wie lebendig und groß das Erlebnis Mahler unter seinen Händen wird, wenn auch.seine Jugend noch des Ungebärdigen zu viel hat und vielleicht des Besonnenen zuwenig; jedenfalls ein Weg, von dem nichts „Akademisches“ zu fürchten ist. Außerordentlich die Leistung des Orchesters der W i e-ner Symphoniker in seiner vielfältigen Verteilung und Verästelung, ebenso klangschön als ausdrucksvoll der Chor der jubilierenden Singakademie. Christa Ludwig sang das „Röslein rot“, wie es sich Mahler nicht besser hätte wünschen können, Mimi Coertse hob sich mit silbern zarter Stimme, wenn auch etwas zaghaft, zur Melodie des Glaubens empor. Ueber allen Einwendungen steht die Freude, Gustav Mahler in Wien wieder zu hören, zu erleben.

Das Klarinettenquintett op. 115 von Johannes B r a h m s stand im Mittelpunkt eines Abends des Musikvereinsquartetts. Hier ist die Tiefe und Fülle menschlichen Ausdrucks und Bekennens in klassische Formen geprägt in der Art der Großen, denen die strenge Form zum freiesten Ausdruck wird und denen nirgends ein Rest bleibt, wenn auch die Wiedergabe wie hier zum Spiel der Meisterschaft wird. — Der nachgelassene c-moli-Quartettsatz von Franz Schubert, eigenartig modern anmutend, weist auf einen Schubert hin, den dieser nicht mehr erlebt hat. Anton Bruckners Streichquartett F-dur, eine Symphonie für Kammermusik, enorm schwierig in der Wiedergabe, erweist in jeder Aufführung mehr, wie bewußt der Meister darin seine Beschränkung übte und wie souverän er sie beherrschte: wie sehr es trotz aller symphonischen Schwere echteste Kammermusik ist. Die Mitwirkung von Ferdinand Stangler (Viola) und Richard Schönhofer, dessen Klarinettenpart eine besondere Leistung war, fügte sich zu gleicher Höhe des Niveaus.

Julius P a t z a k, anläßlich seines 60. Geburtstages zum Ehrenmitglied der Konzerthansgesellschaft ernannt, schenkte seinerseits dem begeisterten Publikum eine „W i n t e r r e i s e“ als ein ebenso echt schubertisches als echt österreichisches Erlebnis. Die Tiefe und menschliche Lauterkeit seiner Interpretation, zu der ein anderer Begleiter als Eric Werba kaum mehr denkbar ist, überwältigt, beglückt und beschenkt immer wieder, wird eins mit dem Komponisten und dem Hörer, weil sie eins mit ihm selbst ist.

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