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Beinahe ein Musikfest

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An die Spitze der jüngsten musikalischen Ereignisse im Konzertsaal verdient der Abend der Symphoniker unter Erich Bergel im Konzerthaus gestellt zu werden. Der aus Siebenbürgen stammende, seit drei Jahren als Gastdirigent im Westen lebende Bergel wies sich an einer gar nicht so dankbaren Bruckner-Symphonie als Spezialist aus: an der „Ersten“. Wie er allen Einzelorganismen von Bruckners symphonischen Bauten das ihnen gemäße Tempo zukommen ließ, ohne daß das ganze zerfallen wäre, das machte diese Interpretation zum tiefen Erlebnis. Keine Rede vom üblichen „Herausarbeiten der Struktur“ und was man dergleichen heuer so oft geschrieben und gesagt bekam — es war ein authentischer spätromantischer Bruckner von großer künstlerischer Intensität. — Der temperamentvolle, technisch souveräne Siegfried Palm war der zu Recht gefeierte Solist in Htn-demiths (zweitem) Cellokonzert.

Xaver Meyer hat sich als Chordirigent in Wien schon längst eine geachtete Stellung geschaffen. Im Musikverein brachte er mit seinem Wiener Madrigalchor das Weihnachts-oratorium von Bach zu Gehör: mit einem (beinahe original) kleinen Orchester aus ORF-Symphonikern, die sehr gut gefielen, den Buben der Wiener Goethekantorei und einer Handvoll Solisten, an deren Spitze Kurt Equiluz zu nennen ist; der Bassist Franz Mayer setzte seinen kleinen, aber hübschen Baß ein, Julia Migenes, die wir als Bach-Sängerin schätzen, wirkte diesmal wenig konzentriert und intensiv, Helga Wagners Alt kam routiniert über die Rampe. Meyer hatte eine knapp zweistündige Auswahl aus dem Werk des Thomaskantors geschaffen und mit meist äußerst zügigen Tempi dirigiert; die langen Fermateschlüsse in überkommen „machtvoller“ Art und ein überdehnter A-cappella-Choral brachten eine antiquierte Note in die Matinee; der Chor („Ehre sei dir, Gott...“) hatte einige bemerkenswerte Höhepunkte.

Das Tokyo-Streichquartett, schon 1970, im Gründungsjahr, mit einem ersten Preis in einem internationalen Wettbewerb ausgezeichnet, debütierte im Brahms-Saal und errang sich auch hier mühelos den Ruf eines Meisterquartetts. Die Japaner, die auf kostbaren Amati-Instrumenten spielen, verfügen über das nötige Temperament, sind allesamt echte Virtuosen sensibel, musikalisch und intelligent. Das Programm war auch anspruchsvoll genug: Mozarts Dissonanzenquartett, das op. 3 von Alban Berg und Beethovens op. 59/3 stellten auch ihrem literarischen Geschmack das beste Zeugnis aus.

In künstlerischer Hochform präsentierte sich auch Jörg Demus. Der Wiener Pianist begann mit einer Auswahl aus den Phantasiestücken op. 12 von Schumann äußerst feinsinnig, brachte, technisch hervorragend vorbereitet, die Kreisleriana zu geschlossener Wirkung und spielte im zweiten Teil seines Abends im Musikvereinssaal eine Auswahl von Debussw-Stücken, die er vorwiegend den „Preludes“ und „Estampes“ entnommen hatte; daß sogar eine Erstaufführung stattfinden konnte, war aber eine kleine Sensation: „Nous n'irons plus au bois parce qu-il fait un temps insupportable“ ist ein farbig bewegtes Stück, in dem etwas mehr als drei Minuten lang mit frech-witzigen Melodiefetzchen geistreich am Rande der Banalität gespielt wird; es entstammt der Sammlung des großen Pianisten Alfred Cortot.

Peter Keuschnig stellt in seinem neuen Zyklus im Brahms-Saal Werke von R. Strauss denen von Hinde-mith gegenüber; vom letzteren gab es diesmal die postume Symphonie für (16) Bläser, eine Musik, die sich Strauss nach eigenem Eingeständnis ehrgeizlos zum persönlichen Vergnügen geschaffen hatte und die durch das Ensemble Kontrapunkte eine wirklich denkwürdige Interpretation erfuhr, und die klangsatte Deutsche Motette, op. 62, für Soli und sechzehnstimmigen gemischten Chor, ein gewaltig Tongebraus, für das Erwin G. Ortner, sein in den hohen Stimmen nicht ganz befriedigender Arnold-Schönberg-Chor und ein Sängerquartett antraten; die ambi-tionierte Ulrike Meli, eine Verwandte des Dichters, Ingrid Mayr, Horst Nitsche und der ein bißchen zu grob auftrumpfende Arthur Korn. Von Hindemith gab es die Kammermusik op. 3611. Für den kleinen Saal war das durch mannigfache Oktavkoppelungen düster grundierte Werk zu laut; obwohl der Klaviersolist Rainer Keuschnig die richtige Dosis gebändigter Aggressivität aufbrachte und technisch untadelig spielte, klang der traditionsreiche Raum wie ein Schuhkarton.

Für Sängerinnen dagegen ist er seit eh und je ein idealer Platz. Daß Lucia Popp hier nicht überzeugen konnte, muß ihr selbst angelastet werden. In erster Linie stört das ma-nirierte Portato, in dem die Sängerin gewissermaßen hinter der eigenen Atemluft hersingt, überhaupt merkte man, daß der beliebten Opernsängerin der subtile Geschmack für den Liedgesang noch fehlt; außerdem verfügt Frau Popp über eine derartig kraftvolle Stimme, daß sie offensichtlich schon deshalb ihre Technik etwas vernachlässigen zu dürfen glaubt. Da kann es dann beispielsweise vorkommen, daß der Ton in heiklen Einsätzen ausbricht (Das verlassene Mädchen von Wolf, Erster Verlust und An den Mond II von Schubert). Das Programm selbst vereinigte nach Fünf Abendliedern, op. 31, von Dvofik sieben berühmte Möri/ce-Lieder von Wolf mit einem Dutzend der schönsten Goethe-Lieder von Schubert. Ehegemahl Georg Fischer war als Klavierbegleiter zu sehr besorgter Kenner der schönen Sopranstimme mit ihrer dunkel leuchtenden Tiefe und dem milden Glanz der Höhe, dagegen zu wenig temperamentvoll mitgestaltender Musiker.

• Pressephotograph Oscar Horowitz, mit dem wir viele Jahre zusammengearbeitet haben, und dessen Bilder wir sehr schätzten, ist vor wenigen Tagen plötzlich gestorben.

• Die Stadt Frankfurt hat einen mit 5000 D-Mark dotierten Adorno-Preis gestiftet für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Philosophie, Musik, des Theaters und Films.

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