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Die Philharmoniker unter Clemens Krauß

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Die Wiener Philharmoniker unter Clemens Krauß mit Werken von Richard Strauß — das reimt sich in jeder Hinsicht und ergibt einen vollkommenen Einklang. Das ursprüngliche Gefühl für die Sinnlichkeit des Klanges, das Weltläufig-Elegante, die verbindlidninver-bindliche Geste des großen Herrn: sie sind dem Komponisten und dem Dirigenten gemeinsam und schaffen eine Art prästabilierter Harmonie von Werk und Wiedergabe. So greift Krauß, der sich in den letzten Jahren aus der Kampflinie der Avantgarde, in der er einmal stand, zurückgezogen hat, immer wieder und mit sichtlicher Freude nach den Werken seines Meisters. Daß es wieder einmal der .Eulenspiegel“ sein mußte, dessen „lustige Streiche“ — ebenso wie eine Anekdote — nicht dadurch lustiger werden, wenn man sie allzuoft vorträgt, ist vielleicht ein wenig allzu konziliant. Die .Vier letzten Lieder für Sopran und Orchester“ von Richard Strauß kennenzulernen, war notwendig, wenn auch nicht aufregend. Strauß schrieb sie Im vorletzten Jahr seines Lebens in Montreux und wählte hiezu drei Texte von Hermann He6e und einen von Eiohendonff. Die Titel heißen: Frühling, September, Beim Schlafengehen (Hesse) und Im Abendrot (Eichendorff). Der Stimmungsgehalt, das seelische Klima, Ist einheitlich, da auch das einzige Frühlingsgedicht 6ehr gedampft beginnt: .In dämmrigen Grüften träumte ich lang ...“ Abschiedsstimmung, Abendrot und Herb6tesgold, Sdilaf und Tod — diese Motive der erwählten Dichtungen bestimmen natürlich auch die Musik, und was darüber Poetisches und Rührendes zu sagen tet, wurde von den Kommentatoren und Rezensenten dieser Lieder ausführlich dargelegt. Halten wir uns an das Künstlerische und Muoikalische. Zunächst: bedeutend besaue Texte, als sie Strauß sonst für seine Lieder zu wählen pflegte; ein geläuterter Stil und fast kammermusikalische Diktion in der Art der letzten Opernwerke, insbesondere der „Daphne“, die sich wohltuend von der effektvollen Gefälligkeit früherer Lieder unterscheiden; einige zauberhafte Takte und erlesene harmonische Wendungen; daneben freilich auch einige Stellen, die dem Sentimentalen bedenklich nahekommen und abgebrauchte koloristische Effekte, gleichsam die Phraseologie der musikalischen Postromantik aufweisen; die meisterhaft geführte Singstimme, deren Beweglichkeit zuweilen in regelrechte Koleraturen mündet (wobei sich mancher kritische Hörer, mit einem feuchten und einem lächelnden Auge, gedacht haben mag: Die Katze läßt das Mausen nicht). — Die von echtem Gefühl getragene Darbietung dieser Lieder durch Viorica Ursuleac und die überaus geschmeidige Begleitung durch das Orchester verliehen den künstlerisch wenig bedeutenden Kompositionen jenes prunkvollschimmernde Klanggewand, dessen sie zu ihrer Wirkung unbedingt bedürfen.

Die übrigen Werke, welche in den beiden letzten Philharmonischen Konzerten gespielt wurden, sind bekannt und brauchen an dieser Stelle nicht vorgestellt zu werden: eine Haydn-Symphonie in Es-dur, Hugo Wolfs „Italienische Serenade“ in der Fassung für kleines Orchester, DvoFaks IV. Symphonie und die Ouvertüre zur „Verkauften Braut“ von Smetana; Regers .Suite im alten Stil“ und Ravels „Rhapsodie Espagnol“ führten bi6 an die Schwelle der Gegenwart. — Dagegen muß die einzigartige Wiedergabe dieser Werke hervorgehoben werden: die Virtuosität im ganzen (etwa bei Sayel und Dvofäk) und' die Perfektion im Detail (Smetana), jene absolut authentisohe und mitreißende Art des Musizierens, die wir immer dann erleben,wenn vor das Mei6terorchester der Meisterdirigent tritt.

Auf die Kunst und Eigenart Raimund vVeißensteiners wurde im Rahmen unseres Musikreferats wiederholt hingewiesen, '.uletzt anläßlich der Uraufführung der VII. Symphonie, die auch auf dem Programm des letzten Kompositionskonzertes stand, das Weißensteiner selbst dirigierte. Zum erstenmal hörten wir die 1950 entstandenen Symphonischen Choralvariationen über die Ostersequenz „Victimae paschali laudes“ für großes Orchester und ein früheres Werk, ein Fragment (Vierter Gesang) aus dem Oratorium „D a 6 H o h e L i e d“ für Soli, Chor und Orchester. Diese bereits vor 15 Jahren entstandene Komposition mit ihren langen, ein wenig reizlosen Rezitativen und den etüdenartigen Koloraturen fällt freilich gegen das andere große Vokalwerk des Komponisten, das wir kennen und schätzen, die „Lieder eines Gefangenen“, etwas ab. Als positive Eindrücke bleiben einige gefällige a-capella-Chöre. — Der eigentliche Gewinn des Konzerts waren die neuen Choralvariationen mit Schlußfuge. Daß er gerade die Ostersequenz variiert, ist für den Künstler Weißensteiner überaus typisch, dessen Talent sich gern am Widerstand entzündet. Auch sein harter Orchesterklang steht im Gegensatz zu dem vielgepriesenen farbig-leuchtenden, süßen und saftigen der Wiener impressionistischen Schule. Als besonders charakteristisch fällt die Behandlung der geballten Blechbläser ins Ohr, die zuweilen unerwartet ihr entschiedenes Wort einwerfen. Bei aller Achtung vor dem kraftvollen Bau dieser Musik: das Skeletthafte tritt zu stark hervor; die „Kunst des Ubergangs“, von großen Meistern gefunden und gelehrt, wird von Weißensteiner — wohl bewußt — 6ehr vernachlässigt. In dem plötzlichen Abbrechen und Losstürmen wird der „Eigen-Sinn“ des Komponisten deutlioh, auch in manchen Details, so in dem nicht endenwollenden Finale der VII. Symphonie, das um wenigstens zehn Takte gekürzt werden sollte. — Dies alles sind kleine Einwände, gemessen an dem Positiven, Erfreulichen und Imponierenden von Weißensteiners Opus. — In der ostinaten Bewegung zum Beispiel gelingen ihm zuweilen ganz vorzügliche Stellen, von denen nur zwei hervorgehoben seien: das brucknerische Scherzo der VII. Symphonie und die letzte Variation (Nr. 9) über die Ostersequenz. (Die Wiener Symphoniker und der Singverein mit Ilona Steingruber und Erich Majkut als Solisten waren die Ausführenden.) '

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