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Das musikalische Antlitz der Salzburger Festspiele 1946

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Wir haben in der kritischen Betrachtung über die Schauspiel- und Opernaufführungen der diesjährigen Salzburger Festspiele bereits darauf hingewiesen, daß es wohl meisterhafte Darbietungen gab, daß das Niveau trotz der außerordentlichen Schwierigkeiten, die sich im Kleinsten wie im Großen immer wieder entgegenstellten, erstaunlich hoch war und daß, trotzdem verschiedene zeitbedingte Schwächen aufschienen, der Gesamteindruck befriedigen konnte. Das gleiche läßt sich allgemein auch von den musikalischen Veranstaltungen sagen. Vieles trug festlichen Charakter, vieles ließ saubere, exakte Arbeit erkennen, einiges schlug wie eine Flamme hoch und entfachte in den Herzen der Zuhörer Begeisterung.

Es sei gleich vorweggenommen, daß neben Edwin Fischer die französischen Künstler die Palme in dem edlen Wettstreit bei den diesjährigen Festspielen errangen. Der Kammerkonzertabend des Calvet-Quartetts, die Örchesterkonzerte mit Charles Muench und Ernest Ansermet wurden zu musikalischen Erlebnissen.

Edwin Fischer spielte nicht allein mit den Philharmonikern, er war zugleich auch ihr Dirigent. Sein Nachschaffen ist von Energie geladen, was gleichermaßen für den Pianisten wie für den Dirigenten Edwin Fischer Gültigkeit hat. Er leitete das Orchester mit einer Kraft, die aus tiefem Musikempfinden und aus dem Gefühl für die letzten Feinheiten geboren wurde. Er schuf eine Welt und vermochte darin den Horizont zu erweitern, indem er Beethovenscb.es Pathos mit Mozartschem Geist zu binden suchte. Die Philharmoniker verbanden sich mit dem Künstler zu hingebungsvollem und vollendetem Spiel. Man hörte zwei Klavierkonzerte: das glänzend-prächtige C-dur-Kon-zert, das Mozart 1786 für die Winterkonzerte in Wien geschrieben hat, sowie das Es-dur-

Konzert (K. V. 482), eine der kostbarsten Perlen Mozartscher Klaviermusik. Dazwischen durfte man die Wiedergabe der leidenschaftlich-düsteren g-moll-Symphonie (K. V. 500) erleben, die Mozart 1788 vollendet hat. Es ist die mittlere aus dem Triptychon seiner letzten drei Symphonien. Festspielmäßiger Beifall dankte dem Künstler und seinen Helfern im Orchester für den Abend voll seltener Schönheit.

Beim Calvet-Quartett ist man fast versucht, von einer vollkommenen Wiedergabe zu sprechen. Vier Meister ihres Instruments haben jene innere Größe, die sie eine Einheit werden läßt; sie sind erfüllt von Ehrfurcht und Liebe zur Musik. Ihr Zusammenklang ist von reinster Klarheit, ihre technische Meisterschaft scheint fast unübertrefflich. Sie vermögen einen tausendfältig schillernden Farbenreichtum hervorzuzaubern, sie wissen ihren Instrumenten ein auf feinste Nuancierung abgestimmtes Singen zu entlocken, sie haben aber auch die Fähigkeit, orchestrale Gewalt und Stärke wiederzugeben. Als Programm hatten sie französische Meister gewählt. Das F-dur-Quartett von Ravel, das 1904 geschrieben wurde, läßt noch deutlich die Einflüsse von Chabrier und Satie erkennen. Es mischen sich darin Elemente der Klavizinisten und des Impressionismus, überglänzt von einem Hauch zarter Ironie. Cesar Franks Klavierquintett in f-moll gab Jacques Fevrier Gelegenheit, sich als vorzüglicher Pianist zu beweisen, der dem Werke diente und in der Musik aufging und so die Einhut der Darbietung vergrößerte. Das Quartett Op. 10 von Debussy bildete den Abschluß dieses denkwürdigen Abends. Der Kolorismus des größten französischen Musikers des Impressionismus entsteht saus zartesten Farbenbrechungen und feingliederig flimmernden Konturen. Für die begeisterten Ovationen dankten die Künstler mit einem Menuett von Schubert. '

Charles Muench ist de Leiter der Con-certs du conservatoire in Paris und verkörpert heute vielleicht am deutlichsten als der Dirigent des ältesten und berühmtesten Orchesters Frankreichs das reproduzierende Musikschaffen seines Landes. Mit gallischem Temperament und exakter Zeichengebung führt er den Klangkörper mit musikalischer Überlegenheit und Selbstdisziplin, die ihn auch auf Höhen hinreißender Leidenschaft nicht verläßt. Er weiß, .von duftig-zarten Orchesterfarben bis zu dionysischen Rhythmen, eine Atmosphäre zu'schaffen, der man sich nicht entziehen kann. In der „Phantastischen Symphonie“ von Hector Berliosz, Op. 14, wurde das in allen Symphonieteilen wiederkehrende Thema, das von romantischer Weichheit bis zur phantastischen Leidenschalt im Hexenrundtanz aufscheint, vom Dirigenten zu einem riesigen, musikalischen Gemälde gestaltet. Aber nur die blendende Wiedergabe des Werkes, die uns Charles Muench an der Spitze der Philharmoniker vermittelte, ließ die Zuhörer die zweifellos eigenartige Wirkung verstehen und genießen. Das Klavierkonzert in G-dur von Ravel spielte eine junge französische anistin, Nicole Henriot, nicht nur virtuos bis zur' Brillanz — sie wußte auch im Adagio, das der klassischen Liedform angenähert ist, verträumte Natürseligkcit und Schwermut wiederzugeben und im , Presto mit den kontrastierenden Rhythmen, die an den Jazz anklingen, durch männlichen Anschlag zu fesseln. Das Tanzspiel von Ravel „Daphnis und Chloe“, das aus echt französischem Kunstempfinden geboren ist und zarte wie leidenschaftliche Klangbilder aufweist, schloß das Konzert, das durch die eigenwillige Dirigentenpersönlichkeit von Charles Muench und seinen besonderen Schwung einen aufwühlenden und nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat.

Mit dem Schweizer. Dirigenten welscher Abstammung, Ernest Ansermet, der als Interpret moderner Musik internationalen Ruf genießt, lernte das Festspielpublikum einen feinsinnigen und''feinnervigen Musiker von Format kennen. Schon äußerlich, durch die Ruhe seiner Zeichengrjbung, durch die Differenzierung und Abdämpfung des Orchesterklanges, zeigt sich seine Auffassung, in dersich Ideales mit Realem mischt. Wenn auch die „Pastorale“ von Beethoven in ihren beiden ersten Sätze etwas langatmig wirkte — „der Ausdruck der Empfindungen“ kann gerade bei dieser Symphonie vielleicht nur von einem österreichischen Musiker in letzter Vollendung dargebracht werden —, so wußte Ansermet doch das klassische Werk mit verstandesmäßigem Durchdringen Voll auszuschöpfen. In seinem eigentlichen Element war der Dirigent bei der Wiedergabe der Ballet-Suite „Petruschka“ von Strawinsky. In klanglich außerordentlich fesselnden Tanz-bi.!dern wird das Schicksal Petruschkas, des ewig unglücklichen Helden aller Jahrmärkte, zu gestalten versucht, und der Dirigent entfaltete alle musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten, wobei ihm die Philharmoniker, willig und mit technischer Vollkommenheit folgten. Etwas eigenartig empfand man im Festspielprogramm das aus entfesselnden Rhythmen bis zu einer rasenden Stretta sich steigernde Tonstück „La Valse“ von Ravel. Für dieses nach dem ersten Weltkrieg entstandene Werk, das laut Kommentar Ravels Erlebnis des tragischen Wiener Totentanzes von 1919 widerspiegelt, wäre vielleicht ein ' anderer Rahmen geeigneter gewesen.

John Barbirolli ist der Leiter des „Hall orchestra“ in Manchester, des ältesten symphonischen Orchesters in England: Der junge Künstler konnte seinen romanischen Ursprung nicht verleugnen, als er die „Semiramis“-Ouverture von Rossini mit italienischer Farbenfreudigkeit aufrauschen ließ. Auch Edward Elgars „Tntroduction und Allegro für Streicher“ bestach durch Einprägsamkeit und schöne Klangwirkung. Die wienerischromantische Es-dur-Symphonie von Mozart mit der kraftvollen Festesstimmung kam zwischen Elgar und der c-moll-Symphonie von Brahms nicht' recht zur Geltung. Die von tiefem Ethos getragene pathetischmonumentale I. Symphonie von Brahms ließ in der Wiedergabe, den tiefen Ernst des Dirigenten erkennen, mit dem er sich in die Gedankenwelt des. großen Meisters eingelebt hatte.

Sicher und beherrscht, ganz Diener am Werke des Schöpfers, dirigierte Carl Schurieht, als er, ein vollendeter Meister der Orchesterführung, die 5. Symphonie von Bruckner in der Urfassung zur Aufführung brachte. Es ist ihm hoch anzurechnen, daß er dieses Monumentalwerk bei den Salzburger Festspielen allein auf das Programm setzte und damit die Einmaligkeit des Werkes unterstrich. Im einleitenden Adagio der geheimnisvoll aufdämmernde' Anfangsgedanke, dann Steigerung und feierlicher Erlösungsruf der Bläser; im zweiten Satz zeichneteSchuricht. wundervoll die Resignation und im Scherzo wußte er den urgesunden Humor Bruckners zum Durchbruch zu bringen, um dann beim Aufbau des Finales die weitausschwingende Steigerung meisterhaft zu gestalten. Nach der gewaltigen „Fünften“ von Bruckner fiel der Eindruck von der Leistung Schurichts beim folgenden Konzert etwas ab, woran allerdings die Programmzusammenstellung schuld gewesen sein mag. Wieder muß die Werktreue, die an die Aufgabe der eigenen Persönlichkeit grenzte, hervorgehoben werden, die ihn sowohl bei der Egmont-Ouver-ture wie auch bei der reizvollen „Konzertanten Symphonie“ von Mozart (K. V. 364) auszeichnete. Das gewaltige Werk der 4. Symphonie von Brahms zog in seiner herb-dünklen Schönheit die Hörer in seinen Bann.

Nach den französischen Gästen waren auch Schweizer Künstler zu den Festspielen gekommen, und mit dem Winterthurer Quartett bewiesen unsere westlichen Nachbarn, daß auch sie auf dem Gebiet der Kammermusik Wertvolles geben können. Auch hier haben sich vier Künstler zusammengeschlossen, um der Musik und ihren großen Meistern zu dienen. Sie wählten ausschließlieh österreichische Komponisten. Mit der Wiedergabe des Streichquartetts in G-dur von Mozart (K. V. 387) zeigten die Künstler ihre Vertrautheit mit diesem Meister der Wiener Klassik. Nach Joseph Haydns Streichquartett in D-dur schloß Franz Schuberts Streichquartett in d-moll mit den Variationen über „Der Tod und das Mädchen“ einen künstlerisch ebenso bedeutenden wie beglückenden Abend ab.

Im vierten Kammerkonzert, brachte das Wiener Philharmonia-Quartett sehr beliebte und wirkungssichere Werke der Kammermusikliterkur zur Aufführung: . Joseph Haydns „Kaiserquartett“, das „Forellen-quintettf' mit Paul von Weingarten, der die Schönheit des Klavierparts- voll zur Geltung b'rachte, und schließlich Dwofaks Streichquartett in Es-dur.

Die drei Domkonzerte der diesjährigen Festspiele mußten infolge der schweren Beschädigung des Domes in der Aula academica der Salzburger Universität stattfinden. Auch hier waren sie wieder, der Tradition entsprechend, dem Domkapellmeister Prof. Josef Meßner anvertraut, der den Domchor und das Mozarteum-Orchester leitete. Auf dem Programm standen Franz Schuberts „Große Messe in Es-dur“, Anton Bruckners „Große Messe in f-moü“ und schließlich, wie alljährlich, Mozarts „Requiem“.

Zum Schluß gebührt ein besonderes Lob dem Genius loci der Festspiele, dem Künstler, der als der beste Mozart-Kenner mit Liebe und Ehrfurcht das große Erbe, jetzt wieder antreten konnte, das Salzburg von seinem großen Meister zu verwalten hat: Prof. Bernhard Paumgartner. Es schien fast wie eine Schicksalsfügung, daß ' er ' an Stelle eines nicht eingetroffenen Dirigenten das erste Konzert übernehmen mußte. Trotz Improvisation eröffnete er würdig mit den Philharmonikern den musikalischen Teil der Festspiele. Es war ureigenster Mozart, den er darbot. Ebenso wurden bei den Serenaden in der Felsenreitschule wertvolle, selten gehörte Kostbarkeiten aus dem schier unerschöpflichen Schaffen des Salzburger Meisters zu neuem Leben erweckt. Die in die Sphäre der Romantik greifende „Prager Symphonie“, die rauschend-lestliche D-dur-Symphonie, • die „Pariser Symphonie“, die dem 22jährigen Mozart den ersten Erfolg in der französischen Hauptstadt brachte, die für -ein unbekanntes, festliches Ereignis bestimmte D-dur-Serenade und die „Haffner-Serenade“, in der die ganze Schönheit Salzburgs aufblüht, sind nur einige Köstlichkeiten, die uns bei den abendlichen Serenaden mit Windlichtern und dem Rauschen der Bäume des Mönchsberges geschenkt wurden. Es. war ein beglückendes Musizieren, das die .Festspielgäste in, jejie Welt führte, von der Paumgartner in seinem Mozart-Buch geschrieben hat: „Die Serenaden sind vollblütige, geistvolle Musik unbeschwerter künstlerischer Frohlaune zu fröhlichen Festen. Ihr adeliger Hauch atmet die südliche Wärme der Heimat, den bezaubernden Linienschwung der Salzburger Architektur, Verstohlen plätschert ein weißer Marmorbrunnen in das Pianissimo der Kantilenen, Satz auf Satz folgt in überschwenglicher Geberlaune, bis ein übersprudelndes Finale als Kehraus die musikalische Heiterkeit beschließt.“

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