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Unmusikalisches

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Die Olympier — und die, die es einmal werden wollen — mögen uns verzeihen, wenn anläßlich der letzten Wiener Musikwoche im folgenden weniger von ihnen und ihren Werken, sondern von einigen Dingen „am Rande“ die Rede ist, welche eine gewisse symptomatische Bedeutung haben.

Da muß zunächst vom klugen Herrn S a w a 1-lisch die Rede sein, der zum zweitenmal nach Wien kam und im Großen Musikvereinssaal ein sehr erfolgreiches Konzert der Symphoniker leitete („Don Juan“ von Richard Strauss, die „Beethoven-Variationen“ von Franz Schmidt mit Alexander Jenner als Solisten und Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, instrumentiert und auch ein wenig pariserisch aufgeschminkt durch Ravel, standen auf dem Programm). Wolfgang Sawallisch. gegenwärtig, das heißt bis zum Ende dieser Saison, noch Generalmusikdirektor in Aachen, wurde u. a. die Leitung der West-Berliner Oper angeboten. Aber was tat der kluge Mann? Er lehnte ab und setzt sich vorläufig als Generalmusikdirektor nach Wiesbaden. Dort kann er noch viel dazulernen, und für Berlin oder ein anderes großes Opernhaus ist später auch noch Zeit. Diese nüchterne Selbsteinschätzung und lobenswerte Enthaltsamkeit verdient registriert zu werden. Sie ist heutzutage selten geworden ...

Das 3. Konzert seines Zyklus im Großen Musikvereinssaal eröffnete Herbert von K a r a j a n mit Anton von Weberns „Passacaglia für Orchester“, op. 1 aus dem Jahre 1908. Ob dieses Konzert später einmal als merk-würdig oder nur merkwürdig (kurios) beurteilt werden wird — das kann erst die Zukunft zeigen. Herr von Karajan hat nämlich, als er die Aenderung des Programms bekanntgab (ursprünglich war eine Symphonie von Schostako-witsch und das „Capriccio“ von Strawinsky vorgesehen) erklärt, daß er sich in letzter Zeit intensiv mit dem Oevre Anton von Weberns beschäftigt habe. Es spricht nichts dagegen, mit Weberns bereits vor 50 Jahren komponiertem, noch ganz im Banne der Hochromantik stehenden Erstling zu beginnen. Nun werden wir sehen, ob bald weitere Taten folgen werden, vor allem die Aufführung der „Sechs Stücke für Orchester“, op. 6, der „Fünf Orchesterstücke“, op. 10, der „Symphonie für kleines Orchester“, op. 21, und der Orchestervariationen, op. 30, aus dem Jahre 1940. In dem gleichen Konzert stellte Karajan als Solisten von Schumanns Klavierkonzert einen ganz ausgezeichneten deutschen Pianisten vor, Herrn Hans Richter-Haaser, einen feinen Musiker in mittleren Jahren, der dieses Meisterwerk mit edlem

Ausdruck und zartestem Ton spielte. Tschaikowskys IV. Symphonie gehört seit vielen Jahren zu den Paradestücken Karajans und erlebte auch in diesem Konzert eine intensive und hinreißende Aufführung,

für die auch dem Orchester der Wiener Symphoniker das höchste Lob gebührt.

Im Großen Konzerthaussaal veranstaltete „D a s klassische Gulda-Orchester“ ein von Faul A n g e r e r geleitetes Mozart-Konzert. In der Symphonie g-moll, zwei Klavierkonzerten und dem Rondo für Violine und Orchester (Solist: Franz Bruckbauer) konnte man feststellen, wie aus diesem aus Musikern verschiedenster Provenienz zusammengestellten Orchester ein wirkliches Ensemble geworden ist, und wie schön, sauber und elegant Friedrich G u 1 d a als Pianist mit ihm musiziert. — Nun wäre es aber auch an der Zeit, diesen dummen Titel — „Das klassische Gulda-Orchester“ — fallen zu lassen. Sparen wir uns die Fragen, die ein Dia-lektikei an die Taufpaten richten könnte. Jedenfalls: der Name ist absurd! Und auch ein wenig unbe-

scheiden. Paul Angerer, der dieses gelungene Konzert leitete, machte als Musiker seine Sache ganz ausgezeichnet. Aber das Optische, das nun einmal dazugehört/ Immer wieder kann man hören, wie sich jüngere Musiker kritisch und ein weqig spöttisch über ältere Star- und Schaudirigenten äußern. Tritt nun einmal einer von diesen Jungen selbst ans Pult, dann gebärdet er sich noch viel hemmungsloser — und nur halb so elegant wie die „Stars“. Dadurch entsteht der sicher nicht richtige Eindruck des Dilettantischen. Und das ist schade — und wäre leicht zu vermeiden.

In einem öffentlichen Konzert des Oesterreichischen Rundfunks unter der routinierten und vorbildlich sicheren Leitung von Ernst Märzendorfer spielten die Symphoniker Werke von Boris Blacher, Goffredo Petrassi (Konzert für Klavier und Orchester, mit Robert Wallenborn als Solisten) und Racine Peter Fricker. Das robust-virtuose Klavierkonzert des Italieners mit dem massiven Klaviersatz (komponiert 1936 bis 1939) brachte nichts bemerkenswert Neues. Sehr neu und pikant war dagegen, zu beobachten, wie sich . Blacher in seinem jüngsten Werke, der Orchesterphantasie, op. 51, mit der Zwölftontechnik auseinandersetzt. Er tut es mit leichter Hand, witzig-ironisch, demonstriert anmutige Klangfarbenmelodien und zeigt sich mit allen Künsten dieser Geheimwissenschaft bestens vertraut; Man kann also auch so ... Der mit vielen Preisen ausgezeichnete Engländer Fricker dagegen vermag mit seiner 1. Symphonie aus dem Jahre 1949 (die den Koussevitzky-Preis erhielt) weniger zu interessieren. Auch er kann viel, braut alles Mögliche zusammen — aber etwas fehlt: der Charme, das Zwingende, die Bezauberung, ohne die eine Komposition eben nur als Handwerk wirkt.

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