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Matthäus-Passion und Virtuosenmusik

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Nach zwei fast gegensätzlichen Auffassungen in der Wiedergabe der „M a 11 h ä u s - P a s s i o n“ von Joh. Seb. Bach (unter Heinz Wallberg und Xaver Meyer, siehe „Furche“ Nr. 14) hörten wir nun eine dritte unter Hans G i 11 e s b e r g e r, der wir als gleichsam einer Synthese der vorangegangenen in fast allen Punkten den Vorzug geben. Es ist Gillesberger in der Tat gelungen, das im hohen Sinne Festliche mit, dem schlicht Gläubigen zu verschmelzen und dadurch die unmittelbare Wirkimg einer kirchlichen Andacht auf alle Beteiligten, oben und unten, zu übertragen Die Reihe der Solisten (an deren Spitze im Bachschen Sinn M a r g a Hoeffgen stand) wuchs trotz mancher Einwände zu einem einheitlicheren Team zusammen, als dies bei den erwähnten früheren Wiedergaben der Fall war. Murray Dickie als Evangelist fand sich überraschend gut in die neue Aufgabe. Die Chöre waren dem Wiener Kammerchor überantwortet (der sie in gestochenei Präzision agierte), und nur die Choräle wurden auch vom großen Chor der Singakademie mitgesungen (leider durchweg in brutalem Forte). Die künstlerische sowie stimmliche Ausgewogenheit der beiden Chöre und der Wiener Sängerknaben war vorbildlich, ebenso alle Instrumen-talisten.

Hausmusik im Konzertsaal möchte man das ideale Zusammenspiel von Enrico M a i n a r d i und Carlo Z e c c h i nennen, allerdings Hausmusik im höchsten Sinn, die durch die grundverschiedenen äußeren and inneren Physiognomien der beiden Künstler ihr spannendes und pikantes Gepräge erhält. Sprechender Ausdruck bei Mainardi, musikantische Leichtigkeit bei Zecchi, und dennoch ein Ungeteiltes, Unteilbares im Zusammenspi“l beider. Nach einer erfreulich frisch klingenden Sonate von Benedetto Marcello und der „Arpeggionen-Sonate“ von Franz Schubert brachte der Abend in der exzellenten Wiedergabe von Claude Debussys Sonate d-moll den Höhepunkt und klang auf dieser Hochebene mit Beethovens Sonate A-dur, op. 69, aus.

Wenn Natürlichkeit eine der hervorstechendsten

Eigenschaften von Robert Schumanns Klaviermusik ist, hat Jörg D e m u s dies nicht bloß in seiner Programmeinführung, sondern überzeugender in seinem Spiel dokumentiert. Da wird in den „Papillom“, den „Bunten Blättern“, der sehr geistvollen „Humoreske“ und der großen „Phantasie“. op. 17, in kleinen wie in komplizierten und groß-atmigen Kompositionen dieselbe nie leerlaufen d „natürliche Melodie“ lebendig. — Der Blick nac' innen, von Demus immer gesucht und gefunden, wa auch diesmal das Erlebnis Schumann, und der Klang Mittel dazu, keineswegs bestechender Selbstzweck.

Das Weller-Quartett (Preisträger beim Internationalen Streichquartett-Wettbewerb, München 1959) stellte sich mit Mozart, Schubert und Debussy in Wien vor. Mozarts Jagdquartett dokumentierte ihre formale Sicherheit und intonale Sauberkeit, Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ ihre gefühls- und ausdrucksstarke Komponente, das Streichquartett von Debussy ihre geistige und stilistische Vitalität. Mit diesen drei ausgeprägten Momenten verbanden die jungen Spieler eine klangliche Klarheit und Intensität, die erfreulich und zukunftweisend festgestellt werden kann. Ein junges Streichquartett von Qualität wird im Wiener Konzertleben kaum über Platzmangel zu klagen haben.

Shura Cherkassky hat uns im Orchesterkonzert der Symphoniker als Solist des Klavierkonzertes von Rachmaninow besser gefallen als an seinem Soloabend im Großen Musikvereinssaal. Man stellt nämlich nicht ungestraft ein Programm zusammen, das zur Hälfte aus schwachen oder mittelmäßigen Musikstücken besteht, auch wenn diese noch so „dankbar“ sind (einige waren nicht einmal das, zum Beispiel die 22 Minuten dauernde, völlig amorphe und nur an wenigen Stellen interessante Klavierphantasie von Aaron Copland, bei der das Publikum unruhig wurde). Bei aller Brillanz des Vortrages wirken Cherkasskys Eigenwilligkeiten und der im Piano wie im Forte oft forcierte Ton ermüdend. Unter seinen gewalttätigen Händen werden Chopin-Stücke zu Liszt-Rhapsodien; Tschaikowskys und Rachmaninows Klavierpiecen entpuppen sich als hoffnungsloser Kitsch, und nur die beiden Eckpfeiler des Programms, Mendelssohns „Variations serieuses“ (unseren jungen Pianisten empfohlen) und Strawin-skys „Petruschka-Suite“ (vor der man sie eher warnen möchte), konnten sich einigermaßen gegen den Interpreten behaupten. Ein begeistertes Publikum erzwang etwa fünf Zugaben, darunter ein Boogie-Woogie von Copland und ein von Busoni gesetzter Bach-Choral. H. A. F.

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