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Aus dem Konzertsaal

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Lange Zeit haben die Leningrader Philharmoniker nicht in Wien gastiert. Aber nun, gleich nach der Aufführung von Schostakowitschs VI. Symphonie (op. 93) im „Orchester- und Chorzyklus“ im Musikverein, stand eines erneut fest: Dieses 1917 aus dem alten Petersburger Hoforchester hervorgegangene

Ensemble zählt trotz allen Eigenarten nach wie vor zu den internationalen Spitzenorchestern und kann nur mit den vollendetsten Klangkörpern verglichen werden. Dies nicht zuletzt dank der kontinuierlichen Arbeit mit seinem Chef Eugen Mrawinski, einem Grandsei-gneur des Taktstocks, der seine Musiker zu strengster Disziplin im Technischen anhält, aber sie zugleich all ihre Musikalität und klangliche Sensibilität voll entfalten läßt. Immer wieder staunt man zum Beispiel über den geschmeidigen, sinnlichen, oft überplastischen Gesang der Celli, über den sonor-satten Klang der neuen Kontrabässe, die wie eine Klangmauer den linken Orchesterflügel beschirmen, über die souverän auftrumpfenden Posaunen oder die fulminanten (französisch geschulten) Hörner. Und wie überrascht erst ihre klangliche Flexibilität und schwerelose Eleganz, wenn sie Stücke wie Tschaikowskys „Fünfte“ spielen. Wir haben beispielsweise diese Symphonie noch selten von einem Orchester so kontrastgeladen, im Andante-maestoso-Finale so exaltiert, aber doch in jeder Nuance so minuziös gespielt gehört. Und welche Spannung staut sich erst zwischen ihrem zartesten Geigentremolo und den abrupt ausbrechenden Orchesterentladungen auf, wie Mrawinski dies bei Tschaikowsky immer wieder vorexerziert. — Schostakowitschs „Sechste“, 1939 uraufgeführt, ist ein Werk des Übergangs. Wildheit von früher mischt sich mit dem leichten Schwung Haydnscher Perioden. In drei knappen Sätzen, einem düsteren Largo, einem schwungvollen polyphonen Allegro-Mittelteil und einem heftigen Presto-Finale voll Prater-und Zirkusatmosphäre, sind all die Reminiszenzen an die „Fünfte“ und erste Ideen zur heroischen „Siebenten“ zusammengefaßt... Das Publikum jubelte nach diesem Konzert stürmisch und erklatschte sich schließlich eine Glinka-Wiedergabe.

Das Gastspiel des Kölner Rundfunk-Symphonie-Orchesters unter seinem Chef Zdenek Macal (seit 1970) bewies vor allem, daß junge Dirigenten heute sehr rasch zum Start mit Lorbeeren überschüttet werden, dann ihnen aber offenbar kaum Zeit gelassen wird, sich weiterzuentwickeln, an sich kritisch zu arbeiten. Macal, 36, schon 1966 Preisträger des New Yorker Mitropoulos-Wettbewerbes, Chefdirigent der Prager Symphonik r und schließlich als Dirigent während einer Tournee der Tschechischen Philharmonie allgemein hochgelobt, hält heute durchaus nicht, was er versprochen hat. So wirkte die Aufführung von JanaSeks „Sinfonietta“ recht brav und spannungsarm. Und Schumanns „Vierte“ geriet ihm und den Kölnern, einem typischen deutschen Mittelklasseorchester, ohne Emotion, Leidenschaft, ohne die tiefgehenden psychischen Spannungsmomente, die der Komponist hier in eine streng organische Formeneinheit zwang. Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ zeigten hingegen das Orchester von seiner besten Seite: Die nervösen Spannungen, heftigen Ausbrüche und scharfen Kontraste kamen sowohl im sehr homogenen Blech als auch im Holz richtig zur Geltung. Man fragte sich schließlich, warum dieses Orchester eigentlich Schumann spielen mußte, statt eines ihm viel näherliegenden modernen Stücks.

Anna Reynolds sang im Brahms-saal Lieder von Schubert, Debussy und Gustav Mahler. Eine füllige, weich fließende Stimme, die vor allem in Debussys „Chansons de Bilitis“ ihre Qualitäten zeigte: Die Zartheit und Samtigkeit des Pianis-simo, selbst in hoher Lage, den makellosen Lagenwechsel, die weich timbrierte, schöne Tiefe, die nie guttural klingt. Und gerade Debussys schwerelose Kantilenenbögen, das Schwebenlassen der Stimmlinie, das Verdämmern von Phrasen gelingt Anna Reynolds besonders überzeugend. Für Mahlers „Wenn mein

Schatz Hochzeit macht“ Ist ihr Stimmaterial hingegen weit weniger geeignet. Manche Sprünge muß sie da forcieren, wie sie überhaupt auch den „Ton“ dieser Lieder diesmal nicht recht traf. Irwin Gage assistierte am Flügel einfühlsam. Ein Begleiter von Geschmack und Kultur. K. H. R.

Das erste Sonderkonzert der Wiener Symphoniker unter dem japanischen Dirigenten Iwaki im Großen Konzerthaussaal stand unter keinem guten Stern, zumindest unter keinem glänzenden, strahlenden. — Den Anfang machte Pen-dereckis „Klagegesang für die Opfer von Hiroshima“, für 52 Streichinstrumente gesetzt. Dieser in den Jahren 1959 bis 1961 komponierte Threnos steht unter dem grausamen Gesetz des „Alterns der Moderne“, von dem einmal Adorno gesprochen hat. Damals waren diese Clusters und Klangflächen neu und effektvoll, heute empfindet man das Ganze als „Masche“ — weil gar so viele, denen nichts Besseres einfällt, solche Musik produzieren. Der größte Vorteil dieses Stückes: daß es nur sieben Minuten dauert. Hierauf folgte das d-Moll-Konzert für Klavier und Orchester von Mozart mit dem etwa 40jährigen Amerikaner Theodore Lettwine als Solisten, der, von Iwaki ziemlich beiläufig begleitet, eine kaum mehr als durchschnittliche Leistung bot. — Dann, nach der Pause, änderte sich das Bild erfreulich: Die „Symphonie Phantastique“ von Berlioz geriet in allen ihren fünf Teilen farbig, kontrastreich und dramatisch. Diese Musik liegt dem Dirigenten mehr... Unvollkommen auch das Programmheft: zuwenig über Penderecki, nichts über den Pianisten, kein Wort über den Dirigenten und die Leitgedanken dieses dreiteiligen Zyklus „Sonderkonzerte der Saison 1972/73“...

Wesentlich unterhaltsamer war, am Abend danach, ein Jeunesse-Konzert im Zyklus „Ausgefallen und Auserlesen“ im Großen Musikvereinssaal. Unter der Leitung von Horst Stein wurde das „Divertimento für zwölf Bläser“ op. 53 von Fritz Leitermeyer uraufgeführt. Die sechs Sätzchen dauern knapp zwölf Minuten, sind gut geformt, reizvoll und zeigen, bei allen Kontrasten, einen einheitlichen Stil. In letzter Zeit setzte sich Leitermeyer mit der Klangreihentechnik Othmar Steinbauers auseinander, der seinerseits etwa zwischen Hauer und Hindemith steht. Das ist keine schlechte Schule: das wirklich unterhaltsame Divertimento bewies es. Und in seinem vierten (langsamen) Satz lebt eine neue Art von Romantik auf, die man sich gefallen lassen kann ... Die gutklingende „Serenade“ von Antonin Dvofäk für Blasinstrumente, Cello und Kontrabaß beschloß den ersten Teil. Nach der Pause folgte Bohus-law Martinus „Feldmesse“ aus dem Jahr 1939 für Baritonsolo, Männerchor, Bläser,. Schlagzeug, Orgel, Glocken und Klavier. An diesem 20-Minuten-Werk auf einen offenbar selbstgedichteten Text ist, leider, nur die Absicht und das Instrumentarium interessant. Das Beste in dieser Partitur erinnert an Janäcek. Aber auch die Tendenz des als Humanist und Pazifist bekannten Komponisten wird durch die Schlußworte verdunkelt: „Strafe . meine Feinde, o Herr“, sang im Finale Reid Bunger, „um der Wahrheit willen tilge sie!“ Den Chorpart sang der von Erwin Ortner einstudierte neugegründete Arnold-Schönberg-Chor, über den sich aber das Programm leider ausschweigt. — Den Beschluß bildete die immer wieder zündende „Kleine Dreigroschenmusik“ für Blaschorchester von Kurt Wetll, die von Horst Stein con animo dirigiert und die von den Wiener Bläsersolisten mit aller gebotenen Trockenheit wiedergegeben wurde. Jeder kennt diese acht Schlagernummern aus der „Dreigroschenoper“. Aber wie das im einzelnen gemacht ist, frappiert stets aufs neue und bezeugt einen wirklich originellen, auf seine Art genialen Komponisten. Das jugendliche Publikum war begeistert.

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