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Matacic, Richter, Kempff

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Auf dem Programm eines Symphonikerkonzerts standen Strawins-kys „Psalmensymphonie“ und Bruckners Vierte. Das 1930 zur 50-Jahr-Feier des Boston Symphony Orchestra geschriebene Werk für Chor und Orchester erweist sich bei jeder Wiederbegegnung als in jeder Hinsicht vollkommen: Zunächst in der klanglichen Balance zwischen dem Ins'trumentalensemble mit verstärktem Bläserchor (ohne Klarinetten, Violinen und Bratschen) nebst zwei Klavieren und dem polyphonen Chorsatz (Wiener Jeunesses). Ferner durch die idealen Proportionen der drei ineinander übergehenden Teile. Vor allem aber in der großartigen Synthese von Neu und Alt, was ein absolutes Verständnis auch beim

allerersten Hören für jeden halbwegs Musikalischen ermöglicht. — In der Bruckner-Symphonie war das gesamte Bläserensemble, das es ja nie an gewissenhafter Vorbereitung und Vorsicht bei der Aufführung fehlen läßt, diesmal auch so sehr vom Glück begünstigt, daß es im Verlauf des ganzen Abends nicht einen einzigen Gickser gab. Hervorragend auch die Streicher nebst Schlagwerk. Hör- und sichtbar war die Ruhe, die Sicherheit und Intensität, die von dem Dirigenten Lovro von Matacic ausging, der ein so klares und nobles Klangbild von Bruckner hat und es auch zu realisieren versteht, daß man sich am Ende dieses wohlgelungenen Konzerts fragte, wieso es möglich ist, daß ein

so vorzüglicher Musiker nicht öfter, viel öfter in unseren großen Orchesterzyklen beschäftigt wird. Matacic, ehemaliger Wiener Sängerknabe und an der Wiener Akademie ausgebildet, mag an die 75 sein. Aber wir kennen nur ganz wenige jüngere Dirigenten, die ihm das Wasser reichen können. Hoffentlich werden sich unsere Konzertveranstalter bald wieder seiner erinnern.

H. A. F.

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Karl Richter ist ein Mann mit dem heute selten gewordenen Mut zum Pathos. Vielleicht brachte ihm gerade das die Barockmusik nahe, möglicherweise könnte es ihn aber für die Zukunft als Dirigenten bestimmter hochromantischer Symphonik empfehlen. Im Musikverein spielten die Streicher der Tonkünstler und Rudolf Scholz am Cembalo (später, bei Bruckner, wechselte er dann an die Orgel) das siebente „Concerto grosso“ aus op. 6 von Händel gewissermaßen als Streichersinfonia mit erfreulicher Disziplin und doch mit dem nötigen Schwung. Bei Bruckners f-Moll-Messe jedoch dürfte Richters Probenarbeit zu flüchtig ausgefallen sein: sie war klanglich nicht ausgewogen, ja verwaschen, auch der „Singverein“ hatte nicht nur gute Momente: den Sopranen und den Tenören war vieles in doppelier Hinsicht „zu hoch“. Im Soiistenquartett mit Vertretern aus drei Generationen von Staatsopernsängern, hat Sona Ghazarian an der Seite von Murga-rita Lilowa im „Benedictus“ einige Töne von Weltklasse-Qualität gesungen, Anton Dermota erbrachte als Nachbar von Ernst G. Schramm wieder einmal den Beweis, was eine geradezu raffinierte Technik noch im vorgerückten Alter vermag. Trotz mancher Einwände muß man anerkennen, daß Richter die große Bruckner-Linie sehr gut getroffen hat. Er könnte da einem Derühmten Namensvetter aus der Lebenszeit des großen Symphonikers nachfolgen ... *

Es ist durchaus nicht nur Ehrfurcht vor dem Alter und dem Ruhm, wenn man von der künstlerischen Leistung, die Wilhelm Kempff mit der zyklischen Aufführung sämtlicher Beethovenscher Klaviersonaten im Brahmssaal erbringt, stark beeindruckt ist. Wir besuchten

einen Abend mit Werken des „mittleren“ Beethoven, wo Klassisches und drängende Romantik einander begegnen: es handelt sich um die kleineren Sonaten op. 49, 1 und 2, und op. 54, aber auch um die „Waldstein-Sonate“ und die „Appassio-nata“. Es ist vollkommen verständlich, wenn einem ausübenden Künstler manche interpretierten Werke so innig vertraut werden, wie sie es dem Komponisten selbst wohl nie waren, und wenn er zu ihnen ein derartig persönliches Verhältnis bekommt, daß sie weiterwachsen, obwohl ihre äußere Gestalt verbindlich festgelegt worden ist. Aber über diese Erosion hinaus, der Vortrags- und rhythmische Bezeichnungen teilweise unterlagen, über alle Freiheiten eines ehrgeizlos gewordenen Mannes hinaus verspürte man nicht nur die erstaunliche Gedächtnisfrische und Spannkraft des auswendig spielenden greisen Klaviermeisters, sondern die wirksam gebliebene Kraft der Empfindung und Musikalität dieses Wiener Publikumslieblings.

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Im Musikverein trat Kurt Wöss mit „seinem“ Brucknerorchester Linz auf, und so konnten auch die Wiener

Musikfreunde Einems „Bruckner-Dialoge op. 39“ kennenlernen, aber auch eine Bruckner-Huldigung anderer Art: des Meisters „Doppelnullte“, die Studiensymphonie f-Moll mit ihrer starken Bezogenheit auf Schumann. Dazwischen spielte Paul Badura-Skoda Mozarts anakreonti-sches Klavierkonzert KV 456 mit schwebender Leichtigkeit. Das Orchester klingt noch wie eine neue Geige, die erst eingespielt werden muß, gefiel aber durch Exaktheit und inneres Engagement, und Gottfried von Einem konnte viel freundlichen Beifall entgegennehmen. *

Das 1969 gegründete „Wiener Philharmonische Kammerensemble“ bestritt sein erstes reguläres Gesellschaftskonzert im Brahms-Saal mit Pfitzners Sextett op. 55, Franz Schmidts Klarinettenquintett B-Dur und einer Uraufführung: Soloklarinettist Alfred Prinz schrieb ein Quintett für Flöte und Streichquartett, das nach einem modernistischen Beginn Temperament, Humor, eine leichte Hand und viel Sinn für aparten Klang erkennen läßt. Bei Schmidt war man etwas enttäuscht: angekündigt war die für den nach dem Ersten Weltkrieg einarmig konzertierenden Paul Wittgenstein komponierte Originalfassung, Gilbert Schlichter spielte aber die Wührer-sche Bearbeitung für zwei Hände. Gesamteindruck der Interpretation: musikalische Redlichkeit, aber leider nicht mehr. Herbert Müller

Seit zwei Jahren arbeitet Günther Theurings Ensemble „Contraste“ an seinen Wiedergaben der Werke klassischer Moderne. In Venedig, beim Musikfest 1972, überhaupt in mehreren italienischen Städten, hörte man das Ensemble etwa mit Schönberg-Werken. In Wien kannte man es allerdings bisher nur von Kritiken und Berichten. Nun also das Debüt im Brahms-Saal mit einem reinen, höchst anspruchsvollen Schönberg-Programm, bei dem es sich Theuring und sein Team alles andere denn leichtgemacht haben. Am überzeugendsten die Schönberg-A-capella-Chorsätze „Dreimal tausend Jahre und „De Profundis“; eher'Schwierigkeiten, vor allen hinsichtlich der Differenzierung, machte die Wiedergabe der „Ode an Napoleon“, deren Anfang überhaupt durch eine Reihe Unstimmigkeiten empfindlich gestört klang. Interessant die Aufführung der spätromantisch-nuancenreichen Lieder op. 2; man hätte sich da allerdings eine sinnlich-nervöse, reicher facettierte Aufführung gewünscht. Immerhin hat das Ensemble eine Ih-terpretin — Charlotte Proksch —. die zu einer Spezialistin für neue Musik heranwachsen könnte. Das Ensemble selbst muß wohl noch mehr an sich arbeiten: homogener werden, in der Darstellung stilistischer Probleme präziser reagieren... '

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