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Zweimal Prokofieff im Konzert

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Ein Konzert der Jeunesses Musicales vereinte unter dem Titel „Alte Musik aus Italien“ das Wiener Ensemble „Mu-sica antiqua“ unter Leitung von Rene Clemencic und das Ensemble „Pro Mu-sica Firence“ (Leitung Padre Enrico Gori) zu einem erlesenen Vokal- und Instrumentalprogramm mit Werken aus dem 12. bis 16. Jahrhundert, mit jungen Stimmen und alten Instrumenten. Man hörte in beiden Disziplinen sonst kaum zu hörende Kompositionen und war bei jedem Stück über die Gegenwartsnähe erstaunt. Das Instrumentarium bestand aus Radleier, Blockflöte, Krummhorn, Dolzian, Päuklein, Pommer verschiedener Stimmung, Trumscheit, Zink, Fiedel, Portativorgel und noch anderen Raritäten. Die Singstimmen waren weitgehend objektiviert, instrumentaler Tönung nachgebildet. Natürlich gab es auch gemeinsames Musizieren und keinen Bruch zwischen Instrument und Gesang. Wohl aber leisteten beide Gruppen allein ihr bestes; die Sänger in Palestrinas „Sicut cervus“ und die Instrumentnlisten in Padovanos „Aria della Battaglia“, einer Bearbeitung des Chansons „La guerre“ von Jannequin. Die Ausführenden verstanden die Spannung des Publikums konsequent zu steigern, was der Beifall bewies. Ähnliches möchte man öfter hören.

Die Etüden op. 10 und op. 25 von Chopin, die genialsten und umfassendsten der pianistischen Weltliteratur, stellen mehrfache Aufgaben an den Spieler. Es geht dabei durchaus nicht nur um die Bewältjgung der äußersten Schnelligkeit mit behenden lockeren Fingern, wie sie Dieter Weber an seinem Klavierabend im Mozartsaal aufwies. Chopin stellte in seinen Etüden eine großartige Synthese dar von verschiedenartigsten technischen Problemen mit musikalisch bewußt zu führenden Gedanken, deren Verwirklichung er durch genaue Phra-sierungs- und Artikulationsangaben, Agogik- und Metronombezeichnungen ermöglicht. Dieser Anforderung wurde Dieter Weber noch nicht gerecht, hoffentlich noch nicht, da doch anzunehmen ist, daß ihm (nach Chopins Worten „die Musik als Muttersprache“) die Realisierung dieses Anspruches am Herzen liegen muß. Die als Einleitung gespielten 24 Preludes op. 28 ließen durch einen knarrenden Klavierstuhl gestört die gleichen Wünsche offen. Wohin geht die Entwicklung des jungen Pianisten? Es geht um anderes als nur um schnellste Perfektion! H. A

Witold Rowicki, einer der Pioniere der neuen Musik in Polen, leitete das fünfte Konzert im Zyklus „Die große Symphonie“. Es begann mit einem musikhistorisch berühmten, aber wenig bekannten Werk Prokofieffs, der „Skythischen Suite“ op. 20, 1914 für Diaghilews „Ballett Russe“ geschrieben und ein Jahr später,nachdem sich der Auftraggeber nicht dafür erwärmen konnte, zu einer vierteiligen Orchestersuite umgearbeitet. Der Einfluß von Strawinskys kurz vorher, 1913, urauf-geführtem „Sacre“ auf das Sujet (Szenen aus dem heidnischen Rußland) ist ebensowenig zu übersehen wie der auf die Partitur Prokofieffs zu überhören. Nur erweist sich Strawinsky als der maßvollere, raffinierte „Wilde“, vor allem in bezug aufs Lärmmachen (Prokofieff mobilisiert dafür vierfaches Holz und Blech — acht Hörner —, Klavier, zwei Harfen, Xylophon und vielfaches Schlagwerk usw). Doch gibt es in der für den jungen Prokofieff charakteristischen Partitur neben Plakathaftem auch zahlreiche feinere, klanglich aparte Stellen, die eine Aufführung des originellen Jugendwerks rechtfertigen. Hierauf spielte der junge Exilpole Andre Tschaikowskij das Klavierkonzert von Schumann: in Klang und Dynamik sehr differenziert, beweglichnervös und slawisch-poetisch. Es war eine etwas fremdartige, aber sehr reizvolle Interpretation, besonders wenn der 26jäh-rige Starpianist im langsamen Mittelteil seinerseits aufmerksam-höflich die soli-' stischen Holzbläser begleitete. Den zweiten Teil des Programms bildete Tschai-kowskijs 4. Symphonie, ein Paradestück für den Dirigenten und das Orchester der Wiener Symphoniker.

Für ihr zweites Abonnementkonzert hatte die Wiener Kulturgesellschafl Doktor Siegfried Goslich aus München eingeladen. Das Programm war eigentlich für ein jugendliches Publikum zugeschnitten, das aber leider im Saal fehlte. Fritz Mutiar sprach mit didaktischem Humor den erläuternden Text zu Benjamin Brittens „Variationen und Fuge über ein Thema von Purcell“,, die zugleich als „Young persons guide to the orchestra“ dienen. Hierauf spielte Robert Freund virtuos und tonschön das 1. Hornkonzert op. 11 von Richard Strauss, — Und Muliar war auch der Sprecher von Prokofieffs musikalischem Märchen „Peter und der Wolf“. Mit routinierter Sicherheit und sichtlichem Vergnügen an den musikalischen Spässen leitete Dr. Goslich das aus Liebhabern und „Professionellen“ zusammengesetzte Orchester, das freilich mit dem abschließenden „Bolero“ von Ravel ein wenig überfordert gewesen sein dürfte. Viel Beifall eines animierten Publikums.

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