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Mahler in Montreux

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Von den nach 1945 begründeten Festspielen ist das von Montreux eines der ältesten: es fand heuer bereits zum 28. Male statt und umfaßte im Lauf des Monats September nicht weniger als 22 Konzerte. Drei große Orchester spielten in diesem Jahr zum ersten Mal in Montreux: das der Oper von Monte Carlo, das Südwestfunkorchester und die Wiener Symphoniker, deren Kammerorchester noch extra in Erscheinung trat. Uberhaupt war Wien heuer in Montreux ausgiebig repräsentiert: im Schloß Chi Hon spielte das Wiener Bläserquintett und in der Kirche Saint Martin in Vevey gab Kurt Rapf einen Orgelabend.

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Von den nach 1945 begründeten Festspielen ist das von Montreux eines der ältesten: es fand heuer bereits zum 28. Male statt und umfaßte im Lauf des Monats September nicht weniger als 22 Konzerte. Drei große Orchester spielten in diesem Jahr zum ersten Mal in Montreux: das der Oper von Monte Carlo, das Südwestfunkorchester und die Wiener Symphoniker, deren Kammerorchester noch extra in Erscheinung trat. Uberhaupt war Wien heuer in Montreux ausgiebig repräsentiert: im Schloß Chi Hon spielte das Wiener Bläserquintett und in der Kirche Saint Martin in Vevey gab Kurt Rapf einen Orgelabend.

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Außerdem gab es noch ein Konzert des Orchesters de la Suisse ro-mande unter Wolfgang Sawallisch, dem ständigen Leiter, mit Henryk Szeryng als Solisten, und ein Konzert des Lausanner Kammerorchesters unter dem jungen spanischen Dirigenten Antonio Ros Marba mit dem erstaunlichen, bereits 71jährigen Doyen der Schweizer Sänger, Hugues Cuenod. Vergessen wir auch schließlich das Belgrader Kammerorchester unter Antonio Janigro nicht, das als einziges Ensemble aus dem Osten gekommen war — aus dem „Fernen Osten“ möchte man fast sagen. Denn hier an den Ufern des Genfersees ist man sehr „im Westen“, und zwar im romanischen...

Und das Programm? Es ist ausgesprochen konservativ, d. h. dem Geschmack des Publikums angepaßt, für das der „Septembre musical“ veranstaltet wird. Es ist das wohlhabende Bürgertum von Montreux, das sich ein Festival etwas kosten läßt und es sind die zu dieser schönen Jahreszeit am Ufer des Genfersees weilenden Gäste, nicht zu vergessen die vielen Künstler, die sich während der letzten Jahre und Jahrzehnte hier niedergelassen haben. So hat der das reichhaltige und reichillustrierte Programmheft einleitende Artikel aus der Feder des künstlerischen Leiters, Prof. Rene Klopfenstein, programmatische Bedeutung. Sein Titel lautet: „Die ewig jungen Meisterwerke“. Und an diese hält man sich. Die Wiener Klassik dominiert: am ersten Tag gab es die I. und die IX. Symphonie von Beethoven mit dem Orchestre National de l'Opera de Monte Carlo unter Lovro von Mataöic und den Beschluß machten die Wiener Symphoniker unter Wolfgang Sawallisch mit einem Mozart-Schumann-Programm.

Aber auch Purcell und Rameau, Händel, Pergolesi, Corelli und Vi-valdi kommen zu Wort. Auch hindert das nicht, daß, wie in den vergangenen Jahren, an einen Schweizer Autor ein Kompositionsauftrag vergeben wird. Dieses Jahr war es der 1931 in Basel geborene Rudolf Kelterborn, der sein 12-Minuten-Werk für großes Orchester „Chan-gements“ nennt und darin zeigt, daß er sich nicht nur moderner Permutationstechniken zu bedienen weiß, indem einzelne Elemente in immer neuen klanglichen Varianten vorgeführt werden, sondern der auch das Zeug zum symphonischen Dramatiker hat und über eine bemerkenswerte Klangphantasie verfügt. Das Südwestfunk-Orehester unter seinem seit 1962 dort amtierenden ständigen Dirigenten Ernest Bour hat die Uraufführung zwischen Beethovens „Coriolan“-Ouvertüre und dem 4. Klavierkonzert (mit dem Schweizer Solisten Harry Datyner) und Debus-sys „La Mer“ recht effektvoll vorgestellt — was freilich die Verblüffung des im Umgang mit der Moderne wenig versierten Publikums eher noch erhöhte.

Aber dieses gleiche Publikum hat der VII. Symphonie von Mahler einen unerwarteten Empfang bereitet. Zum erstenmal erklang Mahler-Musik im Rahmen dieses Festivals, und die sich seiner annahmen, kann man nicht gerade als Mahler-Spezialisten bezeichnen: es waren der israelische Dirigent Moshe Atzmon und das Orchester des Südwestfunks Baden-Baden. Aber beide haben ihre Sache nicht nur gut, sondern auch im höchsten Grade akkurat und eindrucksvoll gemacht und vermochten es, das völlig unvorbereitete Publikum lebhaft zu begeistern. Immerhin waren der Mahler-Symphonie Beethovens Klavierkonzert KV 503 mit der diesmal recht sanften Martha Argerich und eine ausgiebige Pause vorausgegangen. Und danach erst kam das 80-Minuten-Werk, auf dessen geistigen Anspruch und dessen Dauer man nicht gefaßt war. — Während der nächsten Tage sprach man immer wieder von der „großen Symphonie“, und es ist anzunehmen, daß Mahlers Werk künftig auch hier am Genfersee eine Heimstatt finden wird. — Nur gezählte sechs Personen hatten während des letzten Satzes den Saal verlassen. Und von diesem Saal muß zuletzt gesprochen werden.

Vor zwei Jahren nämlich brannte das unmittelbar am Ufer des Sees, an seiner schönsten Promenade liegende Casino ab. An seiner Stelle wird ein neues, glücklicherweise nur zweistöckiges modernes Gebäude errichtet. Die größeren Konzerte fanden während der vergangenen Jahre in dem unmittelbar neben dem riesigen Palace-Hotel liegenden, akustisch sehr ungünstigen Saal des „Pavillon“ statt. Nun hat Montreux und sein Festival einen neuen Konzertsaal in dem neuerbauten Kongreßhaus. Es ist ein überaus geglückter, außen und innen in warmen Brauntönen gehaltener Bau für etwa 1500 Personen mit einem großen Konzertsaal. Seine Akustik konnte man an verschiedenartigen Werken testen. Am besten bekam sie der Mahler-Symphonie. Auch „La Mer'“ klang gut, einige klassisehe Stücke etwas „stumpf“ — mit etwas zu kurzem Nachhall.

Zwei große internationale Wettbewerbe finden im Rahmen des Festival de Musique Montreux-Vevey statt. Der Clara-Haskil-Preis wurde 1962, zwei Jahre nach dem Tod der großen Künstlerin, gestiftet und im Jahr darauf erstmalig in Luzern vergeben. In diesem Jahr „übersiedelte“ er nach Vevey, wo Clara Haskil viele Jahre lebte, hier wurde der Concours ausgetragen und der Preisträger im neuen Kongreßhaus vorgestellt. Er heißt Richard Goode, ist 30 Jahre alt und Amerikaner. 52 Pianisten aus 22 Ländern hatten sich angemeldet, 29 nahmen an dem von einer internationalen Jury veranstalteten Wettbewerb teil, neun kamen in die Endrunde und an vier wurden Preise verliehen. Nach Richard Goode folgten Mitsuka Uchida (Japan), Brigitte Meyer (Schweiz) und Penelope Blackie (England).

Der Prix Mondial du Disque de Montreux wurde im Rahmen einer zugleich intimen und glanzvollen Feier im Schloß Chillon verliehen. Im Mittelpunkt stand der 87jährige Arthur Rubinstein. Folgende Schallplatten wurden ausgezeichnet: „Ben-venuto Cellini“ von Berlioz unter Colin Davis (Philips) „Chowan-schtschina“ von Mussorgsky in einer Aufnahme der Oper von Sofia (Har-monia Mundi), Chopins Etüden, gespielt von Pollini (DGG) und als historische Aufnahme „Der Ring“ unter Furtwänglers Leitung (EMI).

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