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Was man selten hört

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Ein iingewöhnliches Programm hatte das 4. Abonnementkonzert der Philharmoniker, das von Stanislaw Skrowaczewski geleitet wurde. Beethovens 2. Leonoren-Ouvertüre von 1805 verhält sich zur großen Dritten wie die Puppe zum Schmetterling: ein rührender Anblick, und man bleibt während des Anhörens im Zustand gespannter Aufmerksamkeit — tmd Erwartung. — Stra-winskys „Symphonie en trois mouve-ments”, 1945 in Amerika geschrieben, ist ein merkwürdiges (und trotzdem meisterhaftes) Werk der Pro- imd der Retrospektive: da gibt es Motive und Figuren, denen man in der fünf Jahre später entstandenen Oper „The Rake’s Progress” und in der „Cantata” begegnet und es gibt Anklänge an den „Sacre” und Bartöks „Musik für Saiteninstrumente” usw. Strawinskyis Neoklassizismus war damals auf dem Weg zur Versteinerung. Trotzdem: der erste Satz und das Fugato im letzten zählen zum Besten! — Zum Besten und Größten hochromantischer Bekenntnismusik des 19. Jahrhunderts, „groß und leidend”, wie Thomas Mann es einmal nannte, zählt auch Tschaikowskys IV. Symphonie, die der Autor selbst als Lebensdokument gedeutet hat. (Der ergreifende Brief an Frau von Meck ist im Programm abgedrudtt.) Unter der Leitung von Stanislaw Skrowaczewski (in Krakau bei Palester und bei Nadja Boulanger in Paris ausgebildet, Komponist, 12 Jahre Dirigent in Polen, jetzt In den USA) hatten die Wiener Philharmoniker einen mittelguten Tag. Das lag nicht an den Werken, vielleicht auch nidit am Dirigenten. Aber sie haben natürlich trotzdem sehr schön gespielt.

Was jede Begegnung mit David Oistrach so erfreulich macht, ist nifcht hur die Makellosigkeit und klangliche Noblesse seines Geigen-spieds, sondern auch die posenlose Natürlichkeit seines Musizierens. Nach den letzten pathetischen Akkorden der „Egmont”-Ouvertüre Beethovens begann mit und unter der Leitung Oistrachs ein Mozart-Spiel, wie man es sich nur wünschen mag. Das Konzert für Violine und Orchester D-Dur (KV 218) gehört zu jenen fünf Concerti, die Mozart als Neunzehnjähriger innerhalb des Jahres 1775 in Salzburg schrieb. Die Heiterkeit der Ecksätze umrahmt ein Andante cantabile, das von der Violine fast wirklich „gesungen” wurde. Bachs a-Moll-Konzert für Violine, Streicher und Continue kann man sicher auch anders spielen, als Oistrach es tat. Aber da seine Interpretation unaufdringlich und aus einem Guß ist, darf man sie — man wäre denn ein musikhistorischer Purist — getrost gelten lassen. Wie Oistrach, der in den beiden Ecksätzen kaum einen Takt Pause hat, den anspruchsvollen Solopart spielt und das sich elastisch anpassende Orchester der Wiener Symphoniker auch sicher leitet — das muß man erlebt haben. Daß er sich von den 13 oder 14 Scho-stakoiüitsch-Symphonien just die Nummer 9 wählte, war nicht verwunderlich. Innerhalb eines Monats im Jahre 1945 geschrieben, ist sie mit ihren fünf Sätzchen und einer Gesamtdauer von einer knappen halben Stimde wohl das einzige längere Stück von Sdiostakowitsch, das man der „musica serena” zuzählen darf. Auf diesen Charakter weisen nicht nur die drei Scherzi, sondern auch eine gewisse melodische Unbedenklichkeit, ja Simplizität, die den Titel „Kindersymphonie” rechtfertigen würden. So war die Flucht vieler Konzertbesucher gerade vor diesem Werkchen nicht gerechtfertigt. Aber wahrscheinlich fürchtete man sich vor einer „Neunten” im Gefolge Beethovens, Mahlers oder Bruckners…

Im Großen Musikvereinissaal spielte David Oistrach, von Paul Badura-Skoda am Bösendorfer assistiert, drei Sonaten von Mozart,, Vor vielein Jah-:pea schrieb einmal ein Münchne^ Kritiker, der Mozart-Vortrag müsse einem sozusagen im Horoskop stehen. Das gilt besonders für die Violinsonaten, die in einem Konzertsaal zu spielen, und dazu noch in einem großen, jedesmal ein Wagnis bedeutet.

Es besteht hier die Gefahr der Vergrößerung durch dynamische Dramatisierung oder durch technische Brillanz. Die einzige Möglidikeit ist, sie quasd für sich zu spielen. Das tatei die beiden Künstler, soweit es möglich ist. Der sinnlich-übersinnliche Klang steht Oistrach ebenso zu Gebot wie eine makellose Technik, die etwa d»s Allegro der F-Dur-Sonate fordert. Harmonisdies Zu-sanunensplel und vollendete Interpretation verliehen diesem Konzert den höchsten Rang.

Maurice Ravel, einmal befragt, was er von der zeitgenössischen deutschen Muisik halte, antwortete: er kenne nicht viel, aber das wenige sei ihm zu gelehrt; er und seine Freunde schrieben hauptsächlich ,.Unt6rhal-tungsmusik”. Von welcher Art und Qualität diese ist, konnte man neulich im Mozart-Saal hören, als ein aus fünf Musikern bestehendes Ensemble Ravels „Introduction et Allegro” spielte, das zwanglos in einen Walzer mündet und in dem die Harfe, bis vor kurzem in Frankreich ein beliebtes Hausinstrument, die gleiche dominierende Rolle spielt, wie in Debu^sys Sonate für Flöte, Bratsche und Harfe aus dem Jahr 1916, die ein wenig so klingt, wie wenn Debuissy „Debussy-Musik” schreibt… Luioi Dallapiccolos lyrische Piecen für Sopran nach Ana-kreon mdt drei, nach Alkaios mit elf Begleitinstrumenten sind klanglidi apart, berücksichtigen die Möglichkeiten der menschlichen Stimme, wären aber auch von einem Kenner nicht als „Dallapiccola” zu identifizieren. Quasi als Interludien gab’s eme Sonate für Oboe Solo von Emst Krenek op. 156 und ein zwölf-töniges Quintett für drei Bläser, Gitarre und Kontrabaß von Leopold Spinner, Jahrgang 1906, Webem-Schüler, jetzt in England lebend: eine kultivierte Serienproduktion ohne besondere Kennzeichen. Hingegen kaiti man die Bearbeitung des Kaiserwalzers von Johann Strauß durch Arnold Schönbevg (für kleines Salonorchester) nicht anders denn als „unbetamt” kennzeichnen. Von den vielen Solisten, die unter der Leitung Peter Keuschnigs an diesem Abend musizierten, seien wenigstens die am meisten beschäftigten genannt: Margaret Baker — Sopran, Elisabeth Bayer — Harfe imd Gottfried Hechtl — Flöte.

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