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Zweimal Igor Oistrach

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Das 5. Konzert im Zyklus „Die große Symphonie“ leitete Maurice Le Roux, Jahrgang 1923, vielbeschäftigter Dirigent von vier französischen Orchestern und anderer Ensembles zwischen Buenos Aires und Warschau. In Wien trat er zum erstenmal auf, und es wird, dem günstigen Eindruck und dem Erfolg nach, wohl nicht sein letztes Konzert gewesen sein. — Die einleitenden „Trois Nocturnes“ von Debussy und die den 2. Teil des Programms bildende d-Moll-Symphonie von Cesar Franck interpretierte M. Le Roux mit einer seiner physischen Konstitution entsprechenden behäbigen Routiniertheit. Doch fehlte es weder bei Debussy an klanglichen Finessen noch in der klassisch-romantischen Meistersymphonie des Wahlfranzosen Franck an theatralischem Pathos.

Im Zentrum des Programms und des Interesses stand das Violinkonzert a-Moll von Schostakowitsch mit Igor Oistrach als Solisten. Dieses op. 99, in den Jahren 1947/48 entstanden, aber erst 1955 durch David Oistrach uraufgeführt, ist ein in jeder Hinsicht schwieriges Werk: in seiner Aussage merkwürdig versponnen und verquält, in der Form(Nocturno-Scherzo-Passacaglia) originell und frei, in der Durchführung auf weite Strecken effektvoll und virtuos, stets aber hohe Ansprüche an Spieler und Hörer stellend. „Je mehr ich mich in das Konzert vertiefte, je aufmerksamer ich seinen Klängen lauschte, um so mehr gefiel es mir, um so stärker fesselte es meine Gedanken und ergriff Besitz von meinem ganzen Fühlen“, sagte David Oistrach nach der Premiere, und es ist möglich, daß es uns ebenso damit ergehen würde. Aber wir haben das Werk nur zweimal gehört: zuerst anläßlich eines Gastspiels der Leningrader im Jahre 1956, und nun, mehr als zehn Jahre später, mit den Wiener Symphonikern und Oistrach-Sohn als Solisten, der den allerbesten Eindruck machte.

Diesen konnte man an seinem Soloabend, ebenfalls im Großen Musikvereinssaal, kontrollieren und vertiefen. Das von ihm und seiner Frau, der jungen Pianistin Natalja Zertsalowa, ausgeführte Programm war recht merkwürdig. Es bestand aus Sonaten, beziehungsweise Sona-tinen von J. S. Bach, Maurice Ravel und Jacob Weinberg (eines russischen Salonimpressionisten, geboren 1879 in Odessa, gestorben 1956 in New York), der als Komposition nicht gerade bedeutenden Phantasie in C-Dur von Schubert (op. 159) und zwei Vortragsstücken von Paganini („Cantabile“ und „Caprice“ Nr. 24).Die russischen Künstler spielen Bach hochromantisch, agogisch frei, dynamisch sehr (allzu) kontrastreich und den Schlußsatz mit eindeutig überzogenem Tempo. Alle anderen Werke wurden von den beiden Solisten, trotz ihres Titels, als Virtuosenstücke aufgefaßt und dargeboten. Als interessantestes Werk erwies sich die selten gespielte Sonate G-Dur von Ravel, 1923 begonnen, aber erst vier Jahre später beendet. Die beiden so gegensätzlichen Instrumente werden hier nicht miteinander verschmolzen oder in Funktion zueinander ■ gesetzt (Solo und Accompagnato), sondern klanglich, spieltechnisch und melodisch kontrastiert. Besonders reizend: ein rührend altmodischer Blues als Mittelteil, mit virtuoser Imitation der Saxophonkantilene und harten Banjoklänge. — Igor Oistrach, der 36jährige, lange Zeit im Schatten seines Vaters, dessen gelehriger Schüler er war, kann heute praktisch alles, was man von einem großen Geiger erwartet Doch neigt sein Gemüt — im Unterschied zum „apollinischen“ Temperament des Vaters — eher zu Schwere und Schwermut, wenigstens als Künstler. Im Habitus und im Ausdruck gewisser Gefühlsanlagen erinnert er an Bronäslaw Huberman. Natal ja Zertsalowa ist ihm mehr als eben nur Begleiterin, sondern eine überaus zuverlässige Partnerin, die selbst das Zeug zur Virtuosin hat. (Der Schwierigkeitsgrad der von ihr exekutierten „Begleitungen“ ist kaum geringer als der des Violinparts.) Uberaus leibhafter Beifall und mehrere Zugaben.

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