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Neue Musik und junge Dirigenten

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Während der vergangenen Konzertwoche gab es zwei erfreuliche Ereignisse, die besonders hervorgehoben werden müssen: die Bekanntschaft mit einem wertvollen zeitgenössischen Orchesterwerk und eine Kammermusikveranstaltung, die sich durch ein besonders schönes Programm und gediegene Vorbereitung auszeichnete.

Albert Roussel (1869 bis 1937) stammt aus Nordfrankreich und wurde, nachdem er viele Jahre bei der Marine gedient hatte, Kompositionsschüler von Vincent d’Indy. In seinem Wesen und Werk kreuzen sich germanische und romanische Einflüsse. Ein gleiches Doppelgesicht weist sein Schaffen auch in stilistischer Richtung auf. Als Roussel seine Hauptwerke schrieb, herrschte in Frankreich der Impressionismus, dessen Klangmittel er vollkommen beherrschen lernte. Aber Roussel ist ein Künstler der strengen Form und steht in seinen symphonischen Werken dem Concerto grosse näher als der Bekenntnis-Symphonie oder der Tondichtung, die damals ihre Hochblüte erlebten. Seine III. Symphonie reiht sich den älteren Werken durchaus würdig an: hier sind prägnante thematische Einfälle, ein dichtes, aber wohlgeordnetes, übersichtliches kontrapunktisches Gewebe, ein straffer, völlig unmotorischer Rhythmus und eine organische Form. Alles bei Roussel hat Hand und Fuß. Seine III. Symphonie ist ein Meisterwerk der neueren Musik. Der junge tschechische Dirigent Jaroslav Krombholc, dem wir in der letzten Konzertsaison für eine unvergeßliche „Scheherezade“-Auffüh- rung danken konnten und der vor kurzem einige prachtvolle Aufführungen von Jana- čeks „Jenufa" geleitet hat, war der Interpret der Roussel-Symphonie.

Im gleichen Konzert .hörten wir eine Märchen-Suite op. 16 des Altmeisters der tschechischen Musik, Joseph Suk (1874 bis 1935): eine Folge sehr ansprechender, melodischer Musikstücke, etwa im Stil von Humperdincks „Hänsel und Gretel“, bereichert um folkloristische Elemente und sehr hübsch mit einigen impressionistischen Farbflecken verziert. In dem Cellokonzert von Lalo, das Gaspar Cassado mit vollendet schönem Ton, aber nicht ganz griffrein spielte, dominiert das spanische Kolorit ebenso stark wie in Lalos „Symphonie Espagnole“, „Fantaisie Norvegienne“ oder im „Concerto Russe“. Unsere Symphoniker zeigten wieder einmal, welcher hervorragender Leistungen sie unter einem begeisterten und tüchtigen Dirigenten fähig sind.

Auch die Tirolerin Maria Hofer ist bei den französischen Meistern der Jahrhundertwende in die Schule gegangen und dem Impressionismus verpflichtet. Doch gerade diese Technik — die letzten Endes sublimierter Klangmaterialismus ist — scheint mir für einen Vorwurf wie den „T o t e n t a n z“, der persönliches Erleben spiegelt und eine transzendente Deutung des Leidens zu geben hätte, wenig geeignet. Das Stüde ist sehr kunstvoll instrumentiert, wirkt aber trotzdem nicht stark, Weil man vor lauter Nuancen kaum zur Wahrnehmung einer Farbe kommt und die Komposition wohl lyrische Ruhepunkte, aber keine Steigerung oder Höhepunkte aufweist. Freilich könnte das Werk durch die Interpretation eines routinierteren Orchesters noch gewinnen.

Wesentlich sicherer fühlte sich das Ton- küttstlerorchester bei der II. Symphonie von Bruckner. Der junge Salzburger Dirigent RobertWagner hatte die Par. titur gut im Kopf und verfügt auch über eine genügende Technik. Alles übrige aber, Was eine Aufführung erst zum Erlebnis werden läßt, fehlte fast vollkommen. Im mittleren Teil des Programms spielte Edith B e r t s c h i n g e r, die für die erkrankte französisdie Geigerin Janine d’Andrade eingesprungen war, das Violinkonzert von Mendelssohn. Die Besucher dieses Konzerts können davon überzeugt sein, daß sie mit dieser Umbesetzung keinen schlechten Tausch gemacht haben. Das Tonkünstlerorchester, welches das Mendelssohn-Konzert recht sorgsam begleitete, bot seine bisher beste Leistung im Scherzo der Brudkner-Sym- phonie, mit deren ausgezeichneter Wiedergabe das gleiche Orchester vor einigen Wochen die Hörer der Sonntagskonzerte der Ravag erfreut hatte.

Auf die gediegenen Leistungen des Wiener Kammerorchesters unter Franz Litschauer wurde an dieser Stelle wiederholt hingewiesen. Es ist erfreulich, feststellen zu können, daß die Vortragsfolge des letzten, 4. Abonnementkonzerts noch geschlossener, die Ausführung zum Ted noch besser war als in den vorausgegangenen Konzerten. Im ersten Teil des Programms: HändelsConcertogrossog-moll und Bachs Klavierkonzert d-moll, von dem blutjungen Jörg Demus sehr musikalisch, technisch sauber und mit vollendeter rhythmischer Präzision .gespielt. Jm ersten Satz des Bach-Konzerts gelang ihm gemeinsam mit dem Orchester ein sich über viele Takte erstreckendes Diminuendo — in ständig bewegt-fließendem Zeitmaß —, dessen sich ein Meisterspieler und ein erstklassiges Ensemble nicht zu schämen brauchten.

Im zweiten Teil hörten wir ein neues Werk von Alfred Uhl: „Introduktion und Variationen über eine Melodie aus dem 16. Jahrhundert“. Die aus einem Streichquartett stammenden, leicht umgearbeiteten Variationen kannten wir bereits, die Introduktion ist neu: ein schönes Stück altdeutsch stilisierter Ausdrucksmusik, welches die Variationen wirkungsvoll einleitet. Zum Schluß erklangen die „I ntermezzi Goldoni an i“ op. 127 von Enrico Bossi (1861 bis 1925): acht zierlich stilisierte Genrezeichnungen, etwa im Stile Wolf-Ferraris. Diese Suite schöpft alle nur erdenkbaren Nuancen eines differenzierten Streicherklanges aus und erfordert Sicherheit und rhythmische Genauigkeit von jedem einzelnen Spieler. Am Schluß sei der Meister nicht vergessen, der das Programm „komponiert" und sein Ensemble bei der Aufführung so sicher in der Hand hatte: Franz Litschauer schenkte uns mit diesem Konzert einen Abend wirklich erfreulichen Musizierens.

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