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Das Phänomen Penderecki

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Im gutbesuchten Großen Konzerthaussaal dirigierte Chrystoph Penderecki vier eigene Werke, die vom Chor und dem Orchester des ORF aufgeführt wurden. Wir wüßten gern mehr über Pendereckis erste Höreindrücke, seine Lehrer und seine allerersten Kompositionen. Denn wir kennen eigentlich nur die Geschichte seines Ruhmes, die begann, als 1959 alle drei vom Polnischen Komponistenverband gestifteten Preise an einen 26jährigen gingen: für die Orchester- und Chorwerke „Strophen“, „Emanationen“ und einige „Psalmen Davids“, die er später in seine ihn berühmt machende Lucas-Passion aufnahm. Vier dieser Psalmen für gemischten Chor und kleines Instrumentalensemble (2 Klaviere, Harfe, Kontrabaß und Schlagwerk) eröffneten den Abend: in sehr verschiedenen Techniken gearbeitet, zwei zwölftönige Stücke, das dritte, mit rhythmisch brisanten Stellen, rief mit zwei kurzen Passagen Stra-winsky und Bartök, sie fast notengetreu zitierend, in Erinnerung. Etwas durchaus Ungewöhnliches bei Penderecki.

Denn: man mag zu seiner Musik stehen wie man will: er hat sich nie an irgend jemanden angelehnt, sich auch an kerne Schule gebunden, sondern schreibt eine stets emotionelle, überaus farbige Musik — soweit es sich um Vokalkompositionen handelt — meist auf geistliche Texte. — Wobei Penderecki, zu einer Zeit, als solches von ihm gar nicht verlangt wurde, wiederholt erklärte, diese Worte seien für ihn nicht mehr als eine Art „matiere sonore“. — Im folgenden „Stabat Mater“ von 1962 wendet er seine Klangfarbentechnik auch auf die menschliche Stimme an, wobei von den 60 Zeilen der berühmten Sequenz nur 28 übriggeblieben sind. Die hervorragende Ausführung des schwierigen Stückes durch den ORF-Chor muß besonders hervorgehoben werden.

Hierauf die mit Spannung erwartete Wiener Erstaufführung von Pendereckis neuestem Werk „Als Jakob erwachte ...“ (die vollständige Bibelstelle lautet: „sah er, daß Gott dagewesen war. Er hat es aber nicht bemerkt“). Das Orchester fällt durch große Bläserbesetzung auf: je drei Holzbläser, fünf Hörner, drei Trompeten, drei Posaunen nebst Tuba und natürlich das bei Penderecki übliche große Schlagwerkensemble. Den eigentümlichen Klang des einsätzigen Achtminutenwerkes aber bestimmen 12 Okarinen, die einen tiefen, flötenartigen Ton erzeugen und dem Klangbild traumhaft-irrealen Charakter verleihen. Mit einer Reihe wie Seufzer klingenden Okarinaakkorden beginnt und schließt das Werk, in dessen Mittelteil der Klang gewissermaßen „aufgesplittert“ wird.

Den zweiten Teil des interessanten Programms bildete das im Vorjahr im Salzburger Dom uraufgeführte Auftragswerk „Magnificat“ für Baß-Solo, Vokalensemble, Knabenstimmen (Wiener Sängerknaben) und Orchester. — Das siebenteilige, etwa 40 Minuten dauernde Oratorium kam uns bei der Wiederbegegnung bedeutend länger vor — was kein gutes Zeichen ist. Auch konnte sich der Referent, der es erst vor etwa eineinhalb Jahren aufmerksam hörte und anschließend in der FURCHE besprach, an keine konkrete klangliche oder melodische Einzelheit erinnern. Aber das mag am Endesunterzeichneten als Schuldigem liegen, vielleicht auch an dem amorphen Charakter dieser Musik. Doch bleibt allenfalls die Frage offen, was sich ein Komponist davon verspricht, wenn er in der Partitur die oben angeführten Okarinen mit besonderen Zeichen versieht: „einen Viertelton höher, einen Drei viertelton höher, einen Viertelton tiefer, einen Dreiviertelton tiefer.'' Welcher Musiker kann das ausführen, und wer vermag es zu kontrollieren?

Das 4. Konzert im Zyklus „Die große Symphonie“ verdient eigentlich eine ausführlichere Würdigung, als wir sie ihm hier widmen können. Zwar waren die Werke ausnahmslos gut bekannt, aber die Ausführung war von so bemerkenswerter Qualität, daß sich wieder, einmal unsere Meinung bestätigt, daß speziell die Wiener Symphoniker so gut, so aus-gezpichnet sind, wie der Dirigent, der sie leitet. — Der junge Leningrader Yuri Ahronovitsch, vor kurzem zum Chefdirigenten nach Köln berufen und schon seit Jahren als Gastdirigent tätig, konnte trotz temperamentvollen Einsatzes dem 2. Teil der Sechsten von Dvorak nicht alle Längen nehmen. — Hingegen war sowohl das Solo des ebenfalls jungen, gleichfalls ohne Angabe des Geburtsjahres im Programm vermerkten David Lively aus Ohio in dem Klavierkonzert für die linke Hand von Maurice Ravel, hinreißend und brillant. Desgleichen der Orchesterpart. — Skrjabins „Poeme de l'exta-se“, 1905 bis 1907 geschrieben und bei uns während der letzten Jahre wiederholt gespielt, zeigt mit seinem 20 Minuten dauernden, nur durch ziemlich stereotype Intermezzi unterbrochenen Espressivo, leichte Alterserscheinungen. Aber das lag weder am Orchester noch am Dirigenten, der neben bemerkenswerter Verve auch eine gewisse Neigung zum For-tissimo zeigte.

Erwähnen wir wenigstens noch das Konzert des Württembergischen Kammerorchesters im Großen Musikvereinssaal unter der Leitung von Jörg Färber mit Konzerten und Divertimenti von Purcell (dem feinsten von allen seinen Zeitgenossen), Bach, Telemann, Michael Haydn und Tartini, Gemeinsam mit dem Orchester konnte der französische Trompeter Maurice Andre einen Beifall entgegennehmen, wie man ihn nicht alle Wochen, nicht alle Monate in diesem Saal zu hören bekommt. Er bedankte sich beim Publikum mit zwei Zugaben.

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