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Sängerinnen und Orchester

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1956 wurde in London ein Kammermusikensemble gegründet, das von einer Kirche am Trafalgar Square den Namen Academy of St. Martin-in-the-Fields erhielt. Damals wie heute leitet es Neville Mar-riner als erster Geiger und Dirigent. Im Großen Konzerthaussaal spielte man ausschließlich Bach in kleiner Besetzung. Der Grundstock dieses Ensembles sind die Streicher, die sich durch einen bemerkenswert schönen und flexiblen Ton sowie durch klare Artikulation auszeichnen, und obwohl man im Jahr durchschnittlich 100 Konzerte gibt, hat man sich vor Routine zu bewahren verstanden und spielt mit unverkennbarem Enthusiasmus. Und zwar auf modernen Instrumenten. Die Musiker der Londoner „Academy“ mögen den ein wenig wie „beschädigt“ klingenden Ton der alten Instrumente nicht. Zum Ensemble gehört die Sopranistin Elly Ameling, die in der Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ mit einer virtuosen Leistung brillierte. Für den angekündigten Trompeter Maurice Andre sprang der ausgezeichnete Bernard Gabel, Solotrompeter der Pariser Oper, ein. — In dem eingangs gespielten d-Moll-Konzert für zwei Violinen und Streicher erfreuten die beiden sehr homogenen und noblen Sologeigerinnen Iona Brown und Carrael Kaine. Im Schlußstück, der zehnteiligen h-Moll-Suite, konnte man den französischen Flötisten Aurele Nicolet bewundern, im Cem-balokonzert Nr. 5 George Malcolm und im 2. Brandenburgischen Konzert alle bereits genannten Solisten sowie den ausgezeichneten Oboisten Lothar Faber. Langanhaltender Beifall im vollbesetzten, akustisch freilich recht ungünstigen Saal und mehrere Zugaben.

Für die Jeunesses konzertierte das ORF-Orchester unter Milan Horvat. Weberns vielgepriesene Passacaglia op. 1 wirkte an diesem Abend noch weniger ausgebacken als sonst. Sena Jurinac war die Solistin der „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss nach Gedichten von Hesse und Eichendorff. Die beliebte Opernsängerin wurde mit Jubel empfangen und bedankt. Auch gab es viele Blumen. Das Ganze machte ein wenig den Eindruck einer Abschiedsvorstellung der Liedersängerin. Auch als solche war Sena Jurinac ganz „große Diva“, die diese intimen und zugleich effektvollen Abschiedslieder mit großen Gesten und echter Emotion sang. Was fehlte, was sie nicht mehr besitzt, weiß jeder Musikfreund und braucht deshalb nicht extra angemerkt zu werden. — Emotionell ist auch Schostakowitschs aus dem Jahr 1953 stammende 10. Symphonie

— wenn auch die Emotionen bei der Niederschrift dieser Partitur andere gewesen sein mögen, als sie das Programm dem offiziellen Kommentar nachplappert. Im ersten, fast 20 Minuten dauernden Satz des knapp einstündigen Werkes fehlte es an dramatischer Spannung, dann wurde es immer besser. Aber alle ihre Qualitäten zeigt diese Musik vielleicht nur, wenn sie von den Leningradern gespielt wird. (Das besprochene Konzert ist am Samstag, dem 3. Februar, um 17.10 in öl zu hören.)

Zum erstenmal trat auf einem Wiener Konzertpodium die Zürcher Sopranistin Elisabeth Speiser als Liedersängerin auf. (Sie ist bisher, und zwar in der halben Welt, als Oratoriensängerin bekannt und geschätzt.) Was sie gemeinsam mit dem vorzüglichen Pianisten Irwin Gage bot, war echte, erlesene Kammermusik — in einem freilich hierfür wenig geeigneten Rahmen. Vier Zyklen von Mozart, Schubert, Hugo Wolf und Alban Berg bildeten das Programm mit erfreulich vielen selten aufgeführten Liedern. Die gut ausgebildete, schön timbrierte Stimme ist ein ideales Instrument zum Ausdruck feiner Lyrismen, besinnlicher und elegischer Stimmungen. Elisabeth Speiser, die sich erstmals 1971 auch als Opernsängerin (Pami-na) versuchte, kommt ganz ohne dramatische Gebärden aus. Das einzige, was ihr noch zu raten wäre, ist, auch die französischen Zeitgenossen von Wolf und Berg in ihr Repertoire zu nehmen: Lieder von Faure, Du-parc, Debussy und Ravel müßten ihr besonders gut liegen ... Sehr lebhafter Applaus, mehrere Zugaben. *

Im 5. Konzert des Wiener-Sym-phoniker-Zyklus wurde, unter der Leitung von Ferdinand Leitner das „Konzert in drei Teilen für Orgel und Orchester“, Op. 50, von Helmut Eder erstaufgeführt.

Der Komponist, 1916 in Linz geboren, studierte am Bruckner-Konservatorium, später bei Orff und J. N. David. Seit 1967 unterrichtet er Komposition am Salzburger Mozarteum. Sein 1969 im Rahmen der Nürnberger Orgelwoche uraufge-führtes Werk führt den Untertitel „L'homme arme“, dessen aus der Renaissance stammende Melodie als Cantus firmus das Tongeschehen beherrscht.

Die große neue Musikvereinsorgel spielte mit Sicherheit und offensichtlichem Verständnis für den Solopart Ludwig Dörr, der aus dem Rheinland stammt und gegenwärtig in Freiburg im Breisgau als Lehrer und Domorganist tätig ist. Die Verbindung dieser beiden universellen und so autarken Klangkörper — moderne Orgel und großes Orchester

— erweist sich mit der Zeit als immer schwieriger. Vielleicht war der Letzte, der die Gattung wirklich bereichern konnte, Paul Hindemith. Mit den modernen Kompositionsmitteln wie Clusters und sich verschiebenden Klangflächen werden zwar, wie wir auch andernorts beobachten konnten, aparte Klangwirkungen erzielt, aber die Deutlichkeit, die Durchhörbarkeit ist schwer zu realisieren. Daher möchten wir statt einer Wertung dieses Werkes kurz beschreibend andeuten, was in den drei Teilen musikalisch geschieht: Im 1. Satz gibt es heftige und lautstarke Auseinandersetzungen zwischen dem Soloinstrument und den vom Schlagwerk unterstützten Blechbläsern; zu Beginn des (ruhigeren) zweiten Teils fasziniert das mit Orgel- und Glockentönen vermischte Pizzicato-Geflüster der vielfach geteilten Streicher; den dritten Teil soll eine das gesamte Orchester erfassende „freie Fuge“ sein. Sehr eindrucksvoll der Ausklang: eine ruhige Meditation der Orgel über das Geschehene. — Eingangs spielten die Wiener Symphoniker eine von Ferdinand Leitner besonders sorgfältig und frisch interpretierte Haydn-Symphonie (B-Dur, „La Reine“, aus dem Zyklus der um 1786 entstandenen Pariser Symphonien), den zweiten Teil des Programms bildete Bruckners Sechste.

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