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Kammermusik, Pianisten

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Die Feiertags-Matinee des Wiener Kammerorchesters im Mozartsaal brachte einleitend das Concerto grosso g-Moll Francesco Gemiuionis, das neben der Pflege des Verzierungs-wesens auch schon mit dem Stil des kommenden Rokokos kokettiert. Mozarts A-Dur-Klavierkonzert (KV 414) hatte in Bruno Canino einen ausgezeichneten Solisten, der stilistisch einen erfreulich echten Mozart-Ton traf. Als letzte Programmnummer war Haydns e-Moll-Symphonie mit dem Beinamen „Trauer-Symphonie“ angesetzt. Sie läßt, diesem Titel entsprechend, Ernst und Strenge auch in den schnellen Sätzen vorherrschen. Kontrapunktisch ist das Werk vor allem im Menuett und im Presto-Finole reich bedacht. Bei Haydn erzielte das Orchester seine Bestleistung und folgte dem mit allen Tugenden eines erstklassigen Dirigenten ausgezeichneten Carlo Zecchi und seiner impulsiven Zeichenge-bung mit minutiöser Genauigkeit. Der Qualität der Aufführung entsprach auch der Applaus.

Das Flötentrio, das sich aus Wolf-gang Schulz, der Cellistin Litschauer-Leskmuitz und dem für die erkrank-

te Agnes Großmann einspringenden Pianisten Helmut Deutsch zusammensetzt, hatte sein Hauptkapitel in den von dem Philharmoniker-Flötisten Schulz gespielten Stücken, zuerst in zwei Sonaten des noch von der Schreibweise Christian Bachs beeinflußten Knaben Mozart (KV 13 und 14), welche der Flöte eine mehr umschreibende, aber virituose Begleitung des führenden Klavierpartes zusprechen. Olivier Messiaens „Le Merle nodr“ sucht den Gesang der Amsel im Rezitativ durch die Intervalle ihres Rufes und dann in einer melodiösen Kantilene einzufan-gen, derart, daß diese zuerst das Klavier und dann die Flöte übernimmt. Einen erhöhte Konzentration erfordernden Debussy hörte man in der rhapsodenhaften, von ornamentaler Figuration beherrschten Cello-Klaviersonate aus dem Jahr 1915. Mit vollem, von weicher Bogenhand gezogenem Ton wartete die Cellistin auf, Helmut Deutsch lieh dem Klavierpart reife Pianistenkultur. Bartöks „1. Rhapsodie“ für Cello und Klavier, an ungarischen und balkanischen Tänzen und Volksweisen orientiert, aber auch von Einflüssen italienischer Melodik gespeist, schlug durch die Rasanz ihrer Rhythmen

nicht minder ein als durch die stets hindurchleuchtende melodiöse Ele-gik. — Das Konzert wurde mit einem richtigen Trio beschlossen. Hier kam Gabriel Pierne, der Komponist des einst vielaufgeführten Oratoriums „Der Kinderkreuzzug“, mit seiner „Sonata da camera“, op. 48, zur Aufführung. Trotz ihrer impressionistische Einflüsse aufzeigenden, farbenreichen Palette weist die barocke Linienführung des Sarabanden-Satzes mehr auf einen konservativ eingestellten französischen Tonsetzer der Jahrhundertwende hin. Der voll besetzte Schubertsaal war von dem Konzert, dem Beifall nach zu schließen, sehr begeistert.

Der( in Australien geborene, in London lebende und hauptsächlich avantgardistische Zeitgenossen interpretierende Pianist Roger Woodward begann sein Konzert im Schubertsaal\ mit einer einsätzigen Sonate des Franzosen Jean Barraque, der sich

— laut Programmangabe — im französischen Staatsrundfunk der Labo-ratoriumsversuche auf dem Gebiet der „Musique conorete“ mit ihren Geräuscheffekten annahm. Von diesen Studien des Komponisten scheint seine Sonate nur allzu viel mitbekommen zu haben. Während der 40 Minuten dauernden Exhibition verließen zahlreiche Zuhörer mit k. o. geschlagenen Ohren den Saal.

— Während der Pause wurde der mit gerissenen Saiten flügellahm gedroschene „Bösendorfer“ (wo bleibt der „Klavierschutz-Vexedn“?) gegen einen „Steinwey“ ausgewechselt, auf dem sich der Pianist mit Beethovens „Hammerklavier-Soniate“ auseinandersetzte. Nicht mit zureichenden technischen Mitteln. — Noch mehr fielen musikalische Mängel ins Gewicht, wie falsche Temponahmen, unangebrachte Rubati und Verstöße gegen richtige Phrasierung. Am ehesten gelang das — wenn auch überlangsam genommene — Adiago, in dem sich der Pianist um Beethovens Forderung bemühte, den herrlichen Liedgesang des Satzes „con molto sentimento e appassionato“ zu interpretieren. Paul Lorenz

An zwei Abenden mit einer Spieldauer von mehr als fünf Stunden interpretierte Friedrich Gulda „Das wohltemperierte Klavier“ von Johann Sebastian Bach, dessen erster Teil bereits 1722 und dessen zweiter erst 1744 folgte. — Diese beiden Konzerte sind zunächst als enorme geistige Leistung (Gulda spielte auswendig) sowie als physischer Kraftakt zu werten. Daß Gulda die Extreme liebt, ist bekannt — und doch gelangen ihm in der „mittleren Bandbreite“ die schönsten Interpretationen. Im Ganzen und im Einzelnen wäre vieles auszusetzen: das Überpedalisieren, das Überbetonen der Bässe, manchmal von Fußstampfen begleitet, sich über viele Taktreihen hinziehende Crescendi oder decrescendi, willkürliche Akzentuierungen und Phrasierungen und anderes. Zuweilen klang es, als benütze Gulda die Musik Bachs als Vehikel seiner Technik, seiner Emo-

tionen und Aggressionen. Man mag sein Spiel einfach auch als „vitalistisch“ bezeichnen. Der Gegensatz dazu wäre nicht eine lauwarme, emotionslose, „vegetarische“ Interpretation, sondern eine „geistige“, die ja Temperament nicht ausschließt. Doch damit geraten wir auf ein weites Feld...

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