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Richter, Rostropovich, Schneiderhan

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Der sowjetische Pianist Svatoslav Richter verdankt seinen Ruhm — man kann heute schon sagen: seinen Weltruhm — nicht zuletzt dem Umstand, daß er, der etwa 45jährige Deutschrusse, einen Künstlertypus vertritt, der im Aussterben ist. Richter gehört also nicht zu den allmählich langweilig werdenden modernen „Perfektio-nisten“, sondern ähnelt in Spiel, Gebärden und physischer Konstitution den großen Alten Sauer, Gieseking oder Eduard Erdmann (an letzteren erinnert er am meisten). Richter ist auch ein Virtuose, gewiß, ein bedeutender sogar. Aber vor allem kommt es ihm auf den Ausdruck an, einen sehr subjektiven, heftigen, ja hektischen. Er liebt seinen Schumann (dar ganze erste Teil seines Klavierabends im Großen Musikvereinssaal war dem sächsischen Romantiker gewidmet: Sonate g-Moll und „Faschingsschwank aus Wien“); aber er stürzt sich auf ihn, zerrt an dieser Musik, zerreißt sie zuweilen vor Begeisterung. Vornehmlich in den raschen Sätzen, während er die langsamen in seltsamer Entrückung zelebriert. Im zweiten Teil des Programms dann: Chopins Polonäsephantasie As-Dur, sehr weich und poetisch, ohne Gewaltsamkeiten; hierauf „Estampes“ von D e b u s s y, mit raffiniertem Klang, das mittlere Stück („Soiree dans Granade“) mit sehr sensiblem Ausdruck, im Rhythmischen bis auf die Zehntelsekunde ausgewogen; zum Schluß die hochinteressante Sonate Nr. 5 von Skrjabin (wann endlich werden sich unsere Wiener Pianisten für das so gut wie unbekannte Werk dieses genialen Russen interessieren?): ekstatisch-schwelgerisch, leidenschaftlich - ungezügelt, dazwischen sonore, ganz leise Martellato-Akkorde, die die Tristan-Melodie unterbrechen. Ein aufregendes Werk, ein erregendes Konzert durch das originelle, zuweilen gewalttätige, aber immer fesselnde Spiel Richters — für das mir der Bechstein-Flügel freilich wenig geeignet schien, während Richters zuweilen etwas nachlässiges Pedalisieren den Gesamteindruck nicht zu trüben vermochte.

Am übernächsten Abend, gleichfalls im überfüllten Großen Musikvereinssaal, drei Cellokonzerte mit Begleitung der Tonkünstler unter Professor Hans S w a-r o w s k y s Leitung, gespielt von Mstislav Rostropovich. Er ist etwa zehn Jahre jünger als Richter und, als Musiker und Typus, von ähnlicher Art. Äußerlich recht ungebärdig (das Orchester durch Gesten anfeuernd, mit dem hastig hervorgezerrten Taschentuch sich über das Gesicht und die Saiten des Instruments wischend), als Interpret von milderen Sitten und mit einem bemerkenswert schönen, großen Ton. Unter seinen Händen klingt das Cello einmal ausnahmsweise in den hohen Lagen nicht winselnd und in den tiefsten nicht grunzend, sondern gleichmäßig kantabel. ohne daß man den Saitenwechsel bemerkt... Das Programm war ein wenig monoton aufs Slawisch-Melodiöse beschränkt: Dvofäk. Cellokonzert op. 104; T s c h a i k o w s k y, Variationen über ein Rokokothema; Schostako-witsch. Konzert für Violoncello und Orchester op. 107. Das letztere, Mstislav Rostropovich gewidmet und von diesem 1959 in Leningrad unter Eugen Mravftiskys Leitung uraufgeführt, erwartete man mit einigem Interesse. Der 1. Satz des knapp halbstündigen Werkes beginnt recht rhythmisch-flott, etwa in der Manier Honeggers oder des mittleren Strawinsky. Dann folgen Episoden von ungleichem Wert, mit interessanten Instrumentationseffekten, unterbrochen von einem ausgedehnten dramatischen Monolog des Soloinstruments, das übrigens in allen Teilen sehr gut bedacht ist. Unter der ebenso gewandten wie aufmerksamen Leitung von Prof. Swa-rowsky haben die Tonkünstler recht klangschön und ohne Gickser (für die oft Gelegenheit geboten war) den Solisten begleitet, dem man nur etwas gehaltvollere Musik gewünscht hätte, um sich an ihr zu bewähren. Sehr lebhafter und lang-anhaltender Applaus für den ungewöhnlichen und hervorragenden Künstler, der, wie sein Kollege Richter, im Grunde ein Romantiker und ein Lyriker ist.

Wolfgang Schneiderhan, der in einem Vormittagskonzert der Philharmoniker im Theater an der Wien Strawinskys vor 30 Jahren geschriebenes (einziges) Violinkonzert spielte, ist aus anderem Holz: ein Künstler so recht nach dem Herzen Strawinskys, der schon das Wort „Interpret“ verabscheut — ein Interpret aber trotzdem, für den der Wille des Komponisten, wie er sich in den genauen Vorschriften einer modernen Partitur manifestiert, oberstes Gesetz ist. Aber Schneiderhan hat den Noten anderes, Besonderes hinzuzufügen: eine unvergleichliche Noblesse des Tons, die Eleganz seines Vortrags und den an vielen klassischen Meisterwerken geschulten Geschmack. Er blieb den vier kurzen Sätzen des meisterhaften und pikanten Strawinsky-Werkes nicht schuldig, auch nicht die Rasanz und Brutalität des Capricciofinales, obwohl ihm, dem Interpreten, hier manches wegen seiner klanglichen und harmonischen Härte contre coeur gegangen sein mag. Aber das war eben das Schöne und Erfreuliche an dieser Darbietung I Es war eine der besten Leistungen Schneiderhans nach 1945 — und sie wurde vom Publikum auch entsprechend gewürdigt. Was der junge ungarische Dirigent Istvän K e r t e s z daneben mit der Interpretation von Beethovens 2. Symphonie zu bieten hatte (der Referent blieb nur bis zur Pause in dem besprochenen Konzert), kann sich mit dieser Solistenleistung kaum messen, obwohl Kertesz einen soliden und sympathischen Eindruck macht, sein Handwerk versteht und eine angenehme Art des Musizierens hat. (Den zweiten Teil des Programms bildete Dvofäks 5. Symphonie „Aus der neuen Welt“.)

Das Publikum des Mozartsaales wird zu einer Art Familiengemeinschaft, die Ausführenden inbegriffen, wenn Paul B a-dura-Skoda und Jörg D e m u s vierhändig spielen. Konzertmusik wird Hausmusik und umgekehrt. Sie spielten Originalwerke für Klavier zu vier Händen, eine an sich magere Sparte, aber für Suchende immer noch an Überraschungen reich. Der erste Teil des Abends gehörte Franz Schubert, dessen „Marche caracte-ristique“ (DV 886/2) sogleich den spielerischen Ton anschlug, dessen künstlerischer Ernst im „Grand Rondeau“ (DV951) und in der „Fantasie f-Moll“ (DV 940) in aller Feinheit der Phrasur, des Anschlags und der formalen Gliederung sich legitimierte. Im zweiten Teil stand Mozarts Sonate f-Dur (KV 497) mit ihrer durchsichtigen Thematik, vom Rankenwerk keineswegs überwuchert, an der Spitze. Dann gab es als Überraschung die „Jeux d'enfants“ von Georges Bizet, zwölf kleine Charakterstücke aus der Kinderwelt, geistvoll, vergnüglich, spritzig. Die Publikumsfamilie dankte mit begeistertem Applaus.

Im 3. Konzert des Brahms-Zyklu6 spielte das Philharmonia Orche-stra of London mit Josef Krips am (nicht vorhandenen) Dirigentenpult die Variationen über ein Thema von Josef Haydn und die III. Symphonie F-Dur, nach der Pause das Konzert für Violine und Orchester D-Dur, op. 77, mit David O i s t r a c h als Solisten. Der ständig an sich arbeitende Josef Krips hat nun als Dirigent eine Souveränität erreicht, die ihn zweifellos in die erste Reihe der großen Dirigenten von Weltformat stellt. Die Ausgewogenheit, mit der die drei großen Werke interpretiert wurden, erweckte den Anschein, als sei Brahms der besondere Liebling sowohl des Dirigenten als des Orchesters. Und in besonderer Weise des Solisten. .Denn Oistrachs zunächst sehr erdhafte Erscheinung wächst mit seinem Spiel in ein Air musikalischer Geisti-ekeit, dem nichts, aber auch nichts an Prosa mehr anhaftet. So hatte der Abend den Festwochencharakter an sich, denn festlich war alles an ihm. F. K.

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