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Vater und Sohn Oistrach

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Man könnte diese Wiener Musikfestwochen als ein kleines Oistrach-Festival bezeichnen: nicht weniger als sechs Konzerte, ohne die Wiederholungen mitzuzählen, haben sie bestritten: Vater David und Sohn Igor Oistrach, als Solisten von Instrumentalkonzerten, mit Kammermusik, im Duo, David Oistrach oft auch dirigierend, Igor auch Bratsche spielend.

Das Konzert im Zyklus „Die Große Symphonie“ war eines der besten und interessantesten. Mit den Wiener Symphonikern musizierte David Oistrach zunächst die Symphonie Es-Dur Nr. 99 von Joseph Haydn, die in der Gesamtkonzeption sehr schön und richtig war, im technischen Detail, vor allem was die Präzision der Streicher betrifft, einiges zu wünschen übrig ließ. Aber wer wollte das ernsthaft bemängeln, angesichts der Überbelastung des Orchesters und der subtropischen Temperaturen im Großen Musikvereinssaal, die nicht nur für die befrackten Musiker, sondern auch fürs Publikum zur Plage werden.

Nicht oft hört man ein so feines und erfreuliches, in Tempo, Phrasie-rung u. Ausdruck richtiges Musizieren wie bei der Wiedergabe von Bachs „Konzert für Violine und Oboe“, ursprünglich für zwei Cembali und Orchester geschrieben (jedenfalls nur in dieser Form überliefert) und später für andere Instrumente bearbeitet, wie das in jener Zeit oft praktiziert wurde. David Oistrach spielte nicht nur — mit noblem, niemals kühlem, aber auch nie romantisierenden Ton — den Solopart, sondern betreute gleichzeitig vorbildlich seinen Partner, den Symphoniker Jürgen Schäftlein, der die Oboe süß und ausdrucksvoll zu blasen versteht, während Rudolf Scholz am Cembalo für rhythmisches Rückgrat sorgte.

„Harold in Italien“, 1834 entstanden und ursprünglich als Bratschenkonzert für Paganini geplant — doch war diesem der Solopart zu wenig virtuos — ist eine ausgewachsene viersätzige Programmsymphonie. — Berlioz-Verehrer mögen sie als großartiges Fresko bezeichnen, die andern finden, es sei ein rechter Schinken. Auf den Schlußsatz („Beim Gelage der Räuber — Gedenken früherer Eindrücke“) trifft eher das letztere zu; während des 1. Teiles („Harold in den Bergen“) ist man, wie oft bei Berlioz, hin- und hergerissen, das „Ständchen eines Liebhabers in den Abruzzen“ ist eine

Nichtigkeit, aber der „Marsch der Pilger, ihr Abendgebet singend“ ist ein echter Geniestreich: wie hier das Soloinstrument mit leise wiegenden Arpeggien das Orchester begleitet — eine solche Stelle gibt es ein zweites Mal nur noch in den „Symphonischen Variationen“ von Cesar Franck. Igor Oistrach war der Solist und, was Brillanz und romantischen Schwung betrifft, ein echter Harold mit seiner edel klingenden Bratsche ... H. A. F.

Dem Mozart-Abend von David Oistrach—Badura-Skoda ließ Sohn Igor einen Sonatenabend folgen, dem mit drei Paganini-„Hdts“ („Perpetuum mobile“, „Variationen auf der G-Saite“ und „Campanella“) eine geigenakrobatische Exhibition mit unwahrscheinlich sicheren Flageolett-, Doppelgriff- und Spring-bogenkünsten angeschlossen war. Igor Oistrachs Mozart-Interpretation (F-Dur-Sonate KV 376) war auf einfache, mätzchenfreie Natürlichkeit mit primär-gesanglichem Auskosten des Andantesatzes angelegt. Bartöks technisch ungemein schwierige, hohe Anforderungen an das Gedächtnis stellende Sonate Nr. 1 trug der Künstler mit bewundernswerter Konzentration und ausdrucksmäßiger Hingabe vor. Hier zeichnete sich die mit gleichmäßig musikalischem Anteil wie der Geiger bedachte Pianistin, Natalja Zertsalowa, die Gattin des Künstlers, in ganz besonderem Maß aus. Grieg, oft als der Salonmusik nahestehend bezeichnet, bewies mit seiner formal und inhaltlich bestfundierten c-Moll-Sonate, daß er — eine gegenteilige Beurteilung verdienend — als bedeutender, nordischer Romantiker einzuschätzen ist. Nach den Zugaben orkanartiger Beifall des vollbesetzten großen Musikvereinssaales.

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Die Mezzosopranistin Jessye Norman, von früheren Abenden in Wien in bester Erinnerung, sang im gutbesuchten Mozartsaal nach Schubert- und Brahms-Gesängen Wagners „Wesendonck-Lieder“ und beeindruckte durch die empfindungstiefe Wiedergabe dieser teilweise als „Tristan“-Studien zu wertenden Gesänge. Als kontrastreiche Delikatessen brachte die Künstlerin die humoristisch-spritzigen „Trois Melo-dies“ des .französischen Satirikers Eric Satie mit scharfer textlicher Pointierung zum Vortrag. Ihr Flügelmann, der junge Irving Gage, hat sich bereits zu einem der ersten Sän-gerbegleiter hinaufgespielt. Verdient großer Applaus.

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Wer Alfred Brendel in einigen seiner früheren Konzerte Liszt spielen hörte, mußte sich sagen, daß für den Künstler als einen der besten derzeitigen Liszt-Interpreten ein Abend mit Werken ausschließlich dieses Komponisten fällig sei. Diese Fälligkeit trat jetzt ein. Wenn Brendel Liszt ausdeutet, dann müssen selbst enragierte sachliche Kompositionskonstrukteure zur Einsicht kommen, daß die „Programmusik“ dieses Meisters weit über der von ihnen gerügten Oberflächlichkeit steht und sich in schöpferischer Neuharmonik Wege in den kommenden Impressionismus auftun. In die Sonette der „Annees de Pelerinage“ sang sich Brendel mit der erregenden Begeisterung eines Romantikers hinein, Passagenrasanz, feinst nuancierter Anschlag und bald gestochene, bald großen, rauschenden Orchesterklang vortäuschende Akkordketten kamen dem „Mephisto-Walzer“ zugute. Mit drei durchaus zukunftweisenden „Späten Stücken“' und zwei „Rhapsodien“ des von den Ungarn als ihren Landsmann reklamierten Komponisten schloß der offizielle Teil dieses echten Festwochenkonzerts. Im inoffiziellen fand er seine Fortsetzung in zahlreichen Zugaben.

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Ein Programm mit einer Bruckner-Symphonie, dem Violinkonzert von Brahms mit David Oistrach als Solisten und einem besonderen Liebling der Wiener Philharmoniker unter den von ihnen erwählten Dirigenten, Claudio Abbado, garantiert von vornherein ein exzeptionelles „Philharmonisches“. Oistrachs Kunst zu würdigen, hieße das Zitat der berühmten athenischen Eulen wiederholen. Nur die wie eine traumhafte Vision gespielte Wiederholung des Hauptthemas am Schluß des Kopfsatzes verlangt eine spezielle Erwähnung. Mit gleicher Genugtuung sei festgestellt, daß sich dem jungen Maestro Abbado das Verständnis für Bruckner — diesmal mit der selten gehörten 1. Symphonie — immer besser aufschließt. Genaue Durchleuchtung der Themen und ihre Durchführung im Allegro molto mo-derato, das fröhliche Zupacken im Scherzo mit dem zarten, mit Temporeduktion behandelten Trio sprechen dafür. Beispielloser, selbst für ein Philharmonikerkonzert selten phonstarker Jubel für Orchester, Solisten und nicht minder für den Dirigenten, dessen in den letzten Jahren ständig aufsteigende Erfolgslinie das Wiener Publikum mit richtig wertender und unterstützender Teilnahme mitmachte.

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